OTELLO
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Theater an der Wien
19. Februar 2016
Premiere

Musikalische Leitung: Antonello Manacorda
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Carla Teti
Licht: Alessandro Carletti

Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Otello - John Osborne
Desdemona - Nino Machaidze
Elmiro - Fulvio Bettini
Rodrigo - Maxim Mironov
Jago - Vladimir Dmitruk

Emilia - Gaia Petrone
Doge - Nicola Pamio
Lucio - Julian Henao Gonzalez

Stumme Rollen:
Paolo e Francesca - Viktor Saxinger, Fabiola Varga
Cameriere - Michaela Klamer, Christian Garlan


Etwas zähe Intrige
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat Gioachino Rossinis „Otello“ auf den Spielplan gesetzt und dem Wiener Opernpublikum damit eine weitere Gelegenheit geboten, sich an opernhistorischen Raritäten zu delektieren – oder sie einfach abzuhaken.

Ich gebe zu, dass mir der Rossini’sche „Otello“ an diesem Abend mehr zu einer Sache des Abhakens wurde. Die Geschichte, die Rossini erzählt, wendet die unpsychologische Mechanik seiner Opera buffa auf die Tragödie an. Was dort funktioniert, erweist sich in diesem Fall als wenig spannungsfördernd. Die Handlung geht dabei etwas sonderbare Wege: Desdemona hat sich heimlich bereits Otello versprochen („Io gli son sposa“) und Desdemonas Vater möchte die Tochter mit Rodgrigo verheiraten und bringt sie damit vor versammelter Festgesellschaft in eine unmögliche Situation.

Am Besten lässt sich diese „Mechanik“ an der Konvention der Intrige festmachen, denn Jago hat bei Rossini wenig zu vermelden. Die Intrige wird mehr durch den gestörten Postverkehr zwischen Desdemona und Otello befeuert, ein Brief mit einer Haarlocke ist das Corpus Delicti des Unglücks. Musikalisch hat Rossini seinen „Otello“ mit hübscher und manchmal effektvoller Musik garniert, die sich aber in den ersten beiden Akten zu keinem geschlossenen Ganzen fügt, sondern vor allem Nummer an Nummer reiht. Erst im dritten Akt entkommt Rossini diesem Schematismus und erzielt eine nachhaltigere musikdramatische Wirkung.

Das Regieteam um Damiano Michieletto hat die Oper gestrafft und in einem (auch ausstattungsmäßig) noblen Italien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelt: eine Industriellenfamilie mit starken politischen Querverbindungen (Doge) und Geschäftskontakten in den arabischen Raum (Otello). Zudem wurde die Figur des Jago überstrapaziert: Jago kommt zu allen möglichen und unmöglichen Zeitpunkten auf die Bühne, wahnsinnig vor Bösartigkeit und Intrigenlust, und im Finale muss er Otello sogar selbst den eigenen Tod vermelden.

Jago war aber nur ein Pol krampfhafter Unruhe, mit dem der Regisseur die Handlung aufzuwühlen gedachte: Es standen durchwegs expressive Menschen auf der Bühne, die in filmreif durchgeplanten Bewegungsabläufen ihre Gefühle outrierten. Ein Höhepunkt war das Finale vor der Pause, als die versammelte Hochzeitsgesellschaft begann – von Jago angefeuert – sich mit Dreck zu beschmieren. Mit solchem Aktionismus verbrannte Michieletto die Emotionen der Figuren viel zu früh und für das Finale hatte er kaum noch eine Steigerungsmöglichkeit zur Hand: Es sei denn, man sieht in dem aus einem Gerangel mit Otello entstehenden Selbstmord (!) Desdemonas eine solche. (Es wird mit einem Revolver gemordet und nicht mit einem Dolch.)

Desdemona hat bei Rossini zwar einen anderen Stellenwert als bei Verdi, aber sie zum Selbstmord zu drängen ist doch eine zweifelhafte Angelegenheit. Vor allem die Auswirkungen auf Otello erwiesen sich als Nachteil, der bei Michielleto einen zu harmlos wirkenden arabischen Geschäftsmann abgab, auch wenn die Geschichte um Desdemona, so wie sie sich der Regisseur zurecht gebogen hat, einigermaßen nachvollziehbar blieb. Sie wurde von ihm eindeutig zur Hauptfigur gemacht.

(Die Inhaltsangabe im Programmheft beginnt mit den Worten „Otello, ein Fremder aus dem arabischen Raum, ...“ Dass Michieletto damit an aktuelle, heikle Themen streift, sei nicht verschwiegen. Aber wenn Otello seinen Gebetsteppich ausrollt, dann trägt das nichts zur Handlung bei. Auch die Stellung Desdemonas in einem solchen „islamischen“ Kontext hat Michieletto kurz angetippt. Zu allem Überfluss verknüpft die Regie Desdemonas Schicksal noch mit Francesca da Rimini und lässt diese und ihren Paolo als stumme Figuren auftreten, mit dem großen Schwert an der Hand, das beide durchbohrt hat. Ein Gemälde von Gaetano Previati, das dieses Sujet darstellt, dient als Bühnendekoration.)

Die Oper bedarf mit Otello, Rodrigo und Jago dreier Tenöre, die sich stimmlich deutlich von einander abgrenzen müssen. Der Otello von John Osborn hätte in der Mittellage noch eine Spur mehr baritonaler Unterfütterung vertragen, aber seine musikalische Eloquenz, seine im Vergleich zur eher trockenen Mittellage viril-kräftigen Spitzentöne beeindruckten. Osborn war als Typ für den Geschäftsmann gut gewählt, weil Feldherr und Mohr durfte er ohnehin keiner sein.

Mit beweglichem Tenore di grazia war Maxim Mironov als Rodrigo unterwegs. Sein Timbre ist mehr hell und kernig als seidig-anschmiegsam, mit nasaler Beimischung. Er lieferte sich mit Otello einen spannenden acutigespickten tenoralen Zweikampf. Vladimir Dmitruk sang und spielte einen stets unter Hochspannung stehenden Jago, ganz von der Aufgabe verinnerlicht, die die Inszenierung ihm gestellt hat.

Emotional stark und stimmlich mehr „dramatisch“ als auf „Belcanto“ getrimmt, gab Nino Machaidze eine auch im Aussehen glutvolle Desdemona. Auffallend war ihr schon in der Mittellage mit einem metallisch schwingenden „Beiklang“ angereicherter Sopran, der sich lediglich bei einigen seelenvollen, dunkel getönten Piani verflüchtigte. Das nahm Desdemona für meinen Geschmack viel von ihrer Anmut und war dem musikalischen Stilempfinden eher abträglich. Gaia Petrone (Emilia) ist wieder an das Theater an Wien zurückgekehrt. (Sie hat zwei Saisonen in der Kammeroper im Jungen Ensemble des Theaters an der Wien gesungen). Ihr Mezzo rundete sich angenehm in der Mittellage, in der Höhe klang er etwas forciert.

Das übrige, wenig auffällige Ensemble plus dem – wie immer – bewährten Arnold Schönberg Chor war nahtlos in dieses von der Regie etwas fellini- oder visconti-cineastisch aufgeblasen anmutende Gesellschaftsstück eingebunden. Von den Wiener Symphonikern unter Antonello Manacorda hätte ich mir eine differenzierter musizierte Begleitung, am besten mit federndem Rossini-Klang gewünscht. Der zustimmende Schlussapplaus nach knapp drei Stunden (inklusive Pause) dauerte rund neun Minuten lag. Es gab nur einen einzigen Buhruf gegen das Regieteam.