LA DONNA DEL LAGO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Rossini-Portal

Theater an der Wien
10.8.2012
Premiere

Musikalische Leitung: Leo Hussain
Inszenierung: Christof Loy
Szenische Mitarbeit: Axel Weidauer
Ausstattung: Herbert Murauer
Choreografie: Thomas Wilhelm
Licht: Reinhard Traub

ORF Radio Symphonieorchester
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Produktion des Grand Théatre de Genève in Koproduktion mit dem Theater an der Wien

Elena - Malena Ernman
Giacomo - Luciano Botelho
Rodrigo di Dhu - Gregory Kunde
Malcom - Varduhi Abrahamyan
Douglas d'Angus - Maurizio Muraro

Albina - Bénédicte Tauran
Serano - Erik Arman


Rossini-Parodie
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien füllt im Juli und im August die zu diesem Zeitpunkt traditionell wüstenhafte Leere der Wiener Opernspielpläne dankenswerter Weise schon seit vielen Jahren mit ein oder zwei Produktionen auf. Nach dem „Hoffmann“ im Juli folgte jetzt im August die Rossini-Rarität „La donna del lago“.

Wer sich eine szenisch stimmungsvolle Umsetzung von Rossinis frühromatischem Werk nach einer Vorlage von Walter Scott erwartet, die die Liebe von drei (!) Männern zu einer schönen Frau des schottischen Hochlands zum Inhalt hat, der wird von dieser Inszenierung enttäuscht sein. Der opernnärrische Schriftsteller Stendhal, Rossinis Zeitgenosse, wird im Programmheft sogar mit der Aussage zitiert, die Melodie der „donna del lago“ erwecke ein wenig dieses romantische Gefühl, „das man alleine inmitten eines großen Waldes empfindet.“ Auf solche „Naturstimmung“ wartete man im Theater an der Wien vergeblich. Sie wurde durch den Festsaal einer etwas heruntergekommenen schottischen Dorfgemeinde ersetzt, in dem die unattraktiv und ärmlich ausstaffierte „Lady of the Lake“ tollpatschig beim örtlichen Gesangsverein mitmacht und sich in ihrer „Vernarrtheit“ offenbar die Liebesbeziehung zu einem König der schottischen Geschichte erträumt.

Stendhal hat allerdings auch angemerkt, dass das Libretto zu den „plattesten“ gehört, die Rossini mit seiner Musik bereichert hat. Doch der Hang zur emotionalen Übertreibung, den die Handlung auszeichnet, ist ein Merkmal jener Frühromantik, der die Oper entspringt. Daraus resultierende dramaturgische Untiefen spielten für die positive Aufnahme durch das damalige Publikum keine Rolle – heute ist das anders. Zumindest scheint Regisseur Christof Loy dieser Meinung gewesen zu sein. Er meinte die Fallstricke im Libretto zu sehen – und hat gleich in die Handlung selbst eingegriffen, um den dritten Liebhaber (die Hosenrolle Malcom) zu entschärfen, der als eigentlicher Geliebter Elenas durch die Handlung geistert. Er mutiert bei Loy zu einer Art von „innerem Ich“, zu einem „Schutzengel“ mit starken Eigenleben, der Elena zur Seite steht, wenn sie Probleme hat.

Als Zuschauer weiß man aber bald nicht mehr, was Traum ist, und was Realität – und vor allem wird immer rätselhafter, wohin Loy sein Inszenierungsschiffchen auf seiner Suche nach der „Lady of the Lake“ überhaupt steuern möchte. Das Spannungsfeld zwischen einem sozialkritischen und psychologischen Interesse am Stück, zwischen einem intellektuellen Sarkasmus, der sich über die Romantizismen der „Lady “ hermacht und sie bis zur Entstellung der Charaktere parodiert, sowie zwischen Rossinis Musik, die ihre sprichwörtliche Mechanik immer wieder ausschmückend für zarte, stimmungsvolle – und wenn man so will – „romantische“ Momente nützt, löst sich bis zum Schluss nicht auf.

Deutlich wird diese Indifferenz schon im Bühnenbild und in den Kostümen (Ausstattung: Herbert Murauer), die stilistisch ein „gesichtsloses“ und etwas schäbig designtes 20. Jahrhundert zum Vorbild haben: ein dörflicher Festsaal mit einer kleinen Bühne im Hintergrund. Mal zeigt sich dort eine altertümliche Kulisse, um romantische Gefühle zu wecken, mal sitzt dort die Musikkapelle, um das festliche Treiben der Schotten zu untermalen, mal taucht der König dort auf, von weißen „Ballettschwänen“ umgarnt. Manches davon kann der realen Handlung zugerechnet werden, anderes scheint Elenas Phantasie zu entspringen. Auch Elenas Heim wird dort gezeigt, die Kommandozentrale ihres Vater Douglas, mit einer Karte von Schottland, Kriegsdekorationen, und Soldatenfotografien. Ein roter Vorhang trennte die Bühne auf der Bühne vom Festsaal ab.

Elena selbst treibt sich fast immer in dem schlicht gehaltenen Festsaal herum, den vor allem Sessel dekorieren (aufgestellt oder an der Rückwand gestapelt), in dem der Gesangsverein probt, in dem eine Verlobung, Hochzeit oder was auch immer gefeiert wird, in dem der kiltgekleidete Rodrigo in festlichem Ambiente seine Mannen in Verdi’scher Manier zur Schlacht anfeuert. Am Ende des ersten Aktes bleibt ein Teil dieser Festgesellschaft einfach sitzen, während im Zuschauerraum schon das Pausenlicht angeht. Niemand weiß, warum. Die Schlacht im zweiten Akt wird zu einem Gemetzel unter den Ballettschwänen – Elenas Albträume? Mag einer sogar die Loy’sche Ironie gut heißen, die er über „La donna del lago“ ausgegossen hat, wird er sich trotzdem schwer in dieser Bilderfolge zurechtgefunden haben, die der Regisseur hier zur Diskussion stellt. Loy abstrahiert zu stark von der ursprünglichen Handlung, scheint davon auszugehen, dass diese selten gespielte Oper dem Publikum gut bekannt ist – aber ich persönlich kann mich an keine Aufführung hierzulande in den letzten 30 Jahren erinnern.

Als besonders störend entpuppte sich schließlich das Finale, in dem Elena außer sich vor Freude, in eine seltsam anmutende Hysterie verfällt, und der schauspielerische Effekt die musikalische Bravour des Schlussrondos gnadenlos unterjocht. So siegte an diesem Abend für mein Verständnis am Ende doch noch die Parodie – und die eifrigen Buhrufe beim Schlussvorhang gegen die Regie hat Loy mit diesem Finale quasi heraufbeschworen wie den bösen Geist aus der Flasche.

Diese Aufführung hat aber auch gezeigt, dass man die Handlung ganz unverstellt durchaus „ernst“ nehmen darf, dass sich hinter der vordergründigen Belcanto-Welt, damals aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen verbergen. So ist die Durchsetzung von Liebesansprüchen gegen herkömmliche Konventionen in „La donna del lago“ durchaus ein Thema: Elenas Vater möchte seiner Tochter aus politischer Räson einen Gemahl, Rodrigo, aufs Auge drücken. Die Haltung des Königs aber, der ebenfalls um Elena buhlt, und der zuletzt seine Machtstellung nicht ausnützt, sondern seinen Feinden aus Liebe zu Elena vergibt, weist zurück auf die Aufklärung, in dem sie der Milde und Weisheit des Regenten huldigt. 1819 in Neapel uraufgeführt – und Vorbild für eine Reihe weiterer Opern mit „schottischem Sujet“ – ist „La donna del lago“ ein Werk des Übergangs. Beim „Freischütz“ beispielsweise, zwei Jahre später uraufgeführt, wird man ähnliche Überlagerungen damals älterer und „moderner“ Denkweisen finden, indem eine neu entdeckte und selbstbewusst propagierte bürgerliche Empfindsamkeit langsam aber sicher in die Konventionen aufklärerischen Denkens einsickert und sie „individualisiert“: Der abstrakt-autoritären „Weisheit der Vernunft“ steht eine romantisch empfundene, anarchisch orientierte „Weisheit des Herzens“ gegenüber.

Musikalisch gesehen macht es viel Sinn, dass derzeit Juan Diego Floréz und Joyce DiDonate weltweit für die Rollen des Königs beziehungsweise der Elena gebucht sind. Eine ideale Kombination wie anhand von Mitschnitten festgestellt werden kann. Das Theater an der Wien kann mit solch illustren Namen leider nicht aufwarten. Dass das Werk zwei (!) Sänger benötigt, deren Stimmen in tenorale Stratosphären vordringen können, macht die Sache nicht gerade einfacher. Tenöre, die diese Anforderungen mit klangschöner Ausgestaltung verbinden, sind rar.

Als König Giacomo schlug sich Luciano Botelho gut, ein in der Mittellage schon angenehm viril timbrierter, junger „Tenore di Grazia“, der bei den Spitzentönen aber viel an Charme verliert. Seine sympathische unaufdringliche Bühnenerscheinung als schwarzbeanzugter König fügte sich passend in die Inszenierung ein – wie man insgesamt doch anmerken muss, dass es an Loys sehr guter Personenführung nichts auszusetzen gab. Gegenüber seinem Rivalen Rodrigo, gesungen von Gregory Kunde, hatte Botelho einen schweren Stand, weil Kunde offenbar von der Regie noch angefeuert, den hemdsärmeligen Schotten herauskehrte, und mit einer Lautstärke ans Werk ging, die das Theater an der Wien zu sprengen drohte. Kunde ist schon lange im Opernbusiness unterwegs, gilt als Spezialist für „heikle Partien“, aber seine Art des Belcanto-Singens hinterließ zumindest an diesem Abend bei mir einen mehr groben, kraftstrotzenden als virtuos-geschmeidigen Eindruck. Dass er, wie dem Programmheft zu entnehmen war, gerade einen Fachwechsel vornimmt (Verdis „Otello“!), überrascht deshalb kaum. Im Rahmen dieser Inszenierung war er allerdings vorzüglich platziert.

Die Titelpartie wurde von Malena Ernman gestaltet. Die Sängerin besitzt die stimmlichen Tugenden des Barockgesanges, ihr Mezzo ist verzierungsgeeicht, nimmt es auch mit Rossini auf. Was mir bei Ernman an diesem Abend abging, war ein helleres Timbre, war eine Stimme, die sich von Rossini aus der Reserve locken lässt. Ernmans Mezzo fehlte dafür die mädchenhaft-strahlende Abrundung, die Begehrlichkeiten weckt, und die mehr dynamische Reserven besitzt. Er klang mir insgesamt zu trocken, und ist vielleicht in der Barockoper besser aufgehoben als im romantischen Repertoire. Gespielt hat die schwedische Sängerin vorzüglich, eine treue Dienerin des Regiekonzepts.

Die armenische Altistin Varduhi Abrahamyan gab als Malcolm ihre Visitenkarte beim Wiener Opernpublikum ab – das diese dankbar entgegengenommen hat. Sie ließ eine elegante, jugendliche Stimme hören, bereits mit schönem abgerundeten Klang und ohne Stresserscheinungen. Den vom König verstoßenen Douglas, Elenas Vater, sang Maurizio Muraro: ein schottischer Haudegen, dem Rossini hier nicht allzuviel an Profilierungsmöglichkeiten bietet. Bénédicte Tauran und Erik Arman ergänzten in kleinen Nebenrollen, befanden sich aber viel auf der Bühne. Arman spielte als Serano so etwas wie das Faktotum des Douglas’schen Haushaltes.

Das ORF Radio-Symphonieorchester unter Leo Hussain ließ nicht wirklich „Rossini-Feeling“ aufkommen. Es klang wieder einmal zu laut und zu undifferenziert. Die mit einer gewissen Süffigkeit agierenden Streicher wurden zu wenig herausgehoben, und so fehlte schließlich die Spritzigkeit Rossini‘scher Opernkunst ebenso wie das romantische Flair. Stellenweise wirkte die musikalische Wiedergabe auf mich fast träge, und die emotionalen Schattierungen in der Gefühlswelt der Protagonisten blieben weitestgehend unentdeckt. Der Abend dauerte inklusive Pause rund drei Stunden.

Die Publikumsreaktionen äußerten gegenüber der Regie deutliches, kaum widersprochenes Missfallen – in den starken Jubel für die Sänger mischten sich bei Malena Ernmann einige Buhrufe. All zu lange hielt der Applaus nicht an.

Fazit: Eine Rarität, die einem durch eine fragwürdige Inszenierung noch seltsamer wird – und musikalischer Genuss auf höchstem Niveau stellte sich auch nicht ein.

PS: Höre gerade die Aufzeichnung der Premiere im Radio (Ö1). Da klingt einiges grenzwertig. Vor Ort war der Eindruck besser.