ELISABETTA, REGINA D'INGHILTERRA
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Theater an der Wien
17. März 2017
Premiere

Musikalische Leitung: Jean-Christophe Spinosi
Inszenierung: Amélie Niermeyer
Bühne: Alexander Müller-Elmau
Kostüme: Kirsten Dephoff
Licht: Gerrit Jurda
Choreographie: Thomas Wilhelm

Ensemble Matheus
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Elisabetta - Alexandra Deshorties
Leicester - Norman Reinhardt
Norfolc - Barry Banks
Matilde - Ilse Eerens
Enrico - Natalia Kawalek

Guglielmo - Erik Arman


Langatmige Wiederbelebung
(Dominik Troger)

Die Intendanz des Theaters an der Wien hat offenbar ein gewisses „Faible“ für Rossini-Raritäten: „Tancredi“, „Otello“ und jetzt „Elisabetta regina d’Inghilterra“ – ein 1815 uraufgeführtes „Dramma per musica“, das um zwei Rivalen und Königin Elisabetta kreist.

Die Geschichte um die englische Königin, für die jede und jeder Stuart ein rotes Tuch ist, bringt in bewährter Manier ein Dreiecksverhältnis auf die Bühne: Elisabetta liebt Leicester, aber Norfolc würde gerne von Elisabetta geliebt werden. Leicester hat allerdings – was seine Erfolgschancen auf dem englischen Hof betrifft – einen schweren Fehler begangen und bei seinem erfolgreichen schottischen Feldzug eine Tochter Maria Stuarts geehelicht. Norfolc schwärzt seinen Rivalen bei der Königin an, um selbige in Rage und Leicester in den Kerker zu bringen. Überraschender Weise endet aber nicht Leicester auf dem Richtplatz, sondern Norfolc bezahlt seinen Ehrgeiz mit seinem Leben – und die Königin begnadigt Leicester und seinen Anhang und entsagt der Liebe.

Das Libretto ist nicht gerade ein Paradebeispiel für eine raffinierte Dramaturgie. Die Handlung kommt nur sehr schleppend in Fahrt. Der Intrigant hat viel Zeit, seine Bösartigkeiten auszubreiten, ehe Leicester aus Schottland an den Hof zurückkehrt. Erst gegen Ende des ersten Teils kommt etwas Spannung auf. Die stereotype Figurenzeichnung trägt wenig zur Vertiefung der Handlung bei, die vor allem durch Norfolcs Intrige getrieben wird. Dem hat Leicester nur blasse Ehre entgegenzusetzen und Elisabetta wirkt mehr wie eine mit Koloraturen besetzte Gliederpuppe, die von Rossini je nach Handlungsfortgang auf die Bühne „geschoben“ wird.

Rossini hat in „Elisabetta“ vieles aus eigenen Werken „recycelt“ – und die bekannteste Nummer der Oper, die Ouvertüre, bald darauf für seinen „Barbier“ verwendet. Die Musik erfreut mit manch hübschem Einfall und bei den Bläsern rührt Rossini immer wieder romantische Farben an oder sorgt für kurz aufblitzende, ideenreiche, solistische Einwürfe. Trotzdem wird man in dem Werk eher ein Vehikel für eine erstklassige Besetzung sehen dürfen und für einen mit Beschleunigungsmomenten ausgestatteten Belcanto, dem es im Grunde egal ist, ob er zu einer Komödie oder zu einer Tragödie erklingt.

Die Aufführung im Theater an der Wien zielte stark auf die Tragödie. Hier kam Jean-Christophe Spinosi am Pult des Ensemble Matheus eine wichtige Rolle zu, der mit überlangen Generalpausen schon die Ouvertüre so zerstückelte, dass man den „Barbier“ an ihr kaum mehr zu erkennen glaubte. Spinosi unterminierte alle Erwartungshaltungen, die das Publikum landläufig an Rossini hegt, vielleicht wollte er den „Opera buffa“-Tonfall auf jeden Fall vermeiden. Anstatt spritziger Musik und federnder Streicher wurde ein Zugang gewählt, der sich einer süffigen Belcanto-Leichtigkeit versagt, der sie mit spröden, existentiellen Fragen beschwert, und der sie mit rauem, akzentuiertem Spiel „tragödisch“ aufzuwerten versucht. Das Ergebnis war nach meinem Dafürhalten ein gegen den Strich gebürsteter Rossini, den ich schon fast als Zertrümmerung empfunden habe. (Auf Youtube gibt es eine Aufnahme unter Alberto Zedda (1991). Es kann nur empfohlen werden, dort hineinzuhören. Zeddas Interpretation hat Biss und Spritzigkeit und ist aus einem Guss.)

Ein hochkarätiges Ensemble hätte dieser Rossini-Ausgrabung gewiss mehr „Flügel verliehen“. Aber die Besetzung wurde offenbar nach dem Bühnencharakter ausgewählt, nicht nach der Stimmschönheit. Regisseurin Amélie Niermeyer hat in einem Interview im Standard (online, 16. März 2017) die schauspielerischen Fähigkeiten der Sängerinnen und Sänger gelobt. Das scheint wichtiger gewesen zu sein, als die musikalische Seite.

Die Königin kann durchaus einer markanteren Stimme anvertraut werden. Alexandra Deshorties, mit einem etwas fahl timbrierten, herben Sopran ausgestattet, bot mir in dieser Hinsicht aber zuviel des Guten. Wenn es wenigstens eine wirklich „große“ Stimme gewesen wäre, eine Stimme, die manche Härte durch Charisma wettmacht. Aber trotz koloraturaffinem Gesang begann ich im Laufe des Abends ihre kantigen Acuti mehr zu fürchten als zu lieben. Ein gewisser Hang zum „Deklamieren“ war möglicher Weise das Resultat der bereits angemerkten, sehr individuellen Auffassung des musikalischen Leiters.

Der Bösewicht hatte naturgemäß eine „Bösewichtstimme“: Barry Banks führte einen sehr markanten, auch höhensicheren Rossini-Tenor ins Rennen, der schmelzlos scharf jede Note seinem dramaturgisch seichtgründigen Intrigantentum widmete. Norman Reinhard (Leicester) hat mich als Bellini-Tenor vor zwei Jahren in der „Straniera“ mehr beeindruckt als an diesem Abend. Die Stimme klang etwas eindimensional, nicht wirklich spritzig, irgendwie schien dieser Leicester den ganzen Abend lang „zwischen den Stühlen“ zu sitzen. Ilse Eerens sang die Matilde: eine zu Innigkeit fähige lyrische Sopranstimme, die aber auch etwas blass blieb. In den beiden kleinen Nebenrollen überzeugten Natalia Kawalek und Erik Arman; ebenso der Arnold Schönberg Chor.

Die Inszenierung ging von Elisabetta als einer modernen Frau in Führungsposition aus – wie wenn das bei diesem Werk eine Rolle spielen würde. Das Regieteam hatte eine sehr gute Idee: die Königinnen-Reifröcke auf „Rollwagerl“ zu stellen, in die Elisabetta schlüpfte wie in eine Zwangsjacke, um im ersten Teil damit über die Bühne zu schweben. Die sonst nahezu requisitenlose Aufmachung, die von messinggetönten Wänden mal so mal so „geordnet“ wurde, zeigte sich dadurch um einen Effekt belebender Verfremdung bereichert. Gute Personen- und Chorführung sorgten für einen angemessenen Ablauf. Das Regieteam wurde einhellig bejubelt. Es gab starken Applaus, rund sieben Minuten lang. Allerdings schnitt gleich nach dem Verklingen der Musik ein Buhruf durchs Auditorium. Schon vor dem Beginn des zweiten Teils war Spinosi ein einzelnes „Buh“ entgegengeschallt – gefolgt von einer ganz kurzen Publikumsdiskussion auf dem III. Rang.

Fazit: Wenn es um englische Königinnen geht, ist Donizetti überzeugender.