LA CENERENTOLA
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Volksoper
24. Oktober 2022

Musikalische Leitung: Carlo Goldstein

Angelina - Annelie-Sophie Müller
Don Ramiro - Timothy Fallon
Dandini - Modestas Sedlevičius
Don Magnifico - Misha Kiria
Clorinda - Lauren Urquhart
Tisbe - Stephanie Maitland
Alidoro - Aaron Pendleton



„25 Jahre jung
(Dominik Troger)

In zeitloser Frische präsentiert sich Achim Freyers „La cenerentola“-Inszenierung an der Volksoper. Die neue Direktion hat dieser fünfundzwanzig Jahre alten Produktion eine Wiederaufnahme gegönnt und damit auf allen Ebenen gewonnen.

Es war eine gute Idee, diese Inszenierung aus dem Jahr 1997 wieder auf den Spielplan zu setzen und einer szenischen und musikalischen Neueinstudierung zu unterziehen. Achim Freyes Blick auf Giacomo Rossinis „Aschenbrödel“ begeistert nach wie vor: mit  phantasievollen Kostümen, mit einem einfachen, praktikablen  Bühnenbild und mit einer an die Commedia dell'arte angelehnten Personenregie, die aus jeder Figur einen individuellen Charakter formt. Dazu gesellen sich ein paar pointierte Theatereffekte: das aus Choristen gebildete „Tausendfüsslerferd“ oder das überraschende Finale, in dem die verzeihende Angelina auf einem Podest in die Höhe fährt und ihr Brautkleid sich weiß über die Bühne breitet.

Freyer belässt die Handlung in einer Märchenzeit, er bricht sie nicht durch Inhalte, die von außen an die Oper herangetragen werden. Im Finale, wenn sich die Kulisse öffnet und schemenhaft eine Hügellandschaft mit Mond angedeutet wird, stellt sich sogar Poesie ein. Sie huldigt Cenerentolas naiver Humanität und ihrer Tugendhaftigkeit und lässt die Hoffnung gelten, dass man solchen Menschen nicht nur im Märchen begegnet. Dabei werden die misslichen Lebensumstände Aschenbrödels nicht verschwiegen. Bereits zur Ouvertüre trägt sie Holz auf die Bühne, beheizt im schummrigen Licht der Morgenfrühe einen großen Ofen, damit ihre undankbaren Schwestern samt dem widerlichen Don Magnifico nicht frieren müssen und ein warmes Frühstück bekommen.

Achim Freyers Inszenierungen haben nicht immer zu einem solch einfachen, menschlichen Ausdruck gefunden, oft genug hat er die künstlerische Stilisierung der Figuren zu weit getrieben und sie unter  einem puppenhaften „Symbolismus“ begraben. Spuren davon findet man etwa bei der Kostümierung und Gestik von Clorinda und Tisbe. Doch unterlegt mit Rossinis musikalischer „Mechanik“ erkennt man daran nichts willkürlich „Aufgesetztes“, sondern mit angemessener Übertreibungslust ausgeführte Charaktere. Die Neueinstudierung hat Dorike van Genderen mit viel Lust am Detail besorgt.

Auf der musikalischen Seite hat Carlo Goldstein die Neueinstudierung betreut, der auch an diesem Abend am Pult stand. Wie schon am Samstag bei „Jolanthe“ unter dem neuen Musikdirektor des Hauses überraschte das Volksopernorchester  mit feiner Klangpolitur und animiertem Spiel. Dank des „La cenerentola“-Gastspiels der Opéra de Monte-Carlo an der Staatsoper im Juli hat man den direkten Vergleich mit der sogenannten „historisch informierten Aufführungspraxis“: Les Musiciens du Prince Monaco haben die Möglichkeiten zwar mehr ausgereizt, ließen Rossini mehr Witz und Ausdruck angedeihen,  aber ziemlich harsch getönt – angereichert mit manch verunglücktem Bläserton. Das elegantere Spiel des Volksopernorchesters war von milderer Fröhlichkeit und mehr Klangschönheit beseelt und sorgte genauso für gute Laune. Goldstein hielt dabei die Zügel in der Hand, sorgte für eine ausgewogen flotte, in den Tempi nicht überzogene Aufführung.

Zudem ist es gelungen, für diese Wiederaufnahme junge, aufstrebende Kräfte ans Haus zu holen. Allen voran: Timothy Fallon als Prinz und Misha Kiria als Don Magnifico. Misha Kirias Karriere ist seit einigen Jahren im Höhenflug. Den Don Magnifico gab er als buffoneken Ungustl mit einem jugendlich-kernigen, elastischen und parlandoflotten Bassbariton und  starker schauspielerischen Präsenz. Timothy Fallons Prinz besaß süße Lyrik und raumfüllende Effekttöne, bei guter Höhe und Gespür für geschmeidige Phrasen. Im Spiel war er sympathisch, die Rolle vom schüchternen, von der Liebe ins Herz getroffenen Liebhaber bis zum begehrenden Prinzen genussvoll auskostend. Fallon wird diese Saison noch öfter an der Volksoper zuhören sein, im kommenden Juni als Belmonte.

Annelie-Sophie Müller verlieh mit ihrem mildgestimmten Mezzo Angelina einen naiven-mädchenhaften Zug, der sich auch im Aufbegehren jene Milde bewahrte, die ihr von der Handlung zugedacht ist. Im Finale fehlte ein wenig der Glanz, mit etwas Anstrengung bei den Spitzentönen. Im Rahmen der Inszenierung bleibt eigentlich nur Cenerentola sie selbst. Sie bewegt sich als einziger „Mensch“ zwischen diesen mehr oder weniger stark gezeichneten Buffa-Karikaturen. Selbst der Prinz ist nicht ganz von diesen ausgenommen. Was die Inszenierung artifiziell herausgearbeitet hat, wurde von Annelie-Sophie Müller passend umgesetzt.

Lauren Urquhart und Stephanie Maitland gaben ein köstliches Porträt schwesterlicher Boshaftigkeit. Ebenfalls von mit viel Humor ausgestattet waren Modestas Sedlevičius als Dandini und Aaron Pendleton als hier noch sehr junger Alidoro, mit leicht gerautem Bass bei insgesamt noch etwas unausgewogenem Vortrag. Der Chor steuerte mit viel Humor die „Hofschranzen“ bei. Der Gesamteindruck legte nahe, dass das Publikum an diesem Abend einer aufstrebenden jungen Sängergeneration begegnen konnte, von denen einige möglicherweise auf dem Sprungbrett zu einer großen Karriere stehen.

Durch meine Platz auf dem Balkon hatte ich nicht den Überblick, was die Auslastung betrifft. Das Parterre dürfte gut gefüllt gewesen sein, am Balkon gab es schon viele leere Plätze und noch viel mehr davon auf der Galerie. Das Publikum bedankte sich mit starkem Applaus für den amüsanten Abend. Leider war es die letzte Aufführung der Wiederaufnahme-Serie.