LA CENERENTOLA
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Staatsoper
26.1.2013
Premiere

Musikalische Leitung: Jesús López-Cobos
Regie: Sven-Eric Bechtolf
Bühnenbild:
Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Licht: Jürgen Hoffmann

Don Ramiro, Prinz - Dmitry Korchak
Dandini -
Vito Priante
Don Magnifico -
Alessandro Corbelli
Angelina -
Tara Erraught
Clorinda -
Valentina Nafornita
Tisbe - Margarita Gritskova
Alidoro - Ildebrando D`Arcangelo



"Teenager-Hochzeit"
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat nach fast 30 Jahren Gioachino Rossinis „La Cenerentola“ wieder in den Spielplan aufgenommen. Musikalisch fehlten dem Abend die Stars, und die Inszenierung besitzt jenen seichten Humor, den man auch als „unlustig“ empfinden darf.

Die Wiener Staatsoper ist rund 30 Jahre lang ohne „La Cenerentola“ ausgekommen. Diese Spielplanlücke war vertretbar, und sie wurde auch schon 1997 (!) durch eine sehr hübsche Produktion an der Volksoper geschlossen, die es bis 2012 auf 50 Aufführungen gebracht hat.

Wenn die Staatsoper nun unbedingt vermeinte, eine Neuproduktion auf die Beine stellen zu müssen, dann wäre zumindest zu erwarten gewesen, dass eine Reihe von Weltstars aufmarschiert. Die Direktion begnügte sich aber mit einer engagierten „Zweitbesetzung“ – die schon im Pausenfoyer vom Stammpublikum eifrig hinterfragt wurde.

Nun kann die Direktion allerdings auf einen fast neunminütigen, starken Schlussapplaus verweisen, bei dem nur der Dirigent (mit einigen) und das Regieteam (mit deutlich mehr) Missfallensäußerungen „behelligt“ wurden. Ein großer Teil des Publikums war also zufrieden. Insofern ist das Kalkül aufgegangen. Dass die Wiener Staatsoper aber offenbar keinen Wert mehr darauf legt, zumindest bei Premieren mit den weltweit ersten Opernhäusern mitzuhalten, ist eine interessante Erfahrung, die sich aber schon während der ganzen Direktion Meyer abgezeichnet hat.

Dmitry Korchak, der einen engagierten Don Ramiro sang, ist dafür ein gutes Beispiel. Er servierte im Gustostückerl des Prinzen im zweiten Akt „Si, ritrovarla io giuro“ zwar die „hohen Cs“, legte auch als Schlusston noch eines „drauf“, aber als Rossini-Tenor hat er sich trotzdem nicht empfohlen. Solange die Spitzentöne preziös aus den aufsteigenden Rossini’schen Verzierungen erwuchsen, bereiteten sie ihm zuviel Mühe, klangen zu gepresst und im melodischen Fluss etwas „holprig“. Es fehlte die elegante Geschmeidigkeit, die man hier erwarten würde, um den Gesang mit federndem Elan durch die Koloraturen zu führen. Der Schlusston hingegen gelang ihm viel überzeugender. Man hätte eigentlich schon bei seinem Don Ottavio, den er vor drei Jahren an der Staatsoper gesungen hat, hören können, dass seinem kernigen lyrischen und vielversprechenden Tenor die Feinheiten des Rossini-Gesangs eher weniger liegen werden.

Ähnlich liegt der Fall beim Aschenputtel der Tara Erraught. Für die Sängerin ist diese Premiere zu früh in ihrer Karriere gekommen: ein hübscher Mezzo, ein bisschen zu leise für die Staatsoper, in der Tiefe nicht sehr „voluminös“, mit guter Technik, aber in Summe noch zu wenig bühnenpräsent, um einen Premieren(!)-Abend an sich reißen zu können. Diesem braven Aschenputtel wurde von ihren Schwestern Clorinda (Valentina Nafornita) und Tisbe (Margarita Gritskova) die Show gestohlen – und das kann nicht der Sinn der Sache gewesen sein.

Natürlich war das von Marianne Glittenberg für Cenerentola ersonnene Kostüm eine Katastrophe und schon quasi „geschäftsschädigend“. So einen „pummeligen" Teenager darf man aus einer Sängerin nicht machen, selbst wenn sie das Aschenputtel zu mimen hat. Und dann noch diese Brille! Auch der Prinz wurde seine unvorteilhafte Brille bis zu Schluss nicht los. Sollte das gar ein königliches Paar aus milchgesichtigen, in Liebesdingen naiven Teenagern darstellen, wie sie Vorabendserien des „postmodernen“ Fernsehzeitalters zum Gaudium fünfzehnjähriger Facebook-NutzerInnen bereithalten? Aber vielleicht eröffnet das der Staatsoper neue Publikumsschichten.

Weder Dandini (Vito Priante) noch Don Magnifico (Alessandro Corbelli) und auch nicht Alidoro (Ildebrando D‘Arcangelo) ist es gelungen, ihre Figuren als seriöse komische „Charaktere“ zu formen. Auch gesanglich konnten sie sich von der teils recht billig abgegebenen Humorpackung Bechtolfer’scher Provenienz nur bedingt emanzipieren. Bei D’Arcangelo spürte man immerhin noch nachhaltige Bühnenpräsenz, auch wenn seine Stimme über Rossini schon ein wenig hinausgewachsen ist. Das Orchester unter Jesús López-Cobos blieb ebenfalls viel an Feinheiten schuldig, im Klang ohne Brillanz und phasenweise zu laut spielend. López-Cobos leitete aber mit einigem Schwung durch den Abend. Für eine Premiere war das allerdings schon sehr „kapellmeisterlich“.

Das Regieteam um Sven-Eric Bechtolf und Bühnenbildner Rolf Glittenberg hat die Handlung in den fiktiven südländischen Kleinstaat „San Sogno“ verlegt. Handlungszeit: Die 1950er-Jahre. Das ist eine witzige Idee, die funktioniert. Das Bühnenbild war zweckmäßig und wechselte zwischen der Behausung des Don Magnifico und dem Prinzenpalast hin und her. Die dabei entstehenden Lichtpausen waren dem raschen Handlungsablauf aber wenig zuträglich.

Don Magnifico logierte in einem nur wenig Bühnentiefe einnehmenden Gebäude. Von der hohen Rückwand führten allerhand Türen zu unterschiedlich genutzten Zimmern: Garderoben, Küche, Magnificos Schlafzimmer. Das war gut gelöst und brachte immer wieder Überraschungen in den Szenenablauf, etwa wenn vor dem Fest Cenerentola plötzlich Balletteusen verschiedenfärbige Kleider vorführen. Sie entscheidet sich dann für das blaue Kleid. Und beim Fest am Ende des ersten Aktes wirkte Aschenputtel wirklich apart – man hätte sich für das Finale eine ähnliche Lösung überlegen sollen.

Der Palast bestand im Wesentlichen aus einer schmucklosen Oldtimer-Garage (die wegen ihres begehrenswerten Fahrzeugbestandes sogar Szenenapplaus einheimste). Darüber lag eine Brüstung mit drei Schreibtischen – und darüber prunkte das Staatswappen: die Farben Italiens um ein Emblem vermehrt, das einen Hummer (!!) und eine Sichel (!!) zeigte. San Sogno erhielt dadurch den Charakter einer „liebenswerten“ Militärdiktatur mit öffentlich gelebter Transsexualität (!) wie man an den von Männern gespielten, berockten Sekretärinnen erkennen konnte. Das war schon ein wenig zu viel der Satire.

Dieses Setting wurde von Bechtolf mit phasenweise guter, auch pointierter Personenführung genützt, wovon vor allem der erste Akt profitierte (nicht nur weil, er länger ist als der zweite). Nach der Pause hatte sich der Ideenreichtum schon etwas erschöpft und es gab einige misslungene Momente. Etwa wenn zur Arie des Prinzen im Hintergrund völlig unmotiviert mit der Landkarte des Kleinstaates hin und hergewachelt wird. Das störte eminent! Misslungen ist auch die Szene nach dem Gewitter, wenn sich die Protagonisten auf dunkler Bühne sehr behelfsmäßig mit Taschenlampen ins Gesicht leuchten.

Dem Finale, wenn Prinz und Prinzessin im weißen Cabrio davon fahren, fehlte die Steigerung. Cenerentola im weißen Brautkleid und mit der ominösen Brille auf der Nase hantiert hier zuerst noch mit einem Putzkübel und beginnt den Boden der Garage zu schrubben!! Unpassender kann man das kaum inszenieren, auch wenn man Cenerentolas Verwirrung über den plötzlichen Umschwung ihres Schicksals darstellen möchte. Man denke nur daran, wie großartig das Finale an der Volksoper gelöst ist, wenn Cenerentola plötzlich einige Meter über dem Boden schwebt. Das ist Bühnenzauber!

Vielleicht hat Bechtolf aber auch seine sozialkritische Ader entdeckt. Don Magnifico prügelte im ersten Akt auf seine von ihm verleugnete Tochter ein, dass man schon glaubte, hier würden Exzesse aus der Lokalchronik einschlägiger Tageszeitungen verhandelt. Sehr „freizügig“ bekleidet gaben sich Aschenputtels Schwestern am Beginn – und die Anzüglichkeiten, die sich Alidoro mit der leicht bekleideten Eisverkäuferin erlaubte, waren auch sehr billig – um nicht zu schreiben „sexistisch“.

Fairer Weise muss man anmerken, dass ein Teil des Publikums während der Vorstellung immer wieder lachte und amüsiert schien. Die Buhs für die Regie blieben auch in der Minderheit. Vielleicht hat Bechtolf doch alles richtig gemacht?!