IL BARBIERE DI SIVIGLIA

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Rossini-Portal

Premiere
Staatsoper
28. September 2021

Musikalische Leitung:
Michele Mariotti
Inszenierung & Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Carsten Sander
Choreinstudierung: Thomas Lang

Graf Almaviva - Juan Diego Flórez
Bartolo - Paolo Bordogna
Rosina - Vasilisa Berzhanskaya
Figaro - Étienne Dupuis
Basilio - Ildar Abdrazakov
Fiorello - Stefan Astakhov
Ambrogio - Ruth Brauer-Kvam
Berta - Aurora Marthens
Ein Offizier - Alejandro Pizarro-Enriquez


Halb- oder ganz lustig?! Neuer Barbier an der Staatsoper“
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper eröffnete mit einem neuen „Barbier“ den Premierenreigen der Saison 2020/21. Die alte, aber immer noch brauchbare Inszenierung von Günther Rennert wurde durch eine quasi „semi-konzertante“ Produktion unter der Regie von Herbert Fritsch ersetzt, die – zumindest am Premierenabend – bei mir einen mehr „halblustigen“ als „überzeugenden“ Eindruck hinterließ.

Es ist schon „mutig“, den „Barbier“ seiner Requisiten und seines szenischen Umfelds zu berauben und ihn als „Opernpantomime“ zwischen nichtssagenden, beweglichen roten, grünen, gelben, blauen, weißen Flächen und Stoffbahnen zu stellen, die den Charme von plastikgefertigten Duschvorhängen verbreiten. Einmal wird im ersten Akt ein schwarzer Bauteil hochgefahren, der als Balkon dienen soll, aber dann nie wieder auftaucht. Gegen Schluss ist eine Leiter im Hintergrund zu sehen, die immerhin an die entsprechende Szene erinnert. Natürlich wurden schon zur Ouvertüre szenische Faxen gemacht (ein Schattenspiel) und gesungen wurde meist an der Rampe und ins Publikum. Allerdings sind die Mitwirkenden mit schönen, historisierenden Phantasie-Kostümen in der Mode des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ausgestattet.

Dass die Staatsoper dafür die Inszenierung von Günther Rennert geopfert hat, überrascht. In der alten Inszenierung stand die bühnenhohe Vorderansicht eines Hauses im Mittelpunkt. In seinen Zimmern lief die Handlung klar gegliedert und mit vielen Möglichkeiten für Situationskomik ab. Jetzt wird die Handlung weitgehend pantomimisch dargestellt und auf der leergeräumten Bühne wird puppenspielhaft herumgezappelt und getrippelt, und der anschauliche Witz, der sich aus der haptischen Interaktion mit Requisiten ergibt – das Rasierzeug, die geheimen Briefe, das Cembalo etc. – hat sich ins „Abstrakte“ verschoben. Nun ist das mit dem Humor sowieso ein schwierige Sache und was dem einem auf die Nerven geht, entzückt andere. Seitens des Publikums wurde gelacht, also wird es zum Teil gefallen haben, und es gab immer wieder Szenenapplaus.

Hat zumindest die musikalische Ausführung alle Bedenken zur Seite gewischt? Gleich der Beginn der Ouvertüre machte hellhörig und beim Gewitter im zweiten Akt konnte man die Regentropfen zählen. Michele Mariotti bot bei seinem ersten Auftreten am Pult der Wiener Staatsoper eine analytische Lesart der Partitur, differenziert, mit schlankem Klang, er komponierte seinen Rossini gewissermaßen im Orchestergraben nach. Das war interessant, aber verbreitete keine federnde buffoneske Opernlaune. Mariotti schraubte im Maschinenraum Rossinis herum und ergötzte sich an Details. Mehr Gespür für Komik und Bühne hätte die Aufführung stärker beflügelt.

Unter den Sängern reüssierte erwartungsgemäß Juan Diego Flórez am meisten. Er versagte sich zum Glück auch nicht die lange Arie im Finale, die zum Höhepunkt des Abends wurde. Flórez hat in früheren Jahren den Almaviva etwas „lockerer“ gesungen, die Spritzigkeit seines Tenors hat sich ein bisschen gesetzt, aber im Vergleich mit seinen Ausflügen zu Verdi ist der Almaviva für ihn nach wie vor ein stimmlicher „Maßanzug“. Akustisch hat er von der offenen Bühne nicht profitiert, aber er konnte sich wegen des Regiekonzeptes ohnehin meist an der Rampe aufhalten. Zum Auftritt als betrunkener Offizier durfte er sogar mit einem richtigen Degen herumfuchteln und musste ihn nicht pantomimisch nachahmen. Bei dieser Szene konnte man gut vergleichen: Die komische Wirkung dieses Auftritts ist viel stärker, wenn sie im gut möblierten Haus des Dottoro Bartolo verortet ist. Flórez wirkte dabei so jung wie vor zwanzig Jahren. Er hat den Almaviva bereits 1999 in Wien gesungen!

Ildar Abdrazakov war nach Flórez der zweite Pluspunkt des Abends, auch wenn man sich noch ein wenig mehr „Basskanonen“ in der Verleumdungsarie gewünscht hätte. Ètienne Dupuis brachte als Figaro einen etwas trockenen Bariton ins Spiel, der mir immer wieder zu forciert klang und der in seiner parlandohaften Geschmeidigkeit nicht wirklich überzeugte. (Er hatte, wie Anfang September angekündigt worden war, die Partie von Davide Luciano übernommen.) Ebenfalls neu im Premierenteam – anstelle von Marianne Crebassa – war Vasilisa Berzhanskaya als Rosina. Sie ließ mit guter Tiefe aufhorchen, die Stimme verlor im Forte aber schnell an Reiz und hinterließ einen insgesamt zu unausgewogenen Eindruck – ein Mezzo, der die jugendliche Kokettheit vermissen ließ und die berechnende Wandlungsfähigkeit von Rosinas Charakter nur bedingt vermittelte. Der Bartolo von Paolo Bordogna hatte es in diesem Bühnensetting vielleicht am schwierigsten. Mit seiner mitraähnlichen Frisur blieb er zumindest optisch deutlich erkennbar. Es gesellten sich noch hinzu: Aurora Marthens in der undankbaren Rolle der Berta (die die Chance ihrer Arie nicht recht zu nützen vermochte), sowie Stefan Astakhov als Fiorello und Ruth Brauer-Kvam als die Bühne mit allerhand Bewegungschoreographie auffüllender, puckartiger Ambrogio. Der Soldatenchor brachte in das Finale des ersten Aktes einiges Leben.

Der Schlussbeifall dauerte so um die acht oder neun Minuten lang. Die Sänger wurden bejubelt. Der Regisseur ließ sich beim Schlussvorhang auf die Bühne tragen (!), und es fanden sich so gut wie keine Bravorufer, um die Buhrufer zu übertönen.

Fazit: Eine zwiespältige Produktion, deren Einschätzung stark vom persönlichen Geschmack abhängt und die einem sehr schnell langweilig werden kann.