IL BARBIERE DI SIVIGLIA

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Kammeroper
13. März 2022

Musikalische Leitung:
George Jackson
Inszenierung: Christoph Zauner
Bühne: Nikolaus Webern
Kostüme: Mareile von Stritzky
Licht: Franz Tscheck

Graf Almaviva - Andrew Morstein
Bartolo - Andreas Jankowitsch
Rosina - Sofia Vinnik
Figaro - Timothy Connor
Basilio - Ivan Zinoviev
Berta - Miriam Kutrowatz
Fiorello - Philipp Schöllhorn
Notaio - Anle Gou
Un ufficiale - Fabian Balkhausen


Rette sich wer kann! Rossinis Barbier als Dystopie“
(Dominik Troger)


„Il barbiere di Siviglia“ als Dystopie. Ein Land im Nirgendwo mit kaputten Typen und herumliegenden Puppenkörpern. Sevilla nach einem Atomkrieg? Keine Ahnung. Ich kann nur eine Warnung aussprechen: So haben Sie den „Barbier“ noch nie gesehen!

„Figaro fristet auf einem dystopischen Flecken Erde schon lange sein verzweifeltes Dasein. Sein Ziel ist es, von hier fortzukommen, aber trotzdem versucht er, das Beste aus seiner Situation zu machen.“ So lauten die ersten zwei Sätze der Inhaltsangabe des „Il barbiere di Siviglia“ im Programmheft der Wiener Kammeroper zur aktuellen Produktion. Und diese Einleitung verspricht nicht zu viel. Das Regieteam um Christoph Zauner hat im wahrsten Sinne des Wortes „ganze Arbeit“ geleistet.

Am Beginn schneit es. Dann beginnen Insekten zu zirpen. Figaro haust als Obdachloser unter einer quaderförmigen Box, die sich bald als Rosinas Gefängnis „outen“ wird. Er hat Hunger und fängt sich so ein lärmschlagendes Tierchen und verspeist es. Er findet eine Pistole, die dann mitten in die Ouvertüre hinein mit einem KNALL loskracht. Eine Puppe lehnt an der Bühnenwand wie ein Toter. Weiß gekleidete Figuren tauchen auf. Die Musikanten? Sie bedrängen Fiorello. Später wollen sie sogar den Grafen aufhängen? Aber der Graf scheint die Situation im Griff zu haben.

Er bringt sein Ständchen Rosina, die in der genannten Box ihr videokameraüberwachtes Dasein fristet. Rosina ist naturgemäß verzweifelt. Der depressive Figaro kommuniziert mit ihr über eine Bodenklappe. Don Bartolo ist ein komischer Vogel, einerseits brutal, andererseits lässt er sich vom blanken Busen Rosinas in die Schranken weisen. Mit seinem schwarzen Gewand schaut er aus wie ein Bösewicht in einem James Bond-Film. Berta, seine Assistentin, trägt ebenfalls schwarz und einen Revolvergurt. Sie dient als Sicherheitsfachkraft und Sekretärin. Don Basilio macht mit Bartolo seltsame elektrische Experimente. Während der Verleumdungsarie setzt er ihm eine Metallhaube auf den Kopf und bearbeitet ihn mit Stromstößen. Bartolo zappelt dazu lustig mit den Armen und Beinen.

Ein Seil mit verhängnisvoller Schlinge hängt drohend von einem dürren Bühnenbaum. Ein Querverweis auf die französische Revolution? Soll sie den suizidgefährdeten Figaro zu sich locken? Um deutlich zu machen, dass Figaro sogar während seiner berühmten Kavatine Selbstmordgedanken quälen, unterbricht (!) er diese und beginnt auf Deutsch zu zählen „eins... zwei...... drei.........“ – wie Papageno in der „Zauberflöte“, der sich aufhängen möchte, bevor die drei Knaben ihm gut zureden. Dabei drückt er einen der herumliegenden Puppenkörper wie bei einer Herzmassage. An dieser Stelle der Aufführung gab es einen prägnanten Zwischenruf aus dem skeptisch das Bühnentreiben beobachtenden Publikum: „Das ist die falsche Oper!“ Ganz kurz flackerte verhaltenes Lachen auf.

Nach der Pause wurde das Publikum mit Alban Bergs Lied „Schlafen“ beglückt. Rosina gibt es in der Musikstunde als Einlage zum Besten, um Bartolo in den Schlaf zu singen. Dann hat sie mit dem als Musiklehrer verkleideten Grafen Sex. Aber trotzdem geriet der Teil nach der Pause bekömmlicher. Die Opera buffa – etwa in der Szene, in der Basilio weggeschickt wird – trotzte verzweifelt den Versuchen, sie ganz umzubringen. Man beginnt zu ahnen, was bei einem weniger verkopften Regiekonzept vielleicht an Schwung möglich gewesen wäre. Das Finale bleibt offen. Hat Rosina mit der Ehe nur das Gefängnis getauscht? Sie streckt die Hand nach einem Luftballon aus, aber er ist zu hoch, sie kann ihn nicht erreichen.

In einem leicht schwurbeligen Interview im Programmheft zur Aufführung erfährt man etwas mehr über die Intentionen, und dass dem Regieteam sogar aufgefallen ist, dass Rossinis Musik nicht (!) zum Regiekonzept passt. Der Dirigent George Jackson tröstet das Publikum, in dem er ausführt, dass an der Musik nichts geändert werde – und er erklärt: „(...) die Musik hat in dieser Produktion eine andere Aufgabe, als sie es normalerweise hat. Hier spielen wir die Hoffnung, die die Figuren aber lediglich spüren können, nur eine vage Ahnung davon haben, wie es besser sein könnte. Das Helle und das Frische in der Musik (...) wollen und können wir nicht entfernen, aber zusammen mit der Dystopie erklingt die Hoffnung aus dem Orchestergraben.“

Die Ausführenden litten schwer unter dem seltsamen Regiekonzept. Jedes Ensemble kann einem bei solch zwangsverordneten „Dekonstruktionen“ nur leid tun. Wie soll Figaro seine Kavatine wirkungsvoll präsentieren, wenn er eine Depressivling zu mimen hat und sie außerdem noch unterbrechen muss? Die kecke Schlauheit Rosinas, ihr Spielwitz, wird sich schwerlich umsetzen lassen, wenn sie sich quasi als „Metoo-Opfer“ immer wieder traumatisiert in eine Ecke ihres Gefängnisses zurückzuziehen hat. Die Lust an der Intrige war an diesem Abend auch kein Thema.

Trotzdem war die Rosina von Sofia Vinnik ein Lichtblick – und ihr leichter Mezzo hätte unter anderen Bedingungen einen noch erfrischenderen, quirligeren Eindruck hinterlassen. Der stärkste Leidtragende der regieverordneten Absurdität war Figaro. Die Rolle wurde geradezu ins Gegenteil verkehrt. Vielleicht hätte Timothy Connor unter anderen Bedingungen seinem Bariton mehr italienische Geschmeidigkeit entlockt, so klang es – zur Inszenierung durchaus passend – etwas „harsch und hölzern“. Andrew Morstein kam beim Conte da und dort ins „Schwitzen“, eine leichtfüßig absolvierte „Rossini-Tour“ war das nicht. Andreas Jankowitsch bot einen etwas rigiden, aber präsenten Don Bartolo. Der junge Bass des Ivan Zinoviev wird dem Don Basilio im Laufe der Jahre stimmlich gewiss noch mehr „Gewicht“ verleihen, aber – die Berta der Miriam Kutrowatz eingeschlossen – das Potenzial für einen spritzige Rossiniaufführung wäre vorhanden gewesen, zumal auch George Jackson mit dem Wiener KammerOrchester hörbar und differenziert gearbeitet hat. Jacksons Rossini hatte Humor und kurbelte den Abend „hoffnungsfroh“ an. (Gespielt wurde eine reduzierte Orchesterfassung von Jonathan Lyness.)

Die Aufführung hatte zudem unter COVID-bedingten Umbesetzungen zu leiden. Fiorello, Notaio und der Ufficiale konnten nicht antreten. Deshalb wurden die Partien notgedrungen auf der Bühne von Mitgliedern des Produktionsteams gemimt, während, mit Noten an der Bühnenseite platziert, drei Einspringer für den gesanglichen Teil sorgten. Bereits im Vorfeld war die für 8. März geplante Premiere kurzfristig um ein paar Tage auf Freitag verschoben worden. Die Kammeroper war gut besucht, aber nach der Pause waren die Plätze etwas lockerer besetzt, weil einige Besucher die Flucht ergriffen hatten. Am Schluss gab es für alle Beteiligten viel Applaus.

PS: Nach meinem Eindruck ist das künstlerische Niveau an der Kammeroper seit der Übernahme durch das Theater an der Wien vor zehn Jahren kontinuierlich gesunken. Früher hat sich die Programmplanung den Möglichkeiten dieses kleines Hauses viel besser angepasst, auch die Auswahl der Regisseure war von mehr Hausverstand geleitet.