MEDEA
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Staatsoper
9.3.2010

Musikalische Leitung: Michael Boder
Inszenierung, Bühne Licht: Marco Arturo Marelli
Kostüme: Dagmar Niefind

Medea - Marlis Petersen
Kreusa - Michaela Selinger
Gora - Elisabeth Kulman
Kreon - Michael Roider
Jason - Adrian Eröd
Herold - Max Emanuel Cencic


„Medea als Publikumserfolg

(Dominik Troger)

Zumindest die Premierenserie von Aribert Reimanns „Medea“ hat bewiesen, dass zeitgenössische Oper an der Staatsoper wirklich gut besucht sein kann. Bei der hier besprochenen vierten Aufführung war das Stehparterre sogar ausverkauft – und auch zur Pause verließen keine Scharen das Haus.

Wer für die letzte Aufführung dieser Serie kommenden Freitag noch Karten sucht, es gibt nur mehr wenige laut Onlineverkauf. (Es handelt sich allerdings um eine Aufführung im Abonnement). Wer auf einen Stehplatz reflektiert, sollte sich rechtzeitig bei der Abendkasse anstellen. Der Schlussapplaus erreichte bei dieser vierten Aufführung zwar nicht mehr die Ausmaße der Premiere, zeugte aber deutlich davon, dass das Werk „gefällt“ – und dass man die Leistungen der Ausführenden zu würdigen weiß. Er dauerte knappe zehn Minuten.

Reimann macht es dem Publikum nicht leicht, aber auch nicht allzu zu schwer: die Handlung ist in durchaus konventionellem Sinne nachvollziehbar und sein dramaturgisches Gespür ist untrüglich. Die Musik erschien mir bei dieser zweiter Begegnung mit dem Werk allerdings eine Spur spröder als in der Premiere. Der Teil vor der Pause färbt sich bis zum Auftritt des Herolds in eine klangliche Kargheit, die an die rauhe Luftigkeit von Bimsstein erinnert – wird doch Medeas inneres Feuer zu diesem Zeitpunkt von ihr noch selbstverleugnerisch auf kleiner, oft kammermusikalisch flackernder Flamme gehalten. Erst nach der Pause entfacht es sich zu einem zerstörerischen Vulkanausbruch.

Wichtig ist der Auftritt des Herolds, er drängt die etwas unausgewogene Haltung Kreons zur Entscheidung, er ist der Schicksalsbote. Das hat Reimann musikalisch mitreißend gestaltet. Von diesem Moment an beginnt sich der Charakter der Musik zu verändern, gewinnt er etwas an Farbe und arbeitet nach der Pause deutlich an der dramatischen Zuspitzung des Geschehens.

Die Führung der Singstimmen mit den beständigen Intervallsprüngen fesselt die Aufmerksamkeit, hat zugleich aber auch etwas Verzehrendes an sich. Auffallend ist die am Ende von Sinnphrasen meist nach oben ansteigende Gesangslinie, die vermeidet, dass sich Gedanken abrunden, dass die Bühnenfiguren Ruhe finden. Schon die Art wie sie singen zeugt von der Exponiertheit ihrer Situation.

Diese Exponiertheit ist für Kolchisauswanderer und Griechen ähnlich konzipiert. Bei Kreusa erscheint sie in einer mehr spielerischen Form, deutlich „koloraturnäher“ als beispielsweise bei Medea. Gora wiederum scheint dagegen geerdeter, repräsentiert Kolchis in einer unverfälschteren Art, mit einer großen Spannweite zwischen hohen und tiefen Tönen. Jason wirkt dagegen weniger prononciert, darf manchmal sogar ins Rezitativ verfallen, wenn er Medea abkanzelt.

Reimann scheint Jason nicht sehr geschätzt zu haben, so wie er ihn verkomponiert hat. Es kommt deutlich heraus, dass er ein widerlicher Typ ist – während Medea am Schluss zur Tragödin emporwächst, der man sogar den Kindsmord nachsieht. Der Komponist hat hier eindeutig Partei ergriffen: der gebrochene, widerwärtige Jason im Schlussbild, die heroisch ihre Schuld auf sich nehmende Medea. Was dabei auffällt: Reimann urteilt nach dem Charakter und nicht nach einer Ideologie. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund für den Publikumserfolg.

Marlis Petersen war an diesem Abend wieder eine begeisternde Medea, vielleicht gesanglich eine Spur weniger an die Grenzen gehend als in der Uraufführung. Elisabeth Kulman schien mir sogar noch besser disponiert als in selbiger, und Adrian Eröd dürfte am Jason weiter gefeilt haben, um seine Kanten zu schärfen. Michael Roiders Kreon ließ einen die stimmliche Anspannung erahnen. (Diese Partie könnte man wahrscheinlich noch deutlicher akzentuieren, hier wären Besetzungsalternativen mit charakteristischen Stimmfärbungen eventuell nicht uninteressant. Allerdings sollte aus dem Kreon wohl kein Herodes werden, obwohl mich manches an der Rolle an den Aegisth erinnert ;-)

Michaela Selinger hat als Kreusa an naivdümmlicher Unbekümmertheit und Lockerheit gewonnen, beides passt sehr gut zu dieser Partie. Der Herold von Max Emanuel Cencic ist eine Ausnahmeerscheinung. Cencic besitzt einen tragfähigen Countertenor mit klaren Konturen und einem strahlenden, angenehm gerundeten Klang. Er passt für diese Rolle ideal.

Das Staatsopernorchester unter Michael Boder wirkte wieder überzeugend – der Abend schien mir aber insgesamt nicht mehr die Dichte und Spannung der Uraufführung zu erreichen. Ein Effekt, der vielleicht auf das fehlende Überraschungsmoment zurückzuführen ist.

Noch zur Szene: Das Kippen des Bühnenhintergrundes mit den Steinen, die dann zu Rollen beginnen, macht ausgezeichneten Effekt. Und wenn sich dann der große Stein löst und gegen die Metallstreben der Stiege donnert, fürchtet man schon alleine deshalb um Medea, die auf dem Treppenabsatz kniet und singt. Jason droht mit dem Schuhstrecker übrigens nicht Medea, sondern Gora – bei der Premiere hatte ich das noch anders gesehen.

Freitag gibt es die letzte Chance in dieser Saison, „Medea“ kennenzulernen: frau/mann sollte die Möglichkeit für ein spannendes „Rendevous“ wahrnehmen.