L'HEURE ESPAGNOL /

LES MAMELLES DE TIRÉSIAS

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Kammeroper
28.5.2015
Premiere

Musikalische Leitung: Gelsomino Rocco

Inszenierung: Philipp M. Krenn
Ausstattung: Uta Gruber-Ballehr
Licht: Martin Knaupp
Video: Peter Hübelbauer

Wiener KammerOrchester
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

L´heure espagnole

Conception - Natalia Kawalek
Gonzalve - Vladimir Dmitruk
Ramiro - Tobias Greenhalgh
Don Inigo Gomez - Christoph Seidl
Torquemada - Julian Henao Gonzalez

Les mamelles de Tirésias

Thérèse | La cartomancienne - Gan-ya Ben-gur Akselrod
La marchande de journaux | La dame élégante | la grosse dame
- Natalia Kawalek
Le directeur | Le gendarme - Tobias Greenhalgh
Lacouf - Vladimir Dmitruk
Presto | Le monsieur barbu - Christoph Seidl
Le mari - Ben Connor
Les fils | journaliste - Julian Henao Gonzalez


„Enttäuschende Premiere“
(Dominik Troger)

Die Kammeroper hat Maurice Ravels impressionistische Uhrmachererotik „L’heure espagnole“ und Francis Poulencs surrealistisch-schwungvolle „Les mamelles de Tirésias“ zu einem Opernabend zusammengespannt: ein Unterfangen, das (mich) nicht zu überzeugen vermochte.

Der erste Einwand betrifft schon die für das kleine Hauses erarbeitete Kammermusikfassung, die vor allem die Klangwelt Ravels viel zu stark beschneidet. Gelsomino Rocco, der musikalische Leiter der Produktion, hat die beiden Partituren diesbezüglich bearbeitet. Er bekennt in einem kurzen Beitrag für das Programmheft, dass ihm das vor allem bei Ravel nicht leicht gefallen sei. Von dem in subtile Farben getauchten spezifischen Klangraum Ravels, den eine erotisierende Mechanik ironisch durchstreift, ist nicht viel übrig geblieben. Poulencs „Les mamelles de Tirésias“ mit seinen varietehaften Zügen eignet sich besser dazu, verschlankt zu werden, wie der Abend bewies.

Der zweite – ganz große – Einwand betrifft die szenische Umsetzung. Philipp M. Krenn verfiel auf den – leider – naheliegenden Gedanken, beide Einakter zu einem „Zweiakter“ zu machen. Deshalb erfährt das Publikum am Beginn durch die „halblustige“ Ansprache eines Theaterdirektors, dass es jetzt einer Generalprobe beizuwohnen habe. Geprobt wird „L’heure espagnole“ bis zur Pause. Danach spielt die Handlung von „Les mamelles de Tirésias“ nicht im fiktiven Ort Zanzibar, in dem sich eine Frau in einen Mann verwandelt und ein Mann zehntausende Kinder gebiert, sondern offenbar in der Theatergarderobe während (!) der Generalprobe von „L’heure espagnole“. Denn am Schluss wird szenisch das Schlussbild von Ravels Kurzoper noch einmal nachgestellt. Außerdem gab es Lautsprechereinspielungen, die Sänger auf die Bühne zur Probe von „L’heure espagnole“ beorderten.

Vielleicht hätte dieser große Rahmen schlüssiger gewirkt, wäre die Verortung von Poulencs surrealer „Opéra bouffe“ in einer Theatergarderobe entsprechend dem bunte, surreale Bilderwelten anregenden Libretto (auf einen Text von Guillaume Appolinaire) für das Publikum erkennbarer und phantasievoller umgesetzt worden. Aber als Streit zwischen Regisseur (Ben Connor) und Regieassistentin (Gan-ya Ben-gur Akselrod) – der offenbar als Auslöserreiz für die Mannwerdung von Frau Theresa dienen sollte – war schon die Ausgangssituation wenig verheißungsvoll. Und das Gewurle von Darstellern und GarderobierInnen sowie in Folge die kleinen Monitore, über die abstrakte Bilder flimmerten, lösten die Handlung von „Les mamelles de Tirésias“ bis zur Unkenntlichkeit auf. Vielleicht wollte Krenn die Welt des Theaters ironisch auf die Schaufel nehmen, aber dann hätte er sich an Donizettis „Viva la Mamma“ halten sollen.

Insgesamt wurde die sehr konkrete surreale Bildsprache von „Les mamelles de Tirésias" stark vernachlässigt. Krenn und die Ausstatterin Uta Gesina Gruber-Ballehr fanden eine optisch zu düstere, viel zu realistische szenische Sprache für dieses Stück absurden Humors, das derart kräftig „entzaubert“ wurde – und die erotische Überzeugungskraft eines Büstenhalters ist doch ziemlich karg und unspannend, wenn Appolinaire und Poulenc eigentlich von einem davonfliegenden Frauenbusen träumen. (Derart wird das Publikum, so wie es das Stück ironisch anregt, schwer mehr Kinder in die Welt setzen. „Oh Franzosen, macht Kinder" so lautet übersetzt der Wahlspruch des Librettos, mit dem Guillaume Appolinaire auf damals gängige politische Propagada reagierte, die den Geburtenrückgang in Frankreich stoppen wollte.)

Noch viel mehr entzaubert wurde seitens der Regie die „Spanische Stunde“ – ein Elefant im Porzellanladen könnte nicht mehr Schaden anrichten, als Herr Krenn im Ravel’schen Uhrengeschäft. Das Konzept von der „Probe als Aufführung“ zählt überhaupt zu den fragwürdigsten, denen sich Opernregisseure inzwischen befleissigen können. Und wenn dann noch der Gang der Handlung durch einen herumschreienden „Regisseur“ unterbrochen wird, der stürmisch durch Dreiviertel des Zuschauerraums läuft, um auf der Bühne Unverständliches von sich zu geben, dann fliegt dieser musikalisch so feinfühlig ausstaffierte impressionistische Uhrladen des Herrn Ravel gleich ganz auseinander. Zu allem Überfluss wurden noch technische Defekte in die Produktion eingebaut. Als der Poet die Standuhr, die der Maultiertreiber gleich zu schultern gedenkt, durch eine Kulissentür verlassen möchte, klemmt diese und löst Reaktionen seitens des Regieteams aus. Einmal geht gar die Kulisse hoch, Scheinwerfer werden herabgelassen und repariert. Dagegen ist die Regieasisstentin, die sich manchmal gestisch einschaltet oder über die Bühne schleicht noch das geringste Übel. Krenn wäre außerdem nicht der erste Regisseur, der auf den vordergründig etwas biederen Humor der Handlung hereinfällt, was auch in der teils unsubtilen Personenführung spürbar wurde.

Die Sängerinnen und Sänger zeigten an diesem Abend eine Tendenz, gemessen an dem kleinen Saal, zu laut zu singen. Gerade Ravel hat sehr viel Wert auf das Raffinement des gesanglichen Ausdrucks gelegt, erfordert gewissermaßen ein kunstvolles, belcanto-orientiertes „Parlando“. Insofern hat auch die musikalische Umsetzung den grundlegenden Gestus von „L’heure espagnole“ verfehlt, obwohl das junge Ensemble, das die Kammeroper aufgeboten hat, es durchaus vermocht hat, die Rollen mit ansprechendem Charakter und Stimmen auszufüllen: von der (regie-übertrieben) lüsternen Conception der Natalia Kawalek, über den bodenständig-kräftigen Maultiertreiber des Tobias Greenhalgh, den tollpatschigen reichen Liebhaber Christoph Seidl, den verträumten Poeten Vladimir Dmitruk bis zum geschäftssinnigen Uhrmacher Julian Henao Gonzalez. Ohne die angesprochenen regiebedingten Unterbrechungen hätte die „Spanische Stunde“ szenisch sogar gut funktioniert, zwar etwas banalisierend, aber nicht ohne Humor. Das stilisierte einfache und etwas „flach“ wirkende Bühnenbild, mit viel weißem Hintergrund und mit schwarzen, dünnstrichig gemalten Uhren auf kleineren und größeren weißen „Kartons“ sowie die „spanisierenden“ Kostüme waren zweckmäßig, wenn auch eher phantasielos.

In „Les mamelles de Tirésias“ hat die Thérese mit Gan-ya Ben-gur Akselrod den leicht soubrettenhaften „Feminismus“ nicht wirklich über die Rampe gebracht und vermochte die zum Mann gewordenen Frau gerade in der Sopranhöhe nicht auf die „Spitze“ zu treiben – und Ben Connor wirkte ein wenig „gemütlich“ und zu wenig „raffiniert“ für einen Mann, der über 40.000 Kinder gebiert. Die absurde Überspitzung wurde weder szenisch noch stimmlich mit „Pfiff“ transportiert, ebensowenig wie das Wechseln zwischen den Stilen, wobei Poulenc zwischen melancholisch-romantischen und buffonesken Sequenzen changiert, die manchmal an frühe Filmmusik erinnern, an Music-Hall-Reminiszenzen, die chansonhaften Charakter gewinnen, oder sich wieder auf die Opera comique des 19. Jahrhunderts besinnen.

Das Publikum klatschte zwar einige Minuten lang Schlussapplaus, aber in Summe klang der für meine Ohren mehr „korrekt“, als „enthusiastisch“.