DIE SPANISCHE STUNDE / L'HEURE ESPAGNOL
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Wiener Volksoper
31.3.2007
Premiere

Dirigent: Dietfried Bernet

Inszenierung Ravel: Aniara Amos
Inszenierung Orff: René Zisterer
Kostüme & Bühne: Maria-Elena Amos
Licht: Wolfgang Könnyü

Die spanische Stunde (Ravel):

Concepcion - Adrineh Simonian
Gonzalve - Jörg Schneider
Torquemada - Heinz Zednik
Ramiro - Morten Frank Larsen
DonInigo Gomez - Lars Woldt

Die Kluge (Orff):

Der König - Wolfgang Koch
Der Bauer - Sorin Coliban
Des Bauern Tochter - Jennifer O'Loughlin
Der Kerkermeister - Gerhard Ernst
Der Mann mit dem Esel - Daniel Behle
Der Mann mit dem Maulesel - Daniel Schmutzhard
Erster Strolch - Karl-Michael Ebner
Zweiter Strolch - Einar Th. Gudmundsson
Dritter Strolch - Stefan Cerny


„Ungleiches Gespann“
(Dominik Troger)

An der Volksoper hat man zwei Einakter zusammengespannt: Ravel trifft auf Orff. Doch die beiden Herren reden aneinander vorbei. Es genügen ein paar archaisch rhythmisierte Takte Orff’scher Handschrift und Ravels subtil-ironische Präzisionspartitur zerspringt federn- und schräubchenschleudernd wie das Gehäuse einer mechanischen Uhr nach festem Schlag.

Dieser Vergleich ist naheliegend, weil Ravels „Die spanische Stunde“ mit musikalisch feingearbeiteten, aber bissigen Rädchen die erotischen Leidenschaften einer Uhrmachersgattin im spanischen Toledo aufs Korn nimmt. Über seine Motivation, diese knapp einstündige Kurzoper zu schreiben, notierte er: „Eine Menge von Dingen verführten mich in dem Werk, die Mischung von vertrauter Unterhaltung und geflissentlich lächerlichem Lyrismus, die Atmosphäre ungewöhnlicher und amüsanter Geräusche, die in diesem Uhrmacherladen die Personen umhüllt. Schließlich die Vorteile, die aus dem malerischen Rhythmen der spanischen Musik zu ziehen waren.“ (Zitiert nach dem Programmheft zur Aufführung Seite 11). Verbunden hat Ravel seine Musik eng mit der französischen Sprache (an der Volksoper spielt man eine Übersetzung von Marcel Prawy).

Nun ist Ravel kein Komponist „für alle Fälle“ (abgesehen von einem bestimmten, sehr bekannten Orchesterstück), und wenn man sich schon die Mühe macht, eine seiner beiden Kurzopern aufzuführen, dann sollte man sich auf Ravels bekannt hohe Ansprüche einlassen und nicht die Zuflucht bei derzeit sehr beliebten Trivialitäten suchen. Die Kernaussage der Volksopernproduktion lässt sich nämlich eindeutig dahingehend zusammenfassen: Je früher ein Mann seine Hose fallen lässt, umso unbrauchbarer ist er als Liebhaber. Von Ravels „mechanischer Phantasie“, vom „Klangraum“ des Uhrladens, den Concepcion, erotisch knisternd durchstreift, war nichts zu sehen oder zu spüren.

Regisseurin Aniara Amos inszenierte vor allem eine platte Gesellschaftskomödie, berechnet auf ein paar Lacher im Publikum, garniert mit seltsamen Figurenverdoppelungen (auch so eine Mode derzeit – wie Männer in Unterhosen), die offenbar das Vergehen der Zeit verdeutliche sollten. Dazu kam ein sehr einfach gehaltenes Bühnenbild, das durch einen kopfnickenden Kaktus und einen beweglichen Arm in einem Vogelkäfig surreal entfremdet wurde. Die beiden Standuhren, die für die Handlung wichtig sind, waren auf Platten gemalt, die man schnell abnehmen kann. Die Personenregie versuchte zwar, sich an Ravels musikalischen „Kommentaren“ auszurichten, versagte aber vor dem raffiniert konstruierten Humor, den Ravels „Musikkomödie“ durchzieht.

Die SängerInnen machten wohl noch das Beste aus manch lächerlicher Pose. Trotzdem konnten sie dem Werk nicht „auf die Sprünge helfen“. Es kam nicht an die Oberfläche, was als verschränkendes Geheimnis im Hintergrund ruht, die Erotik der Mechanik, die Mechanik der Erotik, das tickend-lockende Uhrwerk als weibliches Objekt männlicher Begehrlichkeit, Ravels intellektuell-boshafte Ironie – und seine zwischen den Noten versteckten Sehnsüchte. Gesanglich war das Ensemble gut unterwegs, am profiliertesten vielleicht Jörg Schneider als Dichter, aber der hatte es auch leichter seine lyrischen Übertreibungen anzubringen. Heinz Zednik hatte zwei Kurzauftritte als etwas seltsam ausstaffierter Uhrmachermeister, Adrineh Simonian gab eine hübsche Uhrmachersgattin, Morten Frank Larsen einen ebensolchen Maultiertreiber (es passt schon, dass sich die zwei „bekommen“). Lars Woldt musste als dümmlicher Bankier in peinlicher Aufmachung seinen „Mann“ stellen, er verzagte nicht.

Das Publikum ließ dem Ensemble Bravorufe angedeihen, bei der Regisseurin brach der Applaus deutlich ein. Es gab wenige, nicht sehr durchschlagskräftige Buhrufe.

Nach der Pause wurde es deftiger – „Die Kluge“ überrumpelte Ravels Impressionismus mit volksnaher, spielmannmusik-inspirierter Motorik. Die brachte auch Dietfried Bernet mit dem Volksopernorchester zu ziemlich deutlichem, (über-)lauten Ausdruck. „Die Kluge“ ist ein Stück, das nach wie vor eine starke Bühnenwirkung hervorruft: die Orff’sche Mischung aus Musik und gesprochenem Text, das kunstsprachliche Libretto, ein gut konstruierter Handlungsablauf, die ostinatogeschwängerte Musik.

Leider blieb auch hier die Ausstattung dürftig, erst das Schlussbild leistete sich einen „emotionalen Beitrag“ zu dieser Märchenoper. Damit hatte wahrscheinlich das Regiekonzept von René Zisterer zu tun, der sich dem Märchen verweigerte und auf eine „Charakterisierung“ der Figuren drängte – verkürzt zusammengefasst: Der König entdeckt das „Du“ und das „Selbst“ (Programmheft Seite 18). Wahrscheinlich wurde deshalb auch hier verdoppelt (leider schaffte es das Königsdouble in der vorletzten Szene nicht, geräuschlos hinter einem Bühnenvorhang zu verschwinden). Da wirkten die drei Strolche viel lebendiger als der König und die Kluge, und waren, versehen mit seltsam verkonstruierten Anzügen, als kleine, fiese Persönlichkeiten ausgeformt. Ihre Auftritte waren allesamt komödiantische Höhepunkte. Die Rezitative wurden insgesamt gut und pointiert gesprochen.

Jennifer O’Loughlin strahlte als Kluge in weiser Schönheit und wusste sich vor dem etwas einfältig gezeichneten König Respekt zu verschaffen. Wolfgang Koch (König) war mehr zum Lospoltern angehalten (stimmlich ist er ohnehin für nahezu jede Vorstellung ein Gewinn, in der er auftritt). Das Ensemble war bis in die kleineren Partien sehr gut besetzt und hinterließ insgesamt einen sehr geschlossenen, bühnenwirksamen Eindruck.

Das Publikum honorierte die Leistungen der Mitwirkenden mit viel Applaus. Er war deutlich stärker als beim Ravel-Stück vor der Pause. Die Regie wurde wohlgefällig aufgenommen. Allerdings hätte der Abend noch ein paar Zuschauer mehr vertragen.