L'ENFANT ET LES SORTILEGES / OLYMPIA

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Kammeroper
26. Februar 2019
Premiere

Musikalische Leitung: Raphael Schluesselberg

Inszenierung: Barbora Horáková-Joly
Ausstattung: Eva-Maria van Acker
Licht: Franz Tscheck
Choreographie: James Rosental

Wiener KammerOrchester

L'enfant et les sortileges

Hoffmann (stumme Rolle) - Quentin Desgeorges
Hoffmann als Kind bzw. L'enfant - Tatiana Kuryatnikova
Hoffmann als kleines Kind (stumme Rolle) - Samuel Wegleitner
Mutter / Tasse / Libelle - Juliette Mars
Sessel / Baum - Dumitru Madarašan
Lehnsessel / Hirtin / Eule / Eichhörnchen - Ghazal Kazemi
Uhr / Kater - Georg Klimbacher
Teekanne / Kleiner alter Mann / Frosch - Johannes Bamberger
Feuer / Prinzessin / Nachtigall - Ilona Revolskaya
Junge Hirtin / Katze / Fledermaus - Jenna Siladie

Olympia-Akt aus Les contes d'Hoffmann

Hoffmann - Quentin Desgeorges
Olympia - Ilona Revolskaya
Coppelius - Dumitru Madarašan
Spalanzani - Johannes Bamberger
Nicklausse (Hoffmann als Kind) - Tatiana Kuryatnikova
Hoffmann als kleines Kind (stumme Rolle) - Samuel Wegleitner


„Zu viel Hoffmann?“
(Dominik Troger)

An der Kammeroper hat man Maurice Ravels „L’enfant et les sortileges” und den Olympia-Akt aus „Hoffmanns Erzählungen“ zusammengespannt und ein dramaturgisches Konzept darüber gelegt: Hoffmann als Kind und Hoffmann als Erwachsener, der seine Kindheit nicht los wird.

„L’enfant et les sortileges” erzählt die Geschichte eines Kindes, dass aufsässig ist, keine Schulaufgaben machen möchte, sondern in seinem Zorn Gegenstände und Tiere malträtiert. Aber dann – in einem zauberhaften Moment – beleben sich die Gegenstände, beginnen die Tiere zu sprechen, und beschweren sich darüber, dass sie von diesem Kind schlecht behandelt werden. Albtraumartig erfährt das Kind von dem Leid, das es anderen zugefügt hat. Weil es schlussendlich aber doch Mitleid zeigt, hat der Aufruhr der gequälten Kreatur ein Ende, und das Kind wird – vielleicht geläutert – wieder der mütterlichen Obsorge überlassen.

Dem steht der Inhalt des Olympia-Aktes aus Jaques Offenbachs „Les Contes d’Hofmann“ gegenüber, die Geschichte vom singenden Automaten, in den sich Hoffmann verliebt hat – auch eine Art von Albtraum, aber ganz anderer Natur. In Ravels Kindheitstraum scheint „Heilung“ noch möglich, in der Welt Hoffmanns verwirklicht sich die Desillusion eines Erwachsenenlebens, das sich in eine Phantasiewelt und in Alkohol flüchtet. Wie verklammert man aber diese beiden Stücke, so man sie – aus welchen Gründen auch immer – an einem Abend gemeinsam aufzuführen gedenkt? Muss man sie überhaupt konzeptuell verklammern?

An der Kammeroper war man offenbar dieser Meinung. Die Inszenierung von Barbora Horáková Joly verortet in „L’enfant et les sortileges” eine Kindheitserinnerung Hoffmanns, sein Aufbegehren gegen die Welt der Erwachsenen, das er auch später nicht ablegen wird. Hoffmann tritt deshalb in den beiden (!) Stücken in verschiedenen Altersstufen auf: als kleines Kind, als Kind, als Erwachsener – und das durchaus auch gleichzeitig (das ist gewiss eine inszenatorische Novität). Seitens des Bühnenbildes wurde die gemeinsame Hülle einer Jahrmarktsbude konstruiert: „Peep-O-Rama“ genannt. Hoffmann besucht selbiges, sieht dort Olympia, erinnert sich dann an seine Kindheit.

Nun ist das nichts Neues, dass Hoffmann den Flachmann auspackt, um seine albtraumhafte Phantasie durch alkoholindizierte Wahnvorstellungen zu befördern. Aber dass er in „L’enfant et les sortileges” als stummer Darsteller zuerst Notizen machend, später schwer psychisch leidend über die Vorderbühne robbt etc. ist etwas gewöhnungsbedürftig. Aber glücklicherweise stört Hoffmann sein in Ravels Einakter transferiertes Alter Ego meist nicht so stark, dass man als Zuseher diesen unnötigen Kommentar nicht ausblenden könnte. In „Olympia“ mutiert das Hoffmann-Kind aus „L’enfant et les sortileges” zu Nicklausse (im Programmheft zur Aufführung „Hoffmann als Kind“ genannt) – im Rahmen dieses Konzepts ein naheliegender Einfall – und der stumme erwachsene Hoffmann des Ravelstücks singt und spielt dann den betrunkenen, verwirrten Liebhaber eines Singautomaten. Auch Hoffmann als kleiner Bub kommt wieder vor.

Abgesehen von diesem „konstruierten“ Überbau, hatte Barbora Horáková Joly die Bühne aber „gut im Griff“. „L’enfant et les sortileges” erfordert für eine Spieldauer von einer dreiviertel Stunde viel szenischen Aufwand – und die kleine Bühne der Kammeroper macht das nicht einfacher. Die Perspektive des Kindes, aus der Ravel sein Stück spielen lässt, kam optisch allerdings wenig heraus, aber der bunte Reigen singender Möbelstücke, Kannen, Katzen usf. wurde von ihr mit einigem Witz und einem guten Gespür für Bühneneffekte zum Leben erweckt. (Warum der Garten so schäbig aussehen musste, hat sich mir freilich nicht erschlossen.)

In „Olympia“ wurden dann anfänglich die drei oder vier „Choristen“ ins Publikum gesetzt und durften dort kurz „Radau“ machen. Olympia selbst ward als Puppe von Spalanzani per Funk gesteuert – und als ihr die Batteriekräfte schwanden, wurden sie durch einen Kuss Hoffmanns neu aufgeladen. Natürlich hat die Regisseurin auch gesellschaftskritische und emanzipatorische Hinweise eingestreut und Olympia mit Pfanne, Baby, Gebetbuch, das „Küche, Kind, Kirche“ des 19. Jahrhunderts untergeschoben. Viel offensichtlicher ließ sie Hoffmann zum Chor eine Sexpuppe aus Plastik zornig quetschen – also sein kindliches Aufbegehren aus „L’enfant et les sortileges” jetzt an Frauen üben. Ansonsten wurde die Geschichte mit einigem Witz erzählt.

Die pointierte „Aquarellistik“ von Ravels Musik zeigte (mir) etwas zu grobe Konturen, man hat hier auf eine Fassung von Xaver Paul Thoma zurückgegriffen, Leonard Eröd zeichnete für die Orchesterfassung der „Olympia“ verantwortlich. Im Mittelpunkt standen Tatiana Kuryatnikova als quirliger burschikoser Hoffmann als Kind bzw. Nicklausse, Quentin Desgeorges, der als Gast das Junge Ensemble des Theaters an der Wien mit seinem Tenor und einer guten Leistung als Hoffmann unterstützte, und vor allem Ilona Revolkskaya, die als Olympia ihre Koloratursopranqualitäten zeigte und den puppenhaften Gesangsautomaten ausgezeichnet spielte. Auch Dumitru Madarasan (Coppelius) und Johannes Bamberger (Spalaznazi) wussten zu gefallen.

Das Publikum spendete nach zweieinviertel Stunden (inklusive einer halbstündigen Pause und verspätetem Beginn!) viel Applaus – und die Kammeroper wird diese Produktion gewiss als Erfolg verbuchen können.