PLATÉE
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Theater an der Wien
17.2.2014
Premiere

Musikalische Leitung: Paul Agnew

Inszenierung: Robert Carsen
Ausstattung: Gideon Davey
Choreographie: Nicolas Paul
Licht: Robert Carsen, Peter van Praet


Les Arts Florissants
Arnold Schoenberg Chor

Koproduktion Theater an der Wien und Opéra Comiqeu Paris

Prolog
Satyre - Joao Fernandes
Thespis - Cyril Auvity
Thalie - Gan-ya Ben-gur Akselrod
Momus - Marc Mauillon
Amour - Emmanuelle de Negri

Platée
Cithéron - Marc Mauillon
Mercure - Cyril Auvity
Platée - Marcel Beekman
Clarine - Emmanuelle de Negri
Jupiter - Edwin Crossley-Mercer
Mommuss - Joao Fernandes
La Folie - Simone Kermes
Junon - Emilie Renard

Tänzer: Camille Brulais, Haruka Miyamoto, Suzanne Meyer, Anaëlle Echalier, Fanny Gombert, Anna Konopska, Alexandre Bado, Gael Alamargot, Jean Gérald Dupau und Julien Gaillac


Platée auf dem Life-Ball
(Dominik Troger)

Was der Staatsoper mit Francesco Cilèas „Adriana Lecouvreur“ nicht gelungen ist, das gelang einen Tag später dem Theater an der Wien mit Jean-Philippe Rameaus „Platée“: eine heftig umjubelte Premiere.

„Platée“ wurde 1745 in Versailles uraufgeführt – ein mit vielen Tanzeinlagen gespickte „Satire“ anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten des Dauphin Louis Ferdinand mit der spanischen Infantin Maria Theresa. Das Werk erzählt die Geschichte einer nicht sehr hübschen Sumpfnymphe, deren eitle Selbstüberschätzung geradezu herausfordert, dass sich „Leute von Stand“ über sie lustig machen. Platée, die sich stets für unwiderstehlich hält, wird vorgegaukelt, Jupiter höchstpersönlich habe sich in sie verliebt – und mit viel Aufwand werden Hochzeitsfeierlichkeiten betrieben. Jupiter hat aber ganz andere Pläne. Er möchte seiner Gemahlin Juno die Absurdität ihrer Eifersucht vor Augen führen – denn Juno würde natürlich sofort einsehen, dass sich Jupiter nie und nimmer ernsthaft in dieses unansehnliche Sumpfgeschöpf hätte verlieben können. Und so geschieht es: Juno ertappt planmäßig Platée und Jupiter beim Stelldichein – und bricht, als sie die Nymphe sieht, in Gelächter aus. Das Gottespaar ist versöhnt, für Platée heißt es: „Zurück in den Sumpf“.

Für das damalige Publikum war natürlich klar, dass sie alle nicht zu Platée in den Sumpf gehören, sondern sich im Glanze ihres Jupiters, Ludwig XV., sonnen. Und Rameaus „Ballet bouffon“ in einem Prolog und drei Akten fand eine sehr gute Aufnahme. Rameau tat auch alles dafür – und seine abwechslungsreiche und „onomatopoetische“ Musik, die Platée mit „Froschgequake“ und Vogelgezwitscher umgibt, hat viel dazu beigetragen. (Dass sich ein paar Jahrzehnte später die in Rameaus Werk lächerlich gemachten „Sumpfbewohner“ nach Versailles aufmachen würden, um ihren König zu sich zu holen, welche Ironie der Geschichte.)

Rameau hat das Sumpfgeblubber und -geplapper der „Provinz“ schon in die Ouvertüre gepackt und lässt in Folge keine Chance aus, um Platée seinem musikalischen Spott auszusetzen. Der Spott trifft aber nicht nur Platée. Im zweiten Akt lässt er zum Beispiel La Folie zu einer deutlich parodistisch gezeichneten Da-Capo-Arie im „italienischen Stil“ antreten – anschaulicher könnte der Unterschied zwischen französischer und italienischer Oper in der damaligen Zeit kaum demonstriert werden (wobei seitens des Komponisten natürlich verdeutlicht wird, auf wessen Seite er selbst steht).

Das Werk ist also höchst vergnüglich – und dem Produktionsteam um Robert Carsen ist es gelungen, dieses Vergnügen dem Publikum auf eine moderne und zugleich geschmackvolle Art und Weise mitzuteilen. Carsen hat die Geschichte in eine modebestimmte Gegenwart übertragen, Jupiter tritt als Karl Lagerfeld auf, barockes Kostüm wandelt sich in den abgehobenen Stil von Laufstegkreationen – und die Tänze werden gleichsam zu Life-Ball-Einlagen: Körperkult und leicht obszöne Verhüllungen – ein sinnlich-erotisches, ja „barockes“ Bühnentreiben, das sich selbst inszeniert wie einstens die Gesellschaft am französischen Hof.

Platée hebt sich davon deutlich ab – eine „Möchtegern“ in falschen Kreisen – schlussendlich von Jupiter und seinen Helfeshelfern völlig bloßgestellt. Doch an diesem Punkt geht Carsen einen kleinen, aber bedeutenden Schritt über die Satire hinaus. Er erweckt Mitgefühl mit dieser Nymphe: Und die von allen gedemütigte Platée bohrt sich im Finale einen Pfeil Amors in die Brust. Sollte dieser Pfeil nicht der Stachel in unserem eigenen elitären Denken sein?

Nun könnte behauptet werden, dass auch Carsen eigentlich immer dasselbe inszeniert – seine eher verunglückte „Manon Lescaut“, 2005 an der Wiener Staatsoper aus der Taufe gehoben (Manons „Verdursten“ in der „Shopping Wüste“), hat sich ebenfalls von der aktuellen Modeszene inspirieren lassen. Aber was damals nicht funktioniert hat, passte dieser „Platée“ wie eine „zweite Haut“.

Den Prolog – eine Diskothek, in die das Publikum mit antik geschürzten weißen Stoffen Einlass gefunden hat– dominierte langes, breites Lametta, das vorhanggleich eingesetzt, der Bühne eine eigene Atmosphäre gab. Der Prolog spielt unter den Göttern, das Lametta erinnerte an Weihnachten, es hat schon gepasst. Im zweiten Akt wurde das Publikum in ein Szene-Hotelrestaurant entführt, Cithéron als Oberkellner, Mercure als Öffentlichkeitsbeauftragter Jupiters. Der Auftritt „Platées“ in gewickelten Handtüchern mit laubfroschgrünem Plastikbehälter für die Schönheitspflege – das ergab eine etwas abstrakte, aber witzig umgesetzte Hindeutung auf „Platées“ sumpfige Herkunft. Im zweiten Akt erfolgte der Auftritt Jupiters über eine in der hinteren Bühnenmitte platzierte Wendeltreppe und zum Gewitter blitzlichtfotografierte er seine Nymphe eifrig: Carsen sparte nicht mit Humor, aber ohne dabei aufdringlich zu werden; im dritten Akt das Hotelzimmer mit dem unübersehbaren Bett – alles praktikabel und ausschweifend von Bühnenpersonal bevölkert.

Aber was wäre „Platée“ ohne Platée? Marcel Beekman hat sich erstmals im Theater an der Wien in einer Hauptrolle präsentiert: mit einem sehr gestaltungsfähigen Charaktertenor und einer großartigen schausspielerischen Leistung. Er spielte die Nymphe als Frau (Platée ist als Travestierolle konzipiert) – und nicht als Mann, der eine Frau spielt. Seine Fähigkeit sich in Nuancen der Bewegungen, der Mimik und des Tonfalls hineinzuleben schuf diese Platée zu einem plastischen Porträt eines nicht unbedingt sympathischen, selbstverliebten Wesens, über das sich leicht lachen lässt. Dass es ihm im Finale gelang, dieses Lachen in Mitgefühl zu verwandeln, war der krönende Abschluss dieser bemerkenswerten Aufführung.

Die übrigen Mitwirkenden von Jupiter abwärts waren mehr dafür verantwortlich, die Intrige am Laufen zu halten: Cyril Auvity in der Haute-Contre-Partie des Mercure, Marc Mauillon sang den Cithéron mit einem schlanken Bariton, Edwin Crosslay-Mercer hatte als Jupiter mehr zu repräsentieren, als zu singen. Simon Kermes kostete als La Folie die Chance aus, sich in Szene zu setzten. Als „barocker Popstar“ betrat sie im zweiten Akt die Bühne und schien sich dabei sehr wohl zu fühlen, die angesprochene italienische Arie mit dosiertem Einsatz „heutiger“ Stilmitteln zu „parodieren“. Nicht vergessen werden darf der Arnold Schönberg Chor, der nicht nur in gesanglicher, sondern genauso in einer jeweils stark auf das Individuum abgestellten szenischen Präsenz gefordert war.

Ein weiterer„Matchwinner“ des Abends waren der Choreograph Eduard Paul und die Tanzsolisten. Ballett spielt in „Platée“ eine große Rolle und Paul gelang es, die barocke Musik in eine moderne Tanzsprache überzuführen, die zwar als modern erkannt, aber nicht als Stilbruch empfunden wurde. Auch der humorvolle Anteil blieb gewahrt. Sehr gelungen ist zum Beispiel das Stubenmädchen und -buben-Ballett knapp vor dem Finale, mit dem riesigen Ehebett als Blickfang (Carsen konnte auch in dieser Produktion seinen „Bettenfetischismus" nicht verleugnen).

Auf diese Weise wurde den ganzen Abend lang für viel Schwung gesorgt – und Paul Agnew am Pult von Les Arts Florissants führte mit Verve durch diese „moderne Barockoper“ und das Ensemble spielte mit Energie und Feingefühl, zauberte Rameaus Musik so farbenfroh und blütenfrisch aus dem Graben, als wäre sie heute und nicht vorvorgestern komponiert worden. Das Publikum war am Schluss „enthusiasmiert“ und spendete lautstarken Beifall.