RICHARD III
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Theater an der Wien in der Kammeroper
Premiere
3. Juni 2024

Musikalische Leitung: Benjamin Bayl

Inszenierung: Kateryna Sokolova
Bühne: Nikolaus Webern
Kostüm: Constanza Meza-Lopehandia
Licht: Franz Tscheck

Orchester: Bach Consort Wien

Richard, Sänger - Christoph Filler
Richard, Tänzer - Fabian Tobias Huster
Richard, Schauspieler - Sören Kneidl
Lady Anne, Barsängerin u. a. - Louise Kemény
Herzogin von York, Bardame u. a. - Martina Neubauer*
Clarence, Graf von Richmond u. a. - Johannes Bamberger
König Edward IV.,
Bürgermeister von London u. a. - Antoine Amariu*

*CAMPUS-Kooperation mit Studierenden der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien


Purcell Pasticcio in der Kammeroper
(Dominik Troger)

Wer sich mit Richard III. beschäftigt, handelt sich schnell „Missvergnügen“ ein: Eine Gewitterzelle kreiste am Premierenabend über Wien, die Tonanlage krachte, der Sänger des Richard war indisponiert. Die Aufführung selbst brachte viel schöne Musik von Henry Purcell und Zeitgenossen zu Gehör, aber die Sache mit dem bösen Richard III. blieb mehr Experiment als zwingender „Theatercoup“.

Benjamin Bayl als musikalischer Verantwortlicher, Regisseurin Kateryna Sokolova sowie der Dramaturg Kai Weßler haben sich an einem „Purcell-Pasticcio“ versucht, haben mit der Hypothese spekuliert, dass Henry Purcell auch zu William Shakespeares „Richard III.“ eine „Theatermusik“ geschrieben haben könnte. Der Gedanke ist reizvoll. Bei „Richard III.“ werden Theaterfans lüstern und bei Henry Purcell schlagen die Herzen der Barockmusikliebhaber höher – man nehme also das Beste von beiden und hoffe darauf, dass sich die Wirkung potenziert.

Doch in die Praxis umgesetzt, hat mich das Ergebnis nicht überzeugt: Während Purcell diese Versuchsanordnung weitgehend unbeschadet überstanden hat, ist von Richard III. nicht viel mehr übrig geblieben, als eine mit ein paar Monologfetzchen ausgeschmückte Inhaltsangabe. Bei einer Aufführungsdauer von (inklusive Pause) unter drei Stunden wird man auch schwer beiden gerecht werden können. Außerdem waren die Musikeinlagen im Verhältnis zum Dramentext überproportional vertreten.

Wenn vom Text zu wenig übrig bleibt, muss man sich behelfen. Die Regie hat die Figur des Richard deshalb auf drei Personen aufgeteilt: einen Sänger, einen Schauspieler und einen Tänzer. Mit diesen drei Richards lässt sich auch zur Musik allerhand Bewegung auf die Bühne bringen und die vertrakte Psyche des Titelhelden lässt sich zumindest „schizophrenisieren“. Praktischer Weise können diese Richards dann gleich weitere Rollen übernehmen und zum Beispiel als Erster und als Zweiter Mörder Clarence meucheln.

Für den politisch-historischen „Überbau“, für die Raffinesse der Intrige blieb jedoch kein Platz mehr übrig: Richards Selbst, geplagt von den Geistern seiner deformierten Psyche, agierte als Rest eines zurechtgestutzten Sprechtheaters, das sich schwerlich mit Purcells Kompositionen angereichert zum
„Musiktheater“ synthetisierte. Immerhin nahm Richards Intrige im Laufe des ersten Teils sogar leicht parodistische Züge an und suchte den Schwung eines „Purcell-Musicals“. Aber der Sprung über die Genregrenzen wurde dann doch nicht gewagt, die Chance, sich vor Shakespeare in die Satire zu retten, verpasst.

Die Aufführung begann mit einer Ansage. Zuerst machte die Tonanlage Mätzchen und Intendant Stefan Herheim musste auf das Mikrofon verzichten. Er informierte das Publikum darüber, dass Timothy Connor wegen einer Indisposition von Christoph Filler kurzfristig die Partie des Richard übernommen habe und von der Seite singen werde, Filler werde die Figur auf der Bühne darstellen. Die Tonanlage hatte man nach ein paar Minuten zum Glück wieder im Griff.

Der praktikabel ausstaffierte Bühnenraum sollte vielleicht an eine Mischung aus Varietébühne und Burgsaal erinnern; ein Vorhang, der eine Ansicht Londons zeigte, wurde bei Bedarf aufgezogen; ein Lamettavorhang und diverse Requisiten kamen zum Einsatz, einmal sogar ein alter Plattenspieler (beim Mord an Edwards minderjährigen Söhnen). Was sonst noch auffiel: Londoner Bürger bemühten sich in einer Szene seltsamer  Weise sogar um „mundelndes“ Wienerisch; und der erste Aufzug des Shakespeare-Dramas wurde im Verhältnis zur Länge des Abends zu stark berücksichtigt. Dass man Richards  „Nun ward der Winter unsers Mißvergnügens / Glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks;“ im Finale als Schlusssatz auf das Haus Lancaster umgemünzt hat, war eine nette Pointe.
(Es wurde die Schlegelsche Übersetzung ausgebeutet.)

Der musikalische Teil obsiegte allerdings deutlich, was unfair war, weil sich neben dem stimmlich verhinderten Sänger-Richard (Christoph Filler), auch der Schauspieler-Richard (Sören Kneidl) und der Tänzer-Richard (Fabian Tobias Huster) mächtig ins Zeug legten. Sie bildeten eine durchchoreographierte „Richard-Persönlichkeit“, die von der Regie mit viel handwerklichem Geschick angeleitet, als zentrale Figur  dem angestrebten „Musik-Theater“ dienen sollte. Die Anpassung der Musik an die Handlung hat deren Emotionen manchmal mehr, manchmal weniger
„vertieft“. Eine Liste der verwendeten Musikstücke ist dankenswerter Weise im Programmheft abgedruckt. Natürlich war auch der „Cold Song“ aus „King Arthur“ dabei, auf ihn hat man gewartet wie auf das für ein Pferd versprochene Königreich.

Neben den drei genannten Richards gehörten Timothy Connor als Retter des Abends natürlich die Sympathien des Publikums, der Tenor Johannes Bamberger hatte als Richmond das Schlusswort, weitere Mitwirkende waren Louise Kemeny u. a. als Lady Anne, Martina Neubauer u. a. als Herzogin von York, jeweils Sopran, sowie der junge Bass  Antoine Amariu. Benjamin Bayl am Pult und das Bach Consort Wien fanden im Laufe des Abends zu animierten Spiel ließen Purcell und Zeitgenossen ansprechend und mit Gefühl erklingen. Das Premierenpublikum spendete starken Applaus.