THE KING ARTHUR SEANCE
On Henry Purcell's Shoulders
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Uraufführung
Theater an der Wien
Konzertante Aufführung
17. Jänner 2014

Musik von Helmut Jasbar und Henry Purcell, Text Helmut Jasbar

Musikalische Leitung: Heinz Ferlesch

Orchester Barucco
Wiener Singakademie Kammerchor

Sprecher - Karl Markovics
Sopran - Maria Erlacher
Sopran - Ursula Langmayr
Altus - Markus Forster
Tenor - Daniel Johannsen
Bass - Matthias Helm


King Arthur im Jahre 2276
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien lud Freitagabend zu einer konzertant gegebenen Uraufführung. Gespielt wurde die neue „Oper“ von Helmut Jasbar „The King Arthur Seance – On Henry Purcell's Shoulders“.

Was wäre, wenn die Menschen vor einer zerstörten Umwelt in Bunker unter die Erdoberfläche fliehen müssten, um ihr Überleben zu sichern? Was wäre, wenn sie nach Jahrzehnten im Untergrund eine Schallplatte mit Henry Purcells Musik zu „King Arthur“ fänden? Diesen Fragen bilden die Ausgangsbasis für „The King Arthur Seance – On Henry Purcell's Shoulders“.

Nun kann eingewendet werden, dass das Jahr 2276, in dem die Menschen dieses Librettos unterirdisch in „New Portland“ dahinvegetieren und vom Funktionieren der Recycling- und Ernährungsmaschinen abhänging sind, wenig mit dem Briten King Arthur zu tun hat, der sich einst in John Drydens von Purcell musikalisch „aufgefettetem" Theaterstück mit den Sachsen herumbalgen musste. Genauso gut hätten diese Menschen eine Schallplatte von „The Fairy Queen“ finden können oder von einem irgendeinem anderen Komponisten.

Den Verdacht, dass hier die Science-Fiction-Story als Aufhänger für ein leicht verfremdendes „Purcell“-Arrangement herhalten musste, bestätigt nicht nur ein Zitat des Komponisten im Programmheft, in dem er schreibt: „Als Komponist musste ich mir zunächst eine Umgebung erfinden, die es mir ermöglichte, in die Musik von Henry Purcell einzugreifen.“ Schon Zeitungsmeldungen im Vorfeld war zu entnehmen, dass der Dirigent des Abends, Helmut Ferlesch, den Komponisten um ein Purcell-Arrangement gebeten habe.

Jasbar hat diesen Vorschlag aufgenommen und „auf den Schultern“ von Purcell stehend, ein neues „Musiktheaterstück“ geschrieben, das Musiknummern aus „King Arthur“ mit der schon angesprochenen negativen Utopie zusammenbringt. Der Inhalt dieser neuen „Oper“ ist in etwa folgender: Sie geht von einer Rahmenhandlung aus, in der sich die Bewohner dieser Menschheitsenklave in New Portland zu einer Versammlung treffen. In dieser Versammlung wird die Musik der Purcell-Schallplatte gespielt und es werden Auszüge aus einem Tagebuch aus den Jahren 2175/76 verlesen, das von einer 14-jährigen verfasst worden ist.

Das Mädchen schildert zu Beginn den Tod ihres Vaters, den sie nicht verhindern konnte und bei dem sie selbst verstrahlt worden ist. Ihr Vater war, wie viele andere auch, durch die Schleuse „nach draußen gegangen“, hatte den Schutz der Gewölbe verlassen in dem Wahn, man habe durch die Schleusenluke ein Tier gesehen und die Erdoberfläche sei wieder bewohnbar geworden. Die Tagebuchschreiberin schildert den Fund der Schallplatte, sie schildert, wie dieser Fund dazu führt, dass sich die zerstrittenen Parteien der Überlebenden unter der Führung von Tom, den die Schreiberin später „King Arthur“ nennt, einigen. Am Schluss der Versammlung – der in dieser Aufführung Karl Markovics als engagierter „Sprecher“ vorstand – wird den Anwesenden mitgeteilt, man habe durch die Schleusenluke einen Vogel gesehen. Wahnbild oder Wahrheit? Mit diesem offenen Ende wird das Publikum entlassen.

Literarische oder filmische Untergangsphantasien, in denen sich die Menschheit von einer unbewohnbar gewordenen Erdoberfläche „irgendwohin“ flüchtet, sind nicht gerade neu. Eine solche Geschichte auf eine „Semi-Oper“ aus dem 17. Jahrhundert zu schrauben, ist ein gewagtes Unterfangen. Der (theater-)historische Kontext von Purcell spielt hier keine Rolle mehr, Purcells Musik wurde behandelt wie ein „Artefakt“. Verändert wurde außerdem die Reihenfolge der einzelnen Nummern, offenbar um sie dem Inhalt der Tagebucheintragungen anzupassen.

Doch Jasbar ist kein „Bilderstürmer“. In seinen Ausführungen im Programmheft betont der Komponist, dass er bei seiner Purcell-Bearbeitung nie auf „Grenzüberschreitung“ aus war, weil es „mittlerweile mehr Grenzüberschreitungen als Grenzen“ gäbe. In diesem Sinne – so meine Interpretation – übt „The King Arthur Seance – On Henry Purcell's Shoulders“ sogar Kritik an zu exzessiv betriebenen künstlerischen Grenzüberscheitungen, die einer aus den Angeln gehobenen menschlichen Lebenswelt entspringen, in der sich viele Menschen jedoch nach der Gleichung „schön = gut“ zurücksehnen. Jasbar nennt seine ziemlich handzahme Purcell-„Paraphrase“ denn auch eine: „Musik der Befriedung“.

Im Tagebuch ist einmal die Rede davon, welche Bedeutung bunt illustrierte, alte Kinderbücher für die in düsteren Maschinengängen lebende Menschheit haben. Die Tagebuchschreiberin notierte: „Es macht mich froh zu wissen, dass die Welt einmal schön war.“ Bezogen auf die Aufführung könnte man diesen Satz leicht abwandeln: „Es macht mich froh zu wissen, dass die Musik einmal schön war.“ Jasbar und sein Auftraggeber leben einen „Romantizismus“ aus, der die Gefahr in sich birgt, dass er recht schnell als zu oberflächlich und als zu risikolos beurteilt wird – auch wenn er hübsch anzuhören ist.

Doch nun zur Aufführung: Das Originalklangorchester Barucco unter Heinz Ferlesch sorgte für stimmigen Purcell-Sound und oszillierte zwischen viel Barock und einer „minimalistisch“ angehauchten Moderne. Ein Chor und vier Solisten steuerten gepflegt und stilgerecht den Gesangspart bei. Nur manchmal überschritt die Musik die Grenze des „Arrangements“ und ließ sich auf deutliche Brüche ein: etwa als das Orchester eine „hängende Schallplatte“ simulierte und ein bisserl zu „scratchen“ begann oder als eine elektronische Zuspielung bedrohliches Grollen einwarf. Die Tagebucheintragung, die von einer großen Unruhe unter den Menschen kündete, vom teuflischen Ansinnen einiger, das „heilige“ Schallplatten-Relikt zu zerstören, wurde von einem eingespielten beatartigem Rhythmus begleitet und die Bläser im Orchester begann bald darauf aufgeregt zu „schnattern“.

Die konzertante Aufführung fand bei offener Bühne statt, die den düsteren Spielraum der aktuellen am Theater an der Wien gezeigten Produktion von „I due Foscari“ zeigte. Das Publikum im gut besuchten Haus (Purcell zieht immer) spendete nach eineinhalb pausenlosen Stunden viel Beifall plus einer Missfallensbezeugung.