TURANDOT
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Staatsoper Dirigent: Marco
Armiliato Inszenierung: Claus
Guth |
Turandot
- Asmik Grigorian |
Die Wiener Staatsoper hat sich nach nicht einmal acht Jahren eine neue „Turandot“ geleistet. Regisseur Claus Guth knüpfte szenisch wieder seine Trauma-Psychotherapie-Masche. Musikalisch war es auch keine „Sternstunde“ – trotz wichtiger Rollendebüts von Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann. Natürlich, Asmik Grigorian als Turandot fasziniert, sie gibt alles, was sie hat, sie gibt viel mehr, als sie hat. Ihre Turandot balanciert „auf des Messers Schneide“, stimmlich wie emotional. Turandot leidet, man spürt die Anspannung, dergleichen beeindruckt. In einem Interview mit der Monatszeitschrift „Bühne“ (Ausgabe 10/23) hat die Sängerin angemerkt: „Musikalisch ist Liù eigentlich interessanter und passt besser zu meiner Stimme. (...) Turandot ist bekanntlich keine leichte Rolle (...) und einige Leute denken, dass mich diese Rolle umbringen wird (und das könnte sie auch!), aber ich liebe die Verrücktheit dieser Kunst.“ Grigorian hat sich also nicht unreflektiert auf dieses „Abenteuer Turandot“ eingelassen und ihre „Verrücktheit“ war das Salz dieser Aufführung, aber ein Salz, das gebrannt hat, wie auf eine frische Wunde gestreut. Es war eine Turandot pubertärer Überspannung, die sich gegen Bedrohungen in frostige Weltabweisung hüllt, die Stimme umflort vom Klirren eines Eiszapfens, bevor ihn Sturmwind zu Boden schleudert. Was eine Sängerin der Turandot
an Heroik auszeichnen sollte, mit großformatigem sieghaftem Aplomb,
wandelte sich bei Grigorian zu einer auf die Spitze getriebenen
Leidenschaftlichkeit, wie die berühmte Kerze, die an beiden Seiten
brennt. Der Reiz lag wohl genau darin, dass Grigorians für die Partie
eigentlich zu leichter Sopran nicht unterging, dass sie trotz massiver
gesanglicher Überspanntheit den Abend ohne „Unfall“ zu Ende brachte.
Die Kompromisslosigkeit, mit der hier Grenzen übersprungen wurden,
flößte Hochachtung ein, auch wenn sie eine starke emotionale und stimmliche
Selbstausbeutung nahe legt. Hätte die Sängerin nicht opernhafte „Verrücktheit“
verführt, wäre sie an diesem Abend vielleicht als Liù auf der
Staatsopernbühne gestanden. Aber wäre sie dann so berühmt, wie sie
jetzt ist? Jonas Kaufmann war gegenüber Turandot ein feinfühliger Kalaf mit einer mehr erduldenen als gestaltenden Bühnenexistenz: ein Kalaf, alles andere als wagemutig und draufgängerisch, dem schlussendlich und fast überraschend die therapeutische Wunderheilung Turandots gelingt. Kaufmann war zudem ein Opfer der Regie, die ihn schlecht postierte (etwa im Finale des ersten Aktes im Bühnenhintergrund). Wo Kalafs Tenor jugendlich-dramatisch durch die Orchestermassen dringen sollte, verlor sich sein, von einem hohen baritonalen Sättingungsgrad bestimmter Tenor, in der Breite: keine hitzige Flamme mehr, sondern abgedämpfte Glut. Gegenüber Grigorians Risikofreude nahm sich Kaufmann wie der kluge Verwalter eines angesparten Vermögens aus, der sich auf keine Abenteuer mehr einlässt. Außerdem bleibt Kaufmann nach meinem Eindruck auf der Bühne zu oft er selbst, egal welche Partie er gibt. Und wenn sich seine Gefühle da und dort zudem in säuselnder Behutsamkeit tenoraler Herzergießung manifestieren, könnte vermutet werden, dass Kaufmanns Kalaf-Debüt um einige Jahre zu spät gekommen ist. Kristina
Mkhitaryan entsprach als Liù nicht der Idealvorstellung
eines fülligen „Jungmädchen-Soprans“. Sie ließ
eine etwas abgeklärte Stimme hören, so als würde Liùs
Opfertod mehr einem rationalen Kalkül entspringen als überbordender,
beseelter Leidenschaft. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, im Gegensatz
zum weißen Gewand Turandots. (Übrigens: Im dritten Akt wird sie von Turandot
in dieser Produktion persönlich an den Haaren gezogen und „gefoltert“.)
Jörg Schneider war als alter, gottgleicher
Kaiser viel zu jung und, inszenatorisch bedingt, ganz ohne Geheimnis. Der
Timur sollte trotz aller Gebrechlichkeit profund an seine einstige Königswürde
erinnern, davon war bei Dan Paul Dumitrescu zu wenig
zu spüren. Dass Ping, Pang und Pong (Martin Hässler,
Norbert Ernst, Hiroshi Amako) abseits
ihrer Arbeit ganz „normale“ Menschen sind, ist dem Publikum dank Claus Guth jetzt auch bekannt: Sie tragen ein weißen
Unterhemd und trinken Bier. Diese Szene geriet auch musikalisch
etwas flach, und das Herumgetue mit kleinen Kistchen, die die abgeschlagenen
Köpfe von Turandots Freiern bargen, war abgeschmackt. Marco Armiliato,
der wie üblich auswendig dirigierte – diesmal die „Langfassung“ des von
Franco Alfano ergänzten Finales – setzte auf Lautstärke. Die Spannung
ließ immer wieder nach, seltsam, dass es nicht einmal in der
Rätselszene gelang, den Schwung mitzunehmen. Das „Nessun dorma“ wurde „konzertmäßig“ abgewickelt, um dem Tenor den Applaus zu sichern, der sich auch einstellte. Aber welcher Opernbesucher würde es noch wagen, von einer neuen Staatsoperninszenierung eine an der Handlung orientierte, geschmackvolle Ausstattung einzuforden. Im dritten Akt ist die Bühne wieder (dezent) zugemüllt, in ihm liegen die Bestandteile von Turandots Schlafzimmer verteilt, in dem im zweiten Akt aus unerfindlichen Gründen die Rätselszene stattgefunden hat. Der erste Akt spielt vor einer weißen Wand mit großer Türe rechts im Hintergrund. Angeblich soll die Wohnungstüre von Sigmund Freuds Ordination so ausgesehen haben. An diese Türe wird Kalaf einlassbegehrend pochen. Vor Jahren hat Claus Guth bei seinem Staatsopern-„Tannhäuser“ im dritten Akt einen Pavillon der psychiatrische Klinik Steinhof auf die Bühne gestellt samt psychisch instabilem Pilgerchor. Dieses Mal ist es die Türe von Sigmund Freud und eine psychisch instabile Turandot. Guth sollte sich langsam etwas Neues überlegen. Aber hat er in der „Turandot“ nicht auch das „Kammerspiel“ gesucht, wie einst schon Peter Konwitschny in der „Aida“? Wenigstens ist Guth ohne Papierschlangen, Partyhütchen und Plüschelefanten ausgekommen. Dafür bewegt sich die Freier-Köpfungs-Bürokratie dieses Turandot-Landes in mattgrünen Anzügen über die Bühne, in seltsam stilisierten Bewegungen, als Repräsentanten einer kafkaesken Diktatur, in deren Mühlen Kalaf im ersten Akt gerät. Die „Turandot“ als „Kammerspiel“ aufzuführen negiert natürlich die Entwicklung der Handlung, die sich von der Unnahbarkeit Turandots, über die Öffentlichkeit der Rätselszene, bis zur persönlichen „Nähe“ (dritter Akt) entwickelt. Als inszenatorischer Schlussgag stehlen sich Turandot und Kalaf diebisch vom Festakt ihrer Verheiratung davon, fliehen vor der Inthronisation ins Private. Der Chor wird von Guth nur sehr reduziert geführt, auch ins Off verbannt. Er sitzt zum Beispiel im ersten Akt an der Bühnenrampe, ganz am Beginn aufmarschierend, um dann von dort laustark das Auditorium zu beschallen. Bei seinem Auftritt erklingt ein eigenartiges Uhrenticken, die Musik setzt erst später ein. Aber warum überhaupt diese Neuproduktion? Schon Marco Arturo Marelli hat 2016 einiges von dem, was Claus Guth 2023 an Ideen eingebracht hat, ähnlich gesehen: das Trauma Turandots, die Interaktion in der Rätselszene, köpfearchivierende Minister. Marelli hat allerdings Kalaf mit Puccini gleich gesetzt und die Handlung mit dem Schaffensprozess des Komponisten überlagert – und im Finale bekam dieser Puccini-Kalaf die fertige „Turandot“-Partitur überreicht. Überzeugt hat das nicht, aber Marelli hat mehr fürs Auge geboten, sogar ein bisschen Jahrmarktsstimmung im ersten Akt und ein schöneres Bühnenbild. Von der Marelli-Produkion wurden laut dem Onlinearchiv der Staatsoper 23 Aufführungen gespielt. Beim Schlussapplaus waren die vielen Buhrufe beim Auftritt des Regieteams nicht zu überhören – und sie haben in Anbetracht der geschilderten Umstände alles andere als überrascht. Der Beifall brachte es aber auf fast zwanzig Minuten. PS: Die Pause gibt es erst nach dem zweiten Akt. Und die Aufführung dauerte, Pause inbegriffen, ziemlich genau zwei Stunden, fünfzig Minuten. |