TURANDOT
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Staatsoper
28. April 2016
Premiere

Dirigent: Gustavo Dudamel
Regie, Licht, Ausstattung: Marco Arturo Marelli
Kostüme: Dagmar Niefind
Video: Aron Kitzig

 

Turandot - Lise Lindstrom
Altoum - Heinz Zednik
Kalaf - Yusif Eyvazov
Liù -Anita Hartig
Timur - Dan Paul Dumitrescu
Manadrin - Paolo Rumetz
Ping - Gabriel Bermúdez
Pang - Carlos Osuna
Pong - Norbert Ernst
Prinz von Persien - Won Cheol Song
Mägde - Secil Ilker, Kaya Maria Last

Pantomime: Werner Eske
Der weiße Clown - Josef Borbely


„Verbürgerlichtes Märchen“
(Dominik Troger)

Giacomo Puccinis „Turandot“ zählt zu den unverwüstlichen Quotenbringern des Repertoires – auch wenn die Oper nicht leicht zu besetzen ist. An der Wiener Staatsoper stand das Werk 12 Jahre lang nicht auf dem Spielplan. Die Neuinszenierung in der Regie von Marco Arturo Marelli löste aber keine Jubelstürme aus.

Die Programmhefte zu den Neuproduktionen enthalten seit einigen Jahren einen Artikel zu den Gesangspartien des jeweiligen Werkes. Erich Seitter, Stimmkenner und als ehemaliger Künstleragent selbst eng mit dem Opernbusiness verknüpft, beschreibt in schwärmerischen Worten die idealen Voraussetzungen, die die Sänger für die jeweiligen Aufgabenstellungen mitbringen sollten. Die Turandot bedarf demnach eines „großformatigen, dramatischen Soprans“ mit großem Stimmumfang, der ideale Kalaf muss über einen jugendlich-dramatischen Tenor mit einem „schmelzreichen, viril-sinnlichen Stimmtimbre“ verfügen und Liù über einen „runden, geschmeidigen, lyrischen Jungmädchen-Sopran“ mit „Tränenklang“. Mit der Bühnenrealität konfrontiert, stellen sich diese Stimmbeschreibungen aber zu oft als „Wunschdenken“ heraus, in dem die Praxis die beschriebenen Anforderungen unterbietet. Und diese Erfahrung musste der aufmerksame Leser dieser ständigen Rubrik der Staatsopern-Premierenprogramme auch an diesem Abend machen.

Lise Lindstrom hat in Wien bis zum Premierenabend nur die Salome gesungen – aber die Sängerin ist seit einigen Jahren eine weltweit gefragte Turandot und auch als Elektra und Brünnhilde gebucht. Allerdings – man beachte die Wortwahl von Erich Seitter – einen „großformatigen, dramatischen Sopran“ (!) habe ich an diesem Premierenabend nicht gehört, sondern eine unausgewogene Stimme, die in der Mittellage und in der Tiefe wenig durchsetzungsfähig und blass blieb, während die Spitzentöne zu ihrem dramatischen Potenzial forciert wurden – bei deutlicher Grellfärbung. Die ideale Spannung zwischen Leidenschaft und Kühle, zwischen heroischem Ausdruck und Liebeshingabe ließ sich derart nicht realisieren.

Die Schwachpunkte dieser Turandot werden zudem verdeutlicht, wenn man sie mit der Liù von Anita Hartig vergleicht, deren Sopran – besonders auffallend in der Mittellage – stimmkräftiger war als der von Lindstrom. Freilich, Hartig sang die Liù nicht gerade mit „rundem, geschmeidigen Jungmädchensopran“ und den von Erich Seitter gewünschten „Tränenklang“ hat man kaum heraus gehört. Vielmehr hätte Hartig Turandot etwas von ihrer stimmlich sehr kompakten, mehr heroisch als lyrisch leidenden Liù abgegeben können. Hartigs Sopran färbte bei den Spitzentönen außerdem sehr metallisch, packte die Seele der unglücklich Liebenden wie in eine harte Rüstung – und war für meinen Geschmack nicht mehr idealtypisch für diese Partie.

Es mag überraschend sein, aber der eigentliche „Winner“ der drei (Turandot, Liù, Kalaf), war Yusif Eyvazov. Dieser hatte als Einspringer für Johan Botha, der krankheitsbedingt leider auch die „Turandot“-Premiere absagen musste, allerdings den Vorteil, seitens der Direktion nicht mit „Triple-A-Rating“ ins Rennen geschickt zu werden. Yusif Eyvazov ließ nun zwar auch nicht gerade ein – siehe oben – „schmelzreiches, viril-sinnliches“ Tenortimbre hören, aber die Mittel eines „jugendlich-dramatischen“ Tenors standen ihm zur Verfügung – und zwar mit einer lockeren, sympathischen Unbekümmertheit, die einen im positiven Sinne zu überraschen wusste. Er hatte viel Atem für sichere Spitzentöne und reicherte nach einem etwas ungeschliffenen Beginn seine „ungekünstelte“ Stimmkultur zunehmend mit Pianofähigkeit und Differenzierungswillen an. Das Timbre seines eher schlanken Tenors zeigte sich etwas hell, etwas rau, in der Mittellage wenig verführerisch, im Forte, mit einer leicht metallischen Beimischung bei zunehmender Durchschlagskraft aber eher gewinnend.

Dan Paul Dumitrescu war ein stimmlich klangschöner, aber nicht sehr charakteristischer Timur, auch die drei Minister (Gabriel Bermúdez, Carlos Osuna und Norbert Ernst) blieben in ihrer großen Szene am Beginn des zweiten Aktes etwas blass. Heinz Zednik sang so authentisch wie ein sehr alter Kaiser nur singen kann (der in dieser Produktion im Rollstuhl sitzt). Positiv ist der Staatsopernchor anzumerken.

Gustavo Dudamel feierte am Pult ein unausgewogenes Hausdebüt: stellenweise viel zu laut und knallig, stellenweise langsam und sich in Details verlierend (etwa die lange Ping-Pang-Pong-Szene, bei der Dudamel den Eindruck erweckte, als habe er vor lauter Liebe zu Puccinis subtiler Orchestrierung auf die Oper vergessen). Auffallend gestaltete sich auch die oft starke Zurücknahme der Streicher, die sich dann in kammermusikalischem Valeur ergingen. Die Diskrepanz zwischen den aufgedonnerten, undifferenzierten Fortissimo-Attacken und dieser verhaltenen, abschattierten und für sich allein betrachtet reizvollen „Kammermusik“ hat das Bühnendrama aber nicht beflügelt, sondern eher gelähmt. Hier müsste noch eine aus der dramatischen Aktion entwickelte Synthese gefunden werden. Und natürlich wünscht man sich an der Staatsoper einen fülligeren Streicherklang, der die emotionale Wärme beflügelt, was auch den Sängerinnen und Sängern wieder zu Gute kommt.

Die Inszenierung von Marco Arturo Marelli macht Kalaf zu Puccini, der auf der Bühne seine Oper „Turandot“ komponiert – und sie dabei gleich „live“ erlebt. Am Beginn sieht man das Arbeitszimmer des Komponisten, das sich in Folge in eine Art Bühne verwandelt (Theater auf dem Theater), im Hintergrund Sitzreihen für den Chor oder in das von links ein weiteres Kulissenelement mit Turandot hereingeschoben wird. In der Ausstattung spielt Marelli mit chinesischem Dekor – dem Auge wird jedenfalls da und dort geschmeichelt. Der erste Akt wird von Akrobaten dominiert und die Henkersknechte schleifen im Jahrmarktstrubel der Commedia dell'arte ihre Schwerter – der Auftritt Turandots (siehe oben) ist unpoetisch gelöst. Am Schluss nimmt Puccini prosaisch mit Turandot an einem Tischchen Platz und bekommt seine Partitur der „Turandot“ „serviert“.

Die Psychologie ersetzt bei Marelli ohnehin das Märchen, Turandot interagiert während der Rätselszene deutlich mit Kalaf, sie wird „vermenschlicht“ und verliert dadurch an mythischer Größe und Unnahbarkeit. Ihr „Geheimnis“ wird durch eine posttraumatische Störung ersetzt, als die wohl ihre vermeintliche Beziehungsunfähigkeit anzusprechen ist. Marellis Lesart bleibt zwar ausgewogen, aber selbst die köpfearchivierenden Minister wirken dabei eine Spur zu gefällig, zu ausrechenbar, zu handwerklich solide. Natürlich hat diese Sichtweise auf die Sängerin der Titelpartie abgefärbt, die – wie schon bei ihrer Salome zu sehen war - im Spiel nicht unbedingt zu großer psychologischen Tiefenschärfe neigt – und Yusif Eyvazov riss darstellerisch auch „keine Bäume aus“

Der Schlussapplaus dauerte rund zehn Minuten lang – und der Beifall steigerte sich nur beim Solovorhang von Anita Hartig zu großem, fast ein wenig demonstrativem Jubel. Als Kalaf und Turandot nach dem Ende der Vorstellung zuerst gemeinsam auf die Bühne traten, gab es eher verhaltenen Applaus, und das war schon kein gutes Zeichen. Während sich das Publikum beim Solovorhang von Yusif Eyvazov zumindest respektvoll verhielt, wurde Lise Lindstrom mit einigen Missfallensäußerungen konfrontiert – etwas weniger deutlich Gustavo Dudamel und vereinzelt auch Marco Arturo Marelli.

Den Vorsitz an diesem Abend führten übrigens Bundespräsident Heinz Fischer und UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, die aus der linken Proszeniumloge am ersten Rang der Aufführung folgten.