LA RONDINE

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Volksoper
23. April 2024

Dirigent: Alexander Joel

Regie: Lotte de Beer
Co-Regie / Choreographie: Florian Hurler
Bühnenbild: Christof Hetzer
Kostüme: Jorine van Beek
Licht: Alex Brok, Georg Veit
Choreinstudierung: Roger Díaz-Cajamarca

Magda de Civry - Matilda Sterby
Lisette
- Rebecca Nelsen
Ruggero Lastouc - Leonardo Capalbo
Prunier - Timothy Fallon
Rambaldo - Andrei B
ondarenko
Périchaud - Marco Di Sapia
Gobin - Aaron-Casey Gould
Crébillon / Butler - Aaron Pendleton
Rabonnier - Ben Connor
Yvette - Julia Koci
Bianca - Kamila Dutkowska
Suzy - Stephanie Maitland




„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“

(Dominik Troger)

So richtet flügge wird Giacomos Puccini „La rondine“ in der neuen Volksopernproduktion nicht. Die Inszenierung mißtraut dem Werk und musikalisch wars dann doch zu wenig „deliziös“.

Das Libretto von „La rondine“ haben schon vor hundert Jahren die Kritiken arg zerzaust. Anlässlich der österreichischen Erstaufführung am 9. Oktober 1920 in der Volksoper notierte die „Reichspost“: „Wären unsere lieben Schwalben nicht schon fortgezogen, so müßten sie sich um die Volksoper in hellen Scharen versammeln, um gegen diese Schändung ihres Namens zu protestieren.“ Das ist natürlich sehr übertrieben formuliert: Die Handlung bewegt sich zwar auf seichtem Niveau und vermag den mit einer Pause auf rund zwei Stunden gestreckten Abend kaum auszufüllen, aber – wie auch der Verfasser der zitierten Kritik vom 10. Oktober 1920 anmerkt – Puccinis Musik habe die „Schwalbe“ davor gerettet „auf das Niveau einer landläufigen Operette herabzusteigen“.

Die Frage nach der Gattungszugehörigkeit von „La rondine“ ist ohnehin schwierig. Ornithologen haben es bei der Bestimmung von Mehl-, Rauch-, Ufer- und Felsenschwalben einfacher. Die „Wiener Zeitung“ notierte anlässlich der Volksopernproduktion: „Zwischen Oper und Operette flattert die Rondine ängstlich hin und her. Ist nicht das eine und nicht das andere.“ Das bringt die Sachlage gut auf den Punkt. (Rezension vom 10. Oktober 1920).

Puccini hat sich mit der Fertigstellung seiner „Rondine“ ohnehin lange genug abgemüht. Er hat allerhand Änderungen vorgenommen – und die Volksoper spielt jetzt die Erstfassung, ohne der von Puccini nachkomponierten Tenorarie im ersten Akt. Dramaturg Peter te Nuyl und Dirigent Alexander Joel geben in einem Beitrag im Programmheft Gründe dafür an – aber Puccini hatte gute Gründe, diese Arie einzufügen: Das große Gewicht, das dieser Figur im Rahmen der Handlung zukommt, verteilt sich dadurch besser auf die drei Akte und bereitet außerdem glaubhafter die Liebesgeschichte vor.

Der in diesem Punkt gelebte „Dramaturgen-Purismus“ führt sich ohnehin ad absurdum, wenn Lotte de Beer als Regisseurin der Produktion an den Schluss noch eine „Coda“ anfügt, in der Magda selbstironisch auf „Bohème“, „Butterfly“ und „Tosca“ referenziert, um den schlichten Abgang des Soprans mit „Todesarten“ Puccinischer Ausprägung zu kontextualisieren: lieber eine Tenorarie mehr als dieses unpassende, Puccinis Sentiment missachtende Finale. Aber wahrscheinlich ist das der springende Punkt: Mit dem hinzugefügten und von Alexander Joel musikalisch ausformulierten kurzen Schlusspasticcio wehrt sich die Regisseurin gegen Puccinis männlichen „Schmerznarzissmus“, den seine Tenorfiguren beim (drohenden) Verlust der Geliebten ausleben. Insofern ist dieses neue Finale zwar emanzipativ gedacht, hat aber mit Puccini und „La rondine“ nichts mehr zu tun.

Puccini meint es eben ernst. Lotte de Beer meint es auch ernst, wenn sie Puccinis Schwalbe ein paar gesellschaftpolitische „Federn“ rupft, um sie unters Publikum zu streuen. Aber den Flugeigenschaften von Puccinis musikalischem Zugvogel wird damit nicht weitergeholfen. Der ganzen Produktion ist eine Skepsis dem Werk gegenüber anzumerken, die sich unentschlossen darum bemüht, diese „Lyrische Komödie“ mit einem ironisch-satirischen Überbau zu versehen.

Der Dichter Prunier wird selbst zum Autor der „Rondine“ aufgewertet, klappert an der Schreibmaschine sitzend seinen Text in die Tastatur. Dafür hat man auf der Mitte der Drehbühne ein hohes, quaderartiges Bühnenelement errichtet, auf das der Text projiziert wird. Es gibt ab dem zweiten Akt im unteren Teil szenenweise den Blick auf den schreibenden Prunier frei – und auf seine Geliebte Lisette, deren emanzipative Einwürfe zur Handlung er maßregelt. Außerdem wird das deutsche Libretto samt weiteren Zusätzen auf dieses Element projiziert, in Schreibmaschinenlettern und recht aufdringlich. Die vorgespannten nackten Busen, mit denen die eine oder andere Darstellerin den Salon im ersten Akt bevölkert, bildet auch so einen emanzipativen Aufschrei gegen sexuelle Ausbeutung, der das von Puccini beschriebene Milieu allerdings weit verfehlt. Die gefährlichen Längen des ersten Aktes konnten dadurch nicht entschärft werden, dazu hätte es einer viel wortbezogeneren, feinsinnigeren Umsetzung bedurft, die liebevoll auf die Komödie referenziert, um ihren lyrische Gestus zu wahren.

Lyrisch heißt doch immer auch: auf Zwischentöne hören, und die Metapher von der Schwalbe ist doch zugleich eine Metapher zärtlichen Frohsinns und wehmütigen Abschieds. Wenn Prunier im ersten Akt poetisch dieses Motiv ins Spiel bringt – die Schwalbe, die übers Meer ins „Traumland“ fliegt – dann bedient er sich zwar abgenützter Bilder, aber auch er meint es ernst, und Puccini baut seine Musik um diese Melancholie romantischer Stimmungen, die eine wehmütige Liebe meinen. Dass diese Rechnung erst im dritten Akt so richtig aufgeht, ist die Herausforderung, der sich jede Aufführung der „Schwalbe“ zu stellen hat.

Die Drehbühne wurde geschickt zum Einsatz gebracht, gegenläufig Kulissenelemente nach vorne geschoben: Bühnenteile eines sehr freizügigen Salons im 19. Jahrhundert, dazu wurden die entsprechenden Kostüme getragen; den zweiten Akt regierte praktikabel das Tanzlokal; der dritten Akt sollte szenisch an das Landschaftsbild von Pruniers genanntem Gedicht anschließen, die Cote d’Azur im Hintergrund. An der Volksoper ist die Bühne aber mit großen, unregelmäßigen Papierstreifen einer weißen Tapete bedeckt, die dem Ensemble einen rutschigen Boden und dem Publikum wenig Genuss bereiten.

Im Zentrum der Aufführung stehen natürlich Magda und ihr jugendlicher Geliebter: Matilda Sterby brachte sich nachdrücklich in die Aufführung ein, mit etwas forciert geführtem, zu raschem Vibrato neigendem Sopran, mehr attackierend als sinnlich. Das sensible Seelenporträt trat in den Hintergrund. Dann und wann kam trotzdem „Puccini-Feeling“ auf, die jugendliche Leuchtkraft der Stimme als verführerisches Asset, das von offensiv herausgestellten Spitzentönen gleich wieder ein wenig verschleudert wurde. Aber von tenoraler Seite hatte sie kaum Konkurrenz zu befürchten. Leonardo Capalbo sang sich mit leicht baritonal angerautem Timbre etwas schwerfällig durch den Abend, mit wenig Tiefe, erst in der Attacke klang die Stimme freier, ohne allerdings in der Höhe zu jenem Squillo zu finden, das die tenorale Erotik beflügelt.

Rebecca Nelsens Dienstmädchen wurde zur emanzipativen Speerspitze der Regie umfunktioniert, die den erfrischenden Humor Lisettes stark instrumentalisierte. Nelsen war trotzdem ein markanter Pluspunkt der Aufführung, auch wenn für ihren leichten und gewitzten Sopran Puccini fast schon eine Nummer zu groß ist. Timothy Fallon war ein gemütlicher Poet, nicht nur im dritten Akt im antiquierten, rotweißgestreiften Badeanzug von selbstironischer Komödiantik. Aber in Summe hat auch ihn die Regie viel zu grob gezeichnet, und seine romantischen Allüren zu wenig wertgeschätzt. Andrei Bondarenko gab den Bankier Rambaldo mit Autorität und hinterließ stimmlich einen sehr guten Eindruck. Yvette (Julia Koci), Bianca (Kamila Dutkowska) und Suzy (Stephanie Maitland) belebten den ersten Akt als den Poeten bewundernde und Magda etwas eifersüchtig beobachtende Salondamen.

Alexander Joel stand am Pult. Der erste Akt weckte über weiten Strecken wenig Interesse, der zweite und der dritte steigerten sich deutlich in den Massenszenen (Chor) beziehungsweise wenn sich Puccini zu musikalisch größeren Bögen entschließt und ihn die Liebesgeschichte doch noch inspiriert. Mehr Schmelz und Schmalz hätten nicht geschadet. Wenn man solche Werke spielt, dann sollte man sie in ihrer tränengewürzten Süße ganz auskosten, aber dafür braucht es auch die passenden Stimmen auf der Bühne – und keine Inszenierung, die aus dem Werk machen möchte, als es hergibt.

Das Haus war in den unteren Rängen gut besucht, die Galerie grob geschätzt nur zu einem guten Viertel gefüllt. Es gab starken Applaus, auch Bravorufe, rund fünf bis sechs Minuten lang. Die Ausführungen beziehen sich auf die vierte Vorstellung der Premierenserie; Premiere war am 10. April 2024.