IL TABARRO / SUOR ANGELICA /
GIANNI SCHICCHI
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Staatsoper
4. Oktober 2023
Premiere

Dirigent: Philippe Jordan

Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühne: Henrik Ahr
Kostüme: Silke Willrett
Licht: Stefan Bolliger
Kostümmitarbeit: Carl-Christian Andresen

Il Tabarro:
Michele - Michael Volle
Giorgetta - Anja Kampe
Luigi - Joshua Guerrero
Tinca - Andrea Giovannini
Talpa - Dan Paul Dumitrescu
Frugola - Monika Bohinec
Ein Liederverkäufer - Katleho Mokhoabane
Ein Liebespaar - Florina Ilie, Ted Black

Suor Angelica:
Schwester Angelica - Eleonora Buratto
Die Fürstin - Michaela Schuster
Die Äbtissin - Monika Bohinec
Die Lehrmeisterin der Novizen - Patricia Nolz
Die Schwester Eiferin - Daria Sushkova
Schwester Genovieffa - Florina Ilie
Schwester Osminia - Jozefina Monarcha
Schwester Dolcina - Krisgtina Agur
Die Schwester Pflegerin - Isabel Signoret
1. Almosensucherin - Anna Bondarenko
2. Almosensucherin - Anna Yasiutina
Eine Novizin - Antigoni Chalkia
1. Laienschwester - Svenja Kallweit
2. Laienschwester - Arina Holecek

Gianni Schicchi:
Gianni Schicchi - Ambrogio Maestri
Lauretta - Serena Sáenz
Zita - Michaela Schuster
Rinuccio - Bogdan Volkov
Gherardo - Andrea Giovannini
Nella - Anna Bondarenko
Gherardino - Moritz Israiloff
Betto di Signa - Clemens Unterreiner
Simone - Dan Paul Dumitrescu
Marco - Attila Mokus
La Ciesca - Daria Sushkova
Arzt - Hans Peter Kammerer
Notar - Simonas Strazdas


„Bemühter Premierenabend“
(Dominik Troger)

„Wie schwer ist es, glücklich zu sein.“ Es ist immer gut, wenn man ein Motto hat. Das kann man vor sich hertragen und in Interviews unter die Leute bringen. Außerdem kann man aus dem Satz eine bunte Leuchtschrift basteln und damit Opernbühnen dekorieren: schwupps – und fertig ist das Konzept für eine Staatsopernpremiere.

Zugegeben, es hätte schlimmer kommen können. Wer sich noch an die „Capriccio“-Inszenierung von Tatjana Gürbaca im Theater an der Wien erinnert, in dem die deutsche Regisseurin „Untote“ über die Bühne geistern ließ, kann ihr für dieses halbgar gekochte „Il trittico“ nur dankbar sein. „Wie schwer ist es, glücklich zu sein.“ Dieses aus „Il tabarro“ geborgte Motto bildete also die Überschrift und den gemeinsamen Nenner für diese Staatsopernpremiere von Giacomo Puccinis Dreiteiler.

Puccinis „Il trittico“ ist in Wien ein seltener Gast. Im Jahr 2012 hat sich das Theater an der Wien daran gewagt (Regie: Damiano Michieletto). Aufführungen an der Wiener Staatsoper liegen über 40 Jahre zurück. Die damalige Produktion aus dem Jahr 1979 (Regie: Otto Schenk) stand nur wenige Jahre auf dem Spielplan. Im Jahr 2000 hat die Staatsoper „Gianni Scicchi” aus unerfindlichen Gründen mit Arnold Schönbergs „Jakobsleiter“ zusammengespannt – was auch keinen Publikumsrun ausgelöst hat. Im Jahr 2011 wurden „Der Mantel“ und „Gianni Schicchi” an der Volksoper unter der Regie des damaligen Direktors Robert Meyer inszeniert. Woran sich Wiener Opernliebhaber aber vor allem erinnern, wenn sie über Puccinis Dreiteiler sprechen, ist eine konzertante Aufführung von „Il tabarro“ im Jahr 2010 im Konzerthaus: Johan Botha hat damals als Luigi den Großen Saal zum Vibrieren gebracht.

Auch wenn sich Produktionsteams in der Vergangenheit immer wieder auf die Suche nach der „Einheit“ in Puccinis „Tryptichon“ gemacht haben, die drei Einakter sind einander doch ziemlich wesensfremd: der veristische „Mantel“, die lyrisch-hagiographisch-kitschige „Schwester Angelika“ und der süffisant „spät-medievale“ „Gianni Schicchi“ als verschmitzte „Verbeugung“ vor Dante und Florenz. Aber wenn man eine so einfache gemeinsame Überschrift wie oben mitgeteilt findet und mit ein paar neonreklameartigen „Leuchtschriftworten“ – „SCHWER, „GLÜCKLICH“, „SEIN“– die Bühne verzieren kann, begreift das Publikum gleich, hier hat sich jemand etwas „überlegt“.

Der Abend begann mit „Il tabarro“ und der gesanglichen Schützenhilfe von „Richard-Wagner“-erprobten Kräften: Michael Volle als sich in bemerkenswerte Aggression hineinsteigernder Michele und Anja Kampe als vom Lastkahnfahren schon etwas ausgezehrt klingende Giorgetta lieferten sich schlussendlich ein packendes Beziehungsmatch. Assistiert vom tenoral robust-kräftigen Luigi des Joshua Guerrero gelang ein rampennahes, brutales Finale dieser blutigen Eifersuchtsgeschichte. Puccinis grausame Tragödie wurde szenisch jedoch sehr plakativ und quasi semikonzerant unter Aussparung wichtiger dramaturgischer Gegebenheiten (Nacht, Lastkahn) umgesetzt. Der Selbstmord von Michele ist mir seltsamer Weise entgangen, aber davon wird in anderen Rezensionen berichtet. (Nachtrag: Der Suizid Micheles wurde inzwischen von Premierenbesuchern bestätigt. Demnach schneidet er sich am Schluss die Kehle durch. Danke für die Hinweise!)

Allerdings hat die Geschichte nur langsam Fahrt aufgenommen, die erste halbe Stunde des „Mantels“ dümpelte dahin wie Micheles Kahn bei Niedrigwasser. Warum? Das Milieu der Lastenschiffer, Paris, die Seine waren optisch ausgespart worden. Den Figuren fehlte das szenische Substrat, von dem sie ihre Glaubwürdigkeit hätten beziehen können. Außerdem wanderten im Hintergrund immer wieder Menschen quer über die Bühne, das Liebespaar sogar in Unterwäsche – ein seltsames, ziemlich unbedarft wirkendes Arrangement. Musik und Szene schienen voneinander isoliert und abgegrenzt, und Philippe Jordan am Pult gelang es zuerst auch nicht, die „Fließgeschwindigkeit“ der Seine zu erhöhen.

Für die „Schwester Angelika“ fuhren dann ein paar Bühnenelemente in die Höhe, um dem Publikum eine Art klosterhafte Einfriedung vorzustellen. Szenisch gelang dieser zweite Teil von Puccinis „Tryptichon“ besser, auch wenn die Regie dem Publikum die finale Verklärung versagte. Tatjana Gürbaca legte wieder etwas andere Fährten als Puccini. Die Inszenierung erweckte den Eindruck, als habe die Fürstin den Tod des Kindes nur vorgetäuscht. Angelica zieht während des Intermezzos ein Alltagskleid an, vielleicht um das Kloster zu verlassen. Angelica muss sich mit den Scherben ein Spiegels die Hände blutig schneiden und die Scherben in selbstmörderischer Absicht schlucken, ein Giftmord bietet für heutige Theaterverhältnisse viel zu wenig „Action“ und Blut. Im Finale trifft sie auf ihr lebendes Kind und die Fürstin. Die Verklärung findet nicht statt und wohl keine Entsühnung. Für eine „Sopranhagiographie“ fehlte es Eleonaro Buratto in der Titelpartie dann doch noch ein wenig an der stimmlichen Strahlkraft für eine himmlische Vision. Aber sie wusste ihr Schicksal dem Publikum sehr nahe zu bringen – mit Michaela Schuster als Fürstin und starker Gegnerin im Psychospielchen um Kind, Schuld und Sühne.

„Gianni Schicchi“ begann bereits in der Pause bei offener Bühne und mit einer Textnachricht auf den kleinen Untertitelpanels, die bei jedem Platz im Auditorium angebracht sind: Florenz befinde sich im Karneval und Bouso Donati beim Abendessen. Radio Mussoloni (nicht Mussolini!) spiele faschistische Lieder und Reden aus fünf Jahrzehnten. Am Beginn der Oper hörte man dann eine unverständliche Ansprache, bei der Donati der Appetit verging und sein Kopf auf den Teller kippte. Sind seine Verwandten alles Faschisten, die Gianni Schicchi an der Nase herumführt? Der politische Beginn versandete rasch nach dem kurzen „Auftritt“ eines Spruchbandes, das man aber nicht lesen konnte, weil es sich beim Aufspannen verdreht hatte. Natürlich gab es kein Bett, was den Betrug des Notars viel glaubhafter gemacht hätte. Und die Karnevals-Florentiner mit ihren teils schrägen Kostümen und dem einen und anderen Partyhütchen sorgten bei mir mehr für ein gequältes Lächeln als für ein befreites Lachen.

Ambrogio Maestri, der im Vorfeld die Partie von Carlos Álvarez übernommen hatte (Álvarez war ursprünglich auch als Michele geplant gewesen), betrieb witzig und mit listigem Humor Schiccis Erbschleicherei. Die Verwandtschaft war insgesamt gut ausstaffiert und daran lag es nicht, dass sich dieser „Gianni Schicchi“ mehr chaotisch als komödiantisch gestaltete – dafür sorgte die in der Personenführung stark übertreibende Inszenierung. Serena Sáenz gab ein hübsch vorgetragenes „O mio babbino caro“ und Bogdan Volkov lieh dem Rinuccio einen sicheren, aber etwas nüchternen und nicht recht durchsetzungsstarken lyrischen Tenor. Als Typen köstlich etwa Dan Paul Dumitrescu als geerdeter Simone oder Michaela Schuster als erbgierige Zita.

Das Staatsopernorchester unter Philippe Jordan mischte unter alle drei Opern ein etwas dickflüssiges, des öfteren zu sängerdeckendes musikalisches „Sugo“, und was im Finale des „Mantels“ noch effektvoll aufkochte, war für die „Schwester Angelika“ schon zu „alltagsköstig“ und für den „Gianni Schicchi“ zu unwürzig abgeschmeckt. „Gianni Scicchi“ hätte einen feinsinnigeren Humor gut vertragen, funkensprühend aus dem Orchestergraben – und das „Wunder“, das Puccini in der „Suor Angelica“ komponiert hat, fand im Orchester zu wenig Entsprechung.

Bleibt als Resümee, dass es mehr ein „bemühter“ Premierenabend gewesen ist, mit nur knapp zehn Minuten Schlussapplaus. Die Regie kam nicht ohne deutliche Buhrufe davon, aber es gab auch einiges an Bravorufen, die eifrig dagegen hielten. Jedenfalls schien nach drei Stunden und rund vierzig Minuten (es gibt zwei Pausen) das Publikum nur mehr bedingt begeisterungsfähig. Irgendwie fehlte dieser Neuproduktion das Außergewöhnliche. Nur das Werk wieder einmal auf den Spielplan zu hieven, ergibt eine etwas dünne Motivation – und dabei vielleicht ein Komponistenjubiläum im Auge zu haben macht die Sache auch nicht wirklich „zwingender“ (Puccini ist 1924 verstorben).

Was sonst noch auffiel: Die Bühne wird wieder einmal durch ein Portal verkleinert, wodurch für obere Seitenplätze der Blickwinkel eingeschränkt ist. Bei diesem „Bühnenbild“ hat das vor allem den Nachteil (oder Vorteil), dass man die Leuchtschrift nur zum Teil lesen kann. Aber wie lautet nicht das Motto dieser Inszenierung?: „Wie schwer ist es, glücklich zu sein.“