IL TABARRO / SUOR ANGELICA /
GIANNI SCHICCHI
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Theater an der Wien
10. Oktober 2012
Premiere

Dirigent: Rani Calderon

Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Carla Teti
Licht: Alessandro Carletti


ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor
(Ltg. Erwin Ortner)
Kinderchor: Gumpoldskirchner Spatzen (Ltg. Elisabeth Ziegler)

Il Tabarro:

Giorgetta - Patricia Racette
Luigi - Maxim Aksenov
Michele - Roberto Frontali
La Frugola - Stella Grigorian
Il Talpa - Maurizio Lo Piccolo
Il Tinca - Jürgen Sacher
Amante - Ekaterina Sadovnikova
Amante - Paolo Fanale
Un venditore di canzonette - Andrew Owens


Suor Angelica:

Suor Angelica - Patricia Racette
La Zia Principessa - Marie-Nicole Lemieux
La Badessa - Stella Grigorian
La Suora Zelatrice - Ann-Beth Solvang
La Maestra delle Novizie - Celia Sotomayor
Suor Genovieffa - Ekaterina Sadovnikova
Suora Infermiera - Gaia Petrone
Prima Cercatrice - Carola Glaser
Seconda Cercatrice - Milena Arsovska
La novizia | Suor Osmina - Lilja Gudmundsdottir
La prima conversa | Suor Dolcina - Frederikke Kampmann
La seconda conversa - Johanna Krokovay

Gianni Schicchi:

Gianni Schicchi - Roberto Frontali
Lauretta - Ekaterina Sadovnikova
Zita - Marie-Nicole Lemieux
Rinuccio - Paolo Fanale
Gherardo - Jürgen Sacher
Nella - Carola Glaser
Gherardino - Leonid Sushon
Betto - Biagio Pizzuti
Simone - Maurizio Lo Piccolo
Marco - Andrea Porta
La Ciesca - Stella Grigorian
Maestro Spinelloccio - Rupert Bergmann
Amantio di Nicolao - Dario Giorgele
Pinellino - Maciej Idziorek
Guccio - Ben Connor


„Dreiteiler mit Gemeinsamkeiten“
(Dominik Troger)

Die zweite Premiere der laufenden Saison am Theater an der Wien galt Giacomo Puccinis „Il Trittico“. Es wurde ein Opernabend der szenischen Extraklasse, mitreißend bis zur letzten Sekunde.

Puccinis „Triptychon“ besteht auf den ersten Blick aus drei recht unterschiedlichen Einaktern: „Il Tabarro“: eine Eifersuchtsstory im Flussschiffermilieu inklusive Mord; „Suor Angelica“: der Selbstmord einer Nonne; und „Gianni Schicchi“: eine Erbschleicherkomödie im alten Florenz.

Alle drei Einakter bekommt man selten an einem Abend zu sehen, obwohl die Opern von Puccini für eine gemeinsame Aufführung konzipiert worden sind. „Gianni Schicchi“ hat es ins Repertoire geschafft, „Il Tabarro“ spielt man selten (vorletzte Saison hat die Volksoper die Oper neu herausgebracht), „Suor Angelica“ ist seit der Staatsopern-Produktion des „Trittico“ Ende der 1970er-Jahre (die sich nicht lange auf dem Spielplan gehalten hat) in Wien überhaupt nicht mehr gespielt worden.

Doch dem Regieteam um Damiano Michieletto gelang das Kunststück, diese drei unterschiedlichen Werke miteinander zu verknüpfen und das „Tryptichon“ als Einheit zu präsentieren, ohne dabei all zu große Willkür walten zu lassen. Lediglich bei der „Suor Angelica“ hat Michieletto die Handlung in ein Gefängnis für junge Frauen unter geistlicher Aufsicht verlegt (so seine Aussagen im Programmheft) und die Handlung um Angelicas verstorbenen Sohn verschärft – dessen Tod hier nur vorgetäuscht wird und der im Finale noch einmal auftritt und die Leiche seiner Mutter sieht. Der Selbstmord durch einen Gifttrank wurde durch das drastischer wirkende Öffnen der Pulsadern ersetzt.

Verismostimmung pur atmete der Mantel, in dem die Handlung wie im Kino detailreich ausgespielt wurde. In einer Containerlandschaft, deren Luft vom animalischen Schweiß schwer arbeitender Männer durchtränkt war, spielte die trostlose Beziehungskiste zwischen dem Schleppkahnfahrer Michele, seiner Frau Giorgetta und dem Liebhaber Luigi. Die Naturstimmung (einsinkende Dämmerung, die Symbolik des Flusses) blieb ausgeklammert.

Michieletto betonte Micheles Traurigkeit über den Verlust des gemeinsamen Kindes, der seine Beziehung zu Giorgetta schwer überschattet. Michele trug zwei Babyschuhe im Mantel mit sich herum, einmal fuhr er einen Kinderwagen zwischen den Containern spazieren, am Beginn spielte er mit einer kleinen Spielzeugeisenbahn. Diese Beispiele zeigen, dass die Inszenierung nicht nur auf die Darstellung „realer“ Gegebenheiten abzielte – Michieletto inszenierte auch einige Wünsche und Sehnsüchte der Protagonisten mit: etwa wenn Giorgettas Ausbruchsphantasien von einem Paar neuer Schuhe begleitet werden, die plötzlich langsam vom Schnürboden herabschweben. Ihr Liebhaber half ihr beim Anziehen dieser „Wunsch-Schuhe“.

Nach dem tödlichen Finale blieb Giorgetta einfach auf der abgedunkelten Bühne stehen, ein paar Container wurden hochgehoben, einer öffnete sich zu einer Zelle mit Bett und Heiligenbildern, rechts „installierte“ sich eine lange Reihe von Waschmuscheln. Giorgetta verwandelte sich in Angelica, rüde wurden ihr die Haare geschnitten und eine Kutte übergezogen. Die Babyschuhe tauchten auch wieder auf. Diese Verklammerung überraschte zuerst, aber die Skepsis legte sich schnell. Allerdings gerieten die ersten Minuten im zweiten Stück Michieletto recht plakativ (sündige „Insassen“ werden mit Stockschlägen bestraft) und der Chor pritschelte minutenlang beim Wäschewaschen an den Waschmuscheln. (Bis zum Auftritt der Fürstin ist die Oper aber auch ein wenig langatmig, wenn man das so sagen darf.) Die Pause gab es erst nach Angelicas Selbstmord.

„Gianni Schicchi“ setzte dann den virtuosen Schlusspunkt: die in „grausames“ Tapetendekor gehüllten Container dienten als Basis für eine skurrile Wohnlandschaft mit Treppen und Stockwerken, links im Vordergrund das Bett mit der Leiche Buoso Donatis, rechts ein großer Fernseher, über den ein paar Mal Ausschnitte aus der bekannten Zeichentrick-Serie „Der rosarote Panther“ flimmerten. Diese „Wohnung“ wurde von einem agilen SängerInnen-Team bespielt, bestens „choreographiert“, die Scheinheiligkeit und die Gier der Charaktere schonungslos – manchmal auch mit deftigerem Humor – entlarvend. Michieletto hat den „Gianni Schicchi“ als „Satire“ inszeniert – und nicht als „Komödie“ (und schon gar nicht als Burleske aus dem Jahre 1299.)

Im Finale zog „Gianni Schicchi“ den Mantel von Michele an, bis auf Rinuccio und Lauretta verschwand die ganze Sippschaft in einem Container, der sich wie mehrere andere schloss. Auf diese Weise verschwand die ganze Wohnung wie von Zauberhand und man befand sich wieder im Bühnenbild des „Mantels". Diese Schlusssequenz, die den Kinderwunsch gleichsam auf das junge Liebespaar übertrug (und die kleine Lokomotive kam auch wieder vor), verklammerte den Abend – ein überraschender und bühnenwirksamer Einfall, sozusagen der berühmte „Punkt“ auf dem sprichwörtlichen „i“.

Musikalisch blieb die Aufführung hinter dem starken szenischen Eindruck zwar zurück – aber für ausgeprägte Feinschmecker italienischen Operngesanges war er offenbar auch nicht konzipiert worden. Die ausgewählte Besetzung passte vom Stimmcharakter mehr zum Bühnenrealismus Michielettos, der auch Gianni Schicchi nicht als durchtriebenen „Komiker“ angelegt hat. Mit kräftigem, etwas einförmigem Bariton besang Roberto Frontali die Sehnsüchte des Flussschiffers und seine brutalen Rachegelüste. Sein Gianni Schicchi war nicht ohne Witz, aber der Humor doch ein wenig trocken – und eigentlich war dieser Gianni Schicchi gar nicht so weit von den Familienmitgliedern entfernt, die er an der Nase herumführt.

Auch Patricia Racette betonte mehr die expressiven Seiten. Ihr Sopran ließ Strahlkraft hören und klang nur bei einigen Spitzentönen schon etwas überbeansprucht. Die Sängerin verfügt über eine beeindruckende Darstellungsgabe. Ihre Schwester Angelica setzte schauspielerische Energien frei, die man in dieser Rolle nie vermuten würde. Die Konfrontation mit der „eiskalten“ Fürstin, gesungen von Marie-Nicole Lemieux, explodierte in einem energetischen Verzweiflungsanfall, an den man sich noch lange erinnern wird. Ihre Leistung wurde am Schluss von „Suor Angelica“ mit starkem Applaus gewürdigt. Marie-Nicole Lemieux ist selbst eine hervorragende Darstellerin, die schon in konzertanten Vorstellungen das Publikum um den „Finger wickelt“. Als hartherzige, unsympathische Fürstin und als nicht minder Besitzstand erstrebende Zita im „Gianni Schicchi" erntete sie ebenfalls viel Applaus.

Maxim Aksenov musste als Luigi an einigen Stellen schon stärker forcieren. Sein Tenor ist vom Timbre eher hart und der Sänger bediente sich seiner etwas „brechstangenmäßig". Gespielt hat er – wie alle Mitwirkenden – mit mitreißendem Engagement. Stella Grigorian gab eine als Sandlerin zwischen Containern streunende Frugola, mit hexenhaftem Lachen und von der Regie durchaus ein wenig hintergründig angelegt. Ekaterina Sadovnikova sang eine hübsche Lauretta, Paolo Fanale einen soliden Rinuccio. Aber die gesanglichen Einzelleistungen waren nicht die Quintessenz dieses Abends, der seine Überzeugungskraft vor allem aus der Inszenierung und dem außerordentlich gut darauf abgestimmten Ensemble inklusive Chor (!) bezog.

Am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters stand nach der relativ kurzfristigen Absage von Kirill Petrenko der israelische Dirigent Rani Calderon. Calderon ließ die Musik weniger scharf akzentuiert zu Gehör bringen (was ein wenig im Gegensatz zur Inszenierung stand), sondern mehr „flächig“ spielen: ein geschmackvoller, locker umgesetzter „Puccini“-Sound, manchmal für das Theater an der Wien zu laut, aber in Summe wohlgefällig und in Anbetracht der Umstände recht vielversprechend.

Es gab rund zehn Minuten lang starken, einhellig positiven Schlussapplaus – auch für das Inszenierungsteam!

Fazit: Diese Aufführung sollte man nicht versäumen!