„Glamoursopran und Krafttenor“
(Dominik Troger)
Anna
Netrebko ist als Manon Lescaut an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt.
Sie taucht die Partie wieder in ihren dunklen Sopran und spielt die
verführte und verführerische Manon mit kokettem Lebenshunger, der sie von der französischen Provinz schlussendlich und schicksalshaft bis nach Nordamerika entführt.
Das
Ambiente der Inszenierung ist leider nach wie vor dasselbe: Manon
Lescauts Tod im Shopping Center als moralisierende Paraphrase auf ein
konsumlüsternes Zeitalter. Die Premiere ging im Jahr 2005 über die
Bühne, laut Programmzettel wurde an diesem Abend die 41. Vorstellung
dieser Produktion gespielt, in der Regisseur Robert Carsen viel zu
krampfhaft versucht hat, „zeitgemäß“ und „kritisch“ zu sein.
Dass
der Abend vor allem von Anna Netrebko geprägt werden würde, war keine
Überraschung. Ihr üppiger Sopran schwelgte in Puccinischer Lebensfreude
samt einer großen Portion Liebesleid. Das Mädchenhafte dieser
Bühnenfigur, so manche musikalisch ausgezierte Seelenregung wird von
der breitströmenden Mittellage ihrer Stimme inzwischen zwar weitgehend
überdeckt, der Anflug von „Backfischgehabe“ im ersten Akt wirkte
trotzdem nicht aufgesetzt.
Der
zweite Akt liegt Netrebko wahrscheinlich am besten, zwischen Glanz und
Glamour und stürmischen Liebesgefühlen kann sie sich und ihre Stimme in
die „Auslage“ stellen. Beim von der Regie geforderten Fotoshooting
garnierte sie manche Pose mit viel Erotik und wenig später lockte und
verführte sie Des Grieux mit ihrem mezzogrundierten, nougatcremigen
Sopran zu einer kurzen Liebesszene. Im vierten Akt prunkte
Netrebkos Stimme noch einmal in aller Fülle, ihre Energie flutete das
Haus, und während Manon Lescaut irgendwo hinter New
Orleans in fiebrigem Durst verschmachtete, labte sich das Publikum an diesem sattrunden „Wohlfühl“-Sopran. In der Höhe klang die Stimme fragiler als bei der Aufführungsserie
2016, aber nach wie vor ohne Schärfe.
Yusif Eyvazov
gab sein Wiener Rollendebüt als Des Grieux. Aufschmelzende „Kantilenen“
waren seine Sache nicht, das charakteristische sprödmetallische Timbre
seines Tenors drängte sich an diesem Abend zu kräftig in den Vordergrund.
Seine gesanglichen Liebesbezeugungen gestalteten sich etwas lautstark, aber er bewältigte die Partie sicher, mit gutem Gespür
für Puccinis tenorale Höhepunkte.
Davide Luciano
gelang als Lescaut in Summe ein gutes Rollendebüt an der Staatsoper,
ein Eindruck, der sich aber erst im Laufe der Vorstellung verfestigte. Evgeny Solodovnikov fiel als Geronte schon zu deutlich ab, Carlos Osuna, der als Edmondo regiebedingt einen Fotografen zu mimen hat, punktete vor allem darstellerisch. Das Orchester unter Jader Bignamini
wird sich in den kommenden Aufführungen der Serie hoffentlich in der
Lautstärke etwas einbremsen, für mehr Glanz sorgen und sich
einfühlsamer auf Puccinis Emotionen einlassen. Der erste Akt diente
noch dem allgemeinen „Zusammenfinden“ und schwächelte, im Publikum kam
zuerst auch keine Stimmung auf. Der Schlussapplaus dauerte rund acht
Minuten lang.
PS: Vor der Oper beim
Zugang Kärntnerstraße war vor Beginn wieder ein sehr kleines Grüppchen
an Demonstranten aufmarschiert, um gegen den Staatsopernauftritt von
Anna Netrebko zu protestieren. Sie wurden kaum beachtet, auch im Haus
gab es keinen Widerspruch.
PPS:
Das Gehuste im Auditorium ließ darauf schließen, dass schon die erste
große Verkühlungswelle im Anrollen ist, und ein saftiger „Nieser“
erschütterte im vierten Akt jäh die von Manon mit qualvollem Klagen
gefühlte Einsamkeit ...
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