MANON LESCAUT
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Wiener Staatsoper
30.6.2016

Dirigent: Marco Armiliato

 

Manon Lescaut - Anna Netrebko
Lescaut - David Pershall
Des Grieux - Marcello Giordani
Geronte - Wolfgang Bankl
Edmondo - Carlos Osuna
Der Wirt - Il Hong
Ein Sergeant - Marcus Pelz
Musiker - Juliette Mars
Vier Madrigalisten - Irene Hofmann, Irena Krsteska, Sabine Kogler, Gabriella Bessenyei


Saisonbeschluss mit Anna Netrebko

(Dominik Troger)

Die Staatsopernsaison 2015/16 ist vorbei. Den Schlusspunkt setzte diesmal Anna Netrebko. Kann man sich einen schöneren Saisonabschluss wünschen, als von Netrebkos dunkelsamtenem Sopran in die Sommerpause gesungen zu werden?

Nach zwei Vorstellungen „Manon Lescaut“ (Aufführungen zwei und vier) hat sich bei mir die Bewunderung für Anna Netrebkos energetische Bühnenpräsenz noch verstärkt. Weil im ersten Akt Manon – im Vergleich zur Oper von Jules Massenet – weniger gut in Szene gesetzt wird, ist der zweite Akt der Schlüssel zum Erfolg. Es gibt hier zwar durchaus Passagen, die Netrebko gesanglich ein wenig Mühe machen könnten (das bewies die von mir ebenfalls besuchte Aufführung am 23. Juni), aber sie scheut nicht das Risiko und lässt sich ganz auf diese ressourcenfordernde Rolle ein – auf eine verlockende, aus frisch gebliebenem Mädchenteint erblühende und vom Reichtum angelockte „Frauenfantasie“. Netrebkos Manon hat sich ein ehrliches Herz bewahrt und vermag dort, wo vor allem die Inszenierung den Einsatz weiblicher Reize fordert, glaubwürdig zu agieren: Die verführte und verführerische Naive paarte sich mit Koketterie und einem Hauch von ironischem Augenzwinkern. Und – oh Wunder – die konzeptuelle Regie von Robert Carsen wurde dank Netrebko wirklich erträglicher.

Das „In quelle trine morbide“ tauchte sie in eine sattgefärbte, das Herz wärmende Lyrik und wurde dafür gleich mit Szenenapplaus bedacht. Sicher kamen die Spitzentöne, bemerkenswert war das von Puccini mit Fermate versehen „hohe C“ am Schluss des Tanzunterrichts (der in dieser Inszenierung so nicht stattfindet). Dort lokalisieren auch ein wenig die in der Besprechung zur zweiten Aufführung angedeuteten „Stresszonen“ von Netrebkos Sopran. An diesem Abend klang die Stimme in den extremer gesetzten Passagen entspannter und blühender als vor einer Woche. Viele andere Soprane würden sich hier bereits mit Schärfe und/oder unangenehmen Vibrato hören lassen. Außerdem ist Netrebkos Stimme nach wie vor flexibel genug, um die von Puccini in dieser Szene eingelagerten „Rokoko-Schnörksel“ zu beachten, wobei ein wenig die „Tiefenschärfe“ zugunsten einer auf breiter Basis fundierten Stimmagilität zurückstand. Aber das war noch nicht alles: Allein mit welcher Leidenschaft Manon mit dem „Tu, tu,amore?“ in das Liebesduett mit Des Grieux überleitete! Sowohl Netrebko als auch Marcello Giordani als Des Grieux haben die Energie, die Puccini in diesen Liebesduetten ohne Rücksicht auf Verluste einfordert, zur Geltung gebracht – aber zum Tenor komme ich noch.

Im dritten Akt kultivierte Netrebko ihre Opferrolle, der sich im vierten Akt ein von leidenschaftlichen Energien durchflutetes heroisches Aufbegehren hinzufügte, das fast ein wenig trotzig die Grausamkeit dieses Todes anklagte – ohne sich ihm zu unterwerfen. Die Sängerin verschaffte Manon bei diesem Bühnentod ihre eigene Verklärung. Selbst hier strömte ihr Sopran noch saftig und – wenn geboten – kraftvoll.

Marcello Giordanis Handicap ist seit je die etwas ungeschliffene Mittellage – und das ist über die Jahre nicht besser geworden. Allerdings besitzt dieser wie mit rauem Leder ummantelte Tenor in der Höhe ein hausfüllendes Squillo, das der Sänger leidenschaftlich zur Explosion zu bringen vermag. Zugegeben, das klang nicht per se „schön“, aber durchaus authentisch. Sein raumfüllender gesanglicher Verismo-Heros flog bei Puccinis emotionaler Hochschaubahn nicht aus der Kurve, sondern blieb in gesanglicher Tuchfühlung mit Manon – und deshalb passte dieses Bühnenpaar sehr gut zusammen, weil es diese Hochschaubahn gemeinsam und mit sehr viel Gespür für Puccinis Gefühlsdramaturgie befuhr. Darstellerisch blieb Des Grieux im Vergleich zu Manon zu schematisch und uninspiriert. Wenig überzeugend gelang Giordani der erste Akt. Seine Galanterien waren viel zu grobschlächtig, etwas das „Tra vio, belle, brune e bionde“, mit dem sich Des Grieux quasi dem Publikum vorstellt, oder das „Donna non vidi mai“ – bei dem aber die Spitzentöne überzeugten. Ab dem zweiten Akt begannen sich im Verein mit Netrebko Giordanis Defizite rasch zu neutralisieren und in „emotionale Pluspunkte“ zu verwandeln.

Geronte wird von der Regie in dieser Inszenierung als reicher Wüstling gezeichnet, am Schluss des zweiten Aktes hat er Manon sogar zu vergewaltigen. Eigentlich müsste hier der Fokus auf Des Grieux liegen, der versucht, sich heldisch für Manon in die Schlacht zu werfen. Die Inszenierung von Robert Carsen „verzeichnet“ aber nicht nur diese Passage – wobei Wolfgang Bankls (Geronte) Bühnenpräsenz und Netrebkos Leidenschaft an diesem Abend die Regie gleichsam „verbesserten“. Wolfgang Bankls griffig-nüchterner Bassbariton ist für solche Bösewichte – oder andere markante Charaktere – ohnehin bestens geeignet. Carlos Osunas Tenor hat nach meiner Einschätzung an diesem Abend im Vergleich zur Aufführung am 23. Juni weiter an Terrain verloren. Lescaut (David Pershall) zeigte sich wenig „schlitzohrig“ und noch zu „einstudiert“. Der Chor verabschiedete sich ebenfalls in den Sommer, und ihm sei an dieser Stelle für die hohe Qualität Tag aus Tag ein und übers ganze Jahr gedankt.

Etwas enttäuschend war in Summe die Orchesterleistung unter Marco Armiliato, die zwar in der großen Linie überzeugte und die sich zu „Orgasmen“ aufschaukelnden Verismo-Wogen in „Wallungen“ versetzte – aber im Detail und in der Durchleuchtung von Puccinis raffinierter Instrumentierung mit ihren musikhistorischen Anklängen haperte es dann doch ein wenig.

Der Schlussapplaus dauerte an diesem Abend 12 Minuten – und dann schloss das Haus für die nächsten zwei Monate.