„Saisonbeschluss
mit Anna Netrebko“
(Dominik Troger)
Die
Staatsopernsaison 2015/16 ist vorbei. Den Schlusspunkt setzte diesmal
Anna Netrebko. Kann man sich einen schöneren Saisonabschluss
wünschen, als von Netrebkos dunkelsamtenem Sopran in die Sommerpause
gesungen zu werden?
Nach
zwei Vorstellungen „Manon Lescaut“ (Aufführungen
zwei und vier) hat sich bei mir die Bewunderung für Anna Netrebkos
energetische Bühnenpräsenz noch verstärkt. Weil im
ersten Akt Manon – im Vergleich zur Oper von Jules Massenet
– weniger gut in Szene gesetzt wird, ist der zweite Akt der
Schlüssel zum Erfolg. Es gibt hier zwar durchaus Passagen,
die Netrebko gesanglich ein wenig Mühe machen könnten
(das bewies die von mir ebenfalls besuchte Aufführung am 23.
Juni), aber sie scheut nicht das Risiko und lässt sich ganz
auf diese ressourcenfordernde Rolle ein – auf eine verlockende,
aus frisch gebliebenem Mädchenteint erblühende und vom
Reichtum angelockte „Frauenfantasie“. Netrebkos
Manon hat sich ein ehrliches Herz bewahrt und vermag dort, wo vor
allem die Inszenierung den Einsatz weiblicher Reize fordert, glaubwürdig
zu agieren: Die verführte und verführerische Naive paarte
sich mit Koketterie und einem Hauch von ironischem Augenzwinkern.
Und – oh Wunder – die konzeptuelle Regie von Robert
Carsen wurde dank Netrebko wirklich erträglicher.
Das
„In quelle trine morbide“ tauchte sie in eine
sattgefärbte, das Herz wärmende Lyrik und wurde dafür
gleich mit Szenenapplaus bedacht. Sicher kamen die Spitzentöne,
bemerkenswert war das von Puccini mit Fermate versehen „hohe
C“ am Schluss des Tanzunterrichts (der in dieser Inszenierung
so nicht stattfindet). Dort lokalisieren auch ein wenig die in der
Besprechung zur zweiten Aufführung angedeuteten „Stresszonen“
von Netrebkos Sopran. An diesem Abend klang die Stimme in den extremer
gesetzten Passagen entspannter und blühender als vor einer
Woche. Viele andere Soprane würden sich hier bereits mit Schärfe
und/oder unangenehmen Vibrato hören lassen. Außerdem
ist Netrebkos Stimme nach wie vor flexibel genug, um die von Puccini
in dieser Szene eingelagerten „Rokoko-Schnörksel“
zu beachten, wobei ein wenig die „Tiefenschärfe“
zugunsten einer auf breiter Basis fundierten Stimmagilität
zurückstand. Aber das war noch nicht alles: Allein mit welcher
Leidenschaft Manon mit dem „Tu, tu,amore?“ in
das Liebesduett mit Des Grieux überleitete! Sowohl Netrebko
als auch Marcello Giordani als Des Grieux haben die Energie, die
Puccini in diesen Liebesduetten ohne Rücksicht auf Verluste
einfordert, zur Geltung gebracht – aber zum Tenor komme ich
noch.
Im
dritten Akt kultivierte Netrebko ihre Opferrolle, der sich im vierten
Akt ein von leidenschaftlichen Energien durchflutetes heroisches
Aufbegehren hinzufügte, das fast ein wenig trotzig die Grausamkeit
dieses Todes anklagte – ohne sich ihm zu unterwerfen. Die
Sängerin verschaffte Manon bei diesem Bühnentod ihre eigene
Verklärung. Selbst hier strömte ihr Sopran noch saftig
und – wenn geboten – kraftvoll.
Marcello
Giordanis Handicap ist seit je die etwas ungeschliffene
Mittellage – und das ist über die Jahre nicht besser
geworden. Allerdings besitzt dieser wie mit rauem Leder ummantelte
Tenor in der Höhe ein hausfüllendes Squillo, das der Sänger
leidenschaftlich zur Explosion zu bringen vermag. Zugegeben, das
klang nicht per se „schön“, aber durchaus authentisch.
Sein raumfüllender gesanglicher Verismo-Heros flog bei Puccinis
emotionaler Hochschaubahn nicht aus der Kurve, sondern blieb in
gesanglicher Tuchfühlung mit Manon – und deshalb passte
dieses Bühnenpaar sehr gut zusammen, weil es diese Hochschaubahn
gemeinsam und mit sehr viel Gespür für Puccinis Gefühlsdramaturgie
befuhr. Darstellerisch blieb Des Grieux im Vergleich zu Manon zu
schematisch und uninspiriert. Wenig überzeugend gelang Giordani
der erste Akt. Seine Galanterien waren viel zu grobschlächtig,
etwas das „Tra vio, belle, brune e bionde“,
mit dem sich Des Grieux quasi dem Publikum vorstellt, oder das „Donna
non vidi mai“ – bei dem aber die Spitzentöne
überzeugten. Ab dem zweiten Akt begannen sich im Verein mit
Netrebko Giordanis Defizite rasch zu neutralisieren und in „emotionale
Pluspunkte“ zu verwandeln.
Geronte
wird von der Regie in dieser Inszenierung als reicher Wüstling
gezeichnet, am Schluss des zweiten Aktes hat er Manon sogar zu vergewaltigen.
Eigentlich müsste hier der Fokus auf Des Grieux liegen, der
versucht, sich heldisch für Manon in die Schlacht zu werfen.
Die Inszenierung von Robert Carsen „verzeichnet“ aber
nicht nur diese Passage – wobei Wolfgang Bankls
(Geronte) Bühnenpräsenz und Netrebkos Leidenschaft an
diesem Abend die Regie gleichsam „verbesserten“. Wolfgang
Bankls griffig-nüchterner Bassbariton ist für solche Bösewichte
– oder andere markante Charaktere – ohnehin bestens
geeignet. Carlos Osunas Tenor hat nach meiner Einschätzung
an diesem Abend im Vergleich zur Aufführung am 23. Juni weiter
an Terrain verloren. Lescaut (David Pershall) zeigte
sich wenig „schlitzohrig“ und noch zu „einstudiert“.
Der Chor verabschiedete sich ebenfalls in den Sommer, und ihm sei
an dieser Stelle für die hohe Qualität Tag aus Tag ein
und übers ganze Jahr gedankt.
Etwas
enttäuschend war in Summe die Orchesterleistung unter Marco
Armiliato, die zwar in der großen Linie überzeugte
und die sich zu „Orgasmen“ aufschaukelnden Verismo-Wogen
in „Wallungen“ versetzte – aber im Detail und
in der Durchleuchtung von Puccinis raffinierter Instrumentierung
mit ihren musikhistorischen Anklängen haperte es dann doch
ein wenig.
Der
Schlussapplaus dauerte an diesem Abend 12 Minuten – und dann
schloss das Haus für die nächsten zwei Monate. |