„Anna
Lescaut“
(Dominik Troger)
Die
Wiener Staatsoper spielt erstmals seit Dezember 2010 wieder „Manon
Lescaut“. Premiere hatte diese Produktion in der Regie von
Robert Carsen 2005. An diesem Abend wurde die – laut Programmzettel
– 34. Aufführung in dieser Inszenierung gespielt.
Die
Vorstellung begann mit einer Gedenkminute für Kammersänger
Alfred Sramek. Der Direktor war gemeinsam mit Wolfgang Bankl vor
den Vorhang getreten und hatte das Publikum über das Ableben
des Sängers informiert. Sramek war zuletzt Mitte April als
Mesner in der „Kaufmann-Terfel-Gheorgiu-Tosca“ aufgetreten.
Seit Jahren gesundheitlich schwer angeschlagen hat er sich trotzdem
und unermüdlich in der humorvoll-menschlichen Zeichnung der
von ihm verkörperten Bühnenfiguren nicht unterkriegen
lassen. Die Vorstellung wurde seitens Direktion und Ensemble dem
Verstorbenen gewidmet. Sramek war am späten Nachmittag verstorben,
die schwarze Flagge flatterte zum Angedenken mahnend erst in der
Pause an der Terrassenbrüstung.
Schon
bei der Premiere 2005 war diese Staatsopern-„Manon Lescaut“
nicht der große „Renner“ gewesen. Das Konzept
der Inszenierung, die Handlung in ein modernes Shoppingcenter zu
verlegen, hat viel dazu beigetragen. Im
Zentrum der Aufführung stand natürlich Anna Netrebko,
die sich in dieser Aufführungsserie erstmals dem Wiener Publikum
als Puccini-Manon präsentierte. (Die Massent-Manon wurde von
ihr bereits 2007 an der Staatsoper gegeben). Netrebkos Sopran hat
in den letzten Jahren eine berauschende, schwere Süße
gewonnen, die einen immensen Suchtfaktor ausübt. Die Stimme
besitzt ein erotisch-geschwängertes Flair, dass Manon mit prachtvoller
Weiblichkeit umspielt. Insofern war optisch die Kostüm- und
Schmuckkollektion des zweiten Aktes „wie aufgelegt“
für Netrebko, die sich auch abseits der Bühne in der Hochglanzprospektwelt
der Mode bestens zu bewegen weiß. Die Inszenierung drängt
Manon sogar zu einem etwas anzüglichen Foto-Shooting, das die
Sängerin zu einer aufregenden, aber subtil ironisierten Präsentation
ihrer gesanglichen und körperlichen Reize nützte.
Koketterie
und Leidenschaft erzielten in diesem Akt einen vokal nicht immer
ganz ungestresst gemeisterten Siedepunkt, ehe sich das wie eine
Fackel verlodernde Schicksal Manons im dritten und vierten Akt erfüllte,
um in den unermesslichen Weiten der Neuen Welt erschöpft das
Bühnenleben auszuhauchen. Netrebkos Manon kämpfte hier
den Kampf einer lebenshungrigen Frau, die zwar seelisch und körperlich
gebrochen sein mag, der aber ihre Stimme ein leidenschaftliches
Abschiednehmen ermöglicht, das die öde ausgedörrte
Landschaft weit hinter New Orleans mit den prachtvollen Schauern
einer dunkelrot aufglühenden Abenddämmerung überzieht.
Was Netrebkos Manon Lescaut im Finale etwas abging, war die kreatürliche,
schauererzeugende Furcht vor dem bereits tief gefühlten Ende.
Ich versuche mich gerade an Mirella Frenis Manon Lescaut zu erinnern
(wobei Youtube sehr hilfreich ist). Wiener Staatsoper, Premiere
1986: Frenis „Sola, perduta, abbadonata“ war
lyrischer gehalten, voll von todeshaucherzitternden Schattierungen;
Netrebko hingegen tauchte die Stimme vergleichsweise in geharzte,
aus tiefem Grund aufemallierende Farben für ein großflächiges
Ölgemälde. Beides hat seine Reize.
Marcello
Giordani sang den Des Grieux. Verismo geeichtes Stehvermögen
und durchschlagskräftige Spitzentöne sicherten dem Sänger
die Gunst des Publikums. Das Timbre seines Tenors ist in der Mittellage
noch rauer geworden, was nicht unbedingt den Charmeur in Des Grieux
herausstrich. Im Spiel wirkte der Sänger wenig mitreißend.
Wolfgang
Bankl gab einen sehr bösen Geronte – maßlos
in seinem Begehren und in seiner Rache. Er war neben Netrebko die
beherrschende Bühnenerscheinung. Carlos Osuna
blieb als Edmondo etwas unter den gesanglichen Möglichkeiten,
die die Rolle bereithält. David Pershall ließ
als Lescaut ein schönes Timbre hören, wirkte aber noch
sehr jung und wenig durchtrieben.
Marco
Armiliato leitete das Staatsopernorchester mit sicherem
Verismogespür, aber etwas grobflächig, etwas laut. Der
Schlussapplaus brachte es auf knapp zehn Minuten – und wie
Netrebko einen geworfenen Blumenstrauß mit mädchenhaftem
Elan im Fluge ergriff, war für ihre Fans schon allein den Abend
wert.
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