MANON LESCAUT
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Wiener Staatsoper
23.6.2016

Dirigent: Marco Armiliato

 

Manon Lescaut - Anna Netrebko
Lescaut - David Pershall
Des Grieux - Marcello Giordani
Geronte - Wolfgang Bankl
Edmondo - Carlos Osuna
Der Wirt - Il Hong
Ein Sergeant - Marcus Pelz
Musiker - Juliette Mars
Vier Madrigalisten - Younghee Ko, Denisa Daniel, Jozefina Monarcha, Gabriella Bessenyei

Anna Lescaut
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper spielt erstmals seit Dezember 2010 wieder „Manon Lescaut“. Premiere hatte diese Produktion in der Regie von Robert Carsen 2005. An diesem Abend wurde die – laut Programmzettel – 34. Aufführung in dieser Inszenierung gespielt.

Die Vorstellung begann mit einer Gedenkminute für Kammersänger Alfred Sramek. Der Direktor war gemeinsam mit Wolfgang Bankl vor den Vorhang getreten und hatte das Publikum über das Ableben des Sängers informiert. Sramek war zuletzt Mitte April als Mesner in der „Kaufmann-Terfel-Gheorgiu-Tosca“ aufgetreten. Seit Jahren gesundheitlich schwer angeschlagen hat er sich trotzdem und unermüdlich in der humorvoll-menschlichen Zeichnung der von ihm verkörperten Bühnenfiguren nicht unterkriegen lassen. Die Vorstellung wurde seitens Direktion und Ensemble dem Verstorbenen gewidmet. Sramek war am späten Nachmittag verstorben, die schwarze Flagge flatterte zum Angedenken mahnend erst in der Pause an der Terrassenbrüstung.

Schon bei der Premiere 2005 war diese Staatsopern-„Manon Lescaut“ nicht der große „Renner“ gewesen. Das Konzept der Inszenierung, die Handlung in ein modernes Shoppingcenter zu verlegen, hat viel dazu beigetragen. Im Zentrum der Aufführung stand natürlich Anna Netrebko, die sich in dieser Aufführungsserie erstmals dem Wiener Publikum als Puccini-Manon präsentierte. (Die Massent-Manon wurde von ihr bereits 2007 an der Staatsoper gegeben). Netrebkos Sopran hat in den letzten Jahren eine berauschende, schwere Süße gewonnen, die einen immensen Suchtfaktor ausübt. Die Stimme besitzt ein erotisch-geschwängertes Flair, dass Manon mit prachtvoller Weiblichkeit umspielt. Insofern war optisch die Kostüm- und Schmuckkollektion des zweiten Aktes „wie aufgelegt“ für Netrebko, die sich auch abseits der Bühne in der Hochglanzprospektwelt der Mode bestens zu bewegen weiß. Die Inszenierung drängt Manon sogar zu einem etwas anzüglichen Foto-Shooting, das die Sängerin zu einer aufregenden, aber subtil ironisierten Präsentation ihrer gesanglichen und körperlichen Reize nützte.

Koketterie und Leidenschaft erzielten in diesem Akt einen vokal nicht immer ganz ungestresst gemeisterten Siedepunkt, ehe sich das wie eine Fackel verlodernde Schicksal Manons im dritten und vierten Akt erfüllte, um in den unermesslichen Weiten der Neuen Welt erschöpft das Bühnenleben auszuhauchen. Netrebkos Manon kämpfte hier den Kampf einer lebenshungrigen Frau, die zwar seelisch und körperlich gebrochen sein mag, der aber ihre Stimme ein leidenschaftliches Abschiednehmen ermöglicht, das die öde ausgedörrte Landschaft weit hinter New Orleans mit den prachtvollen Schauern einer dunkelrot aufglühenden Abenddämmerung überzieht. Was Netrebkos Manon Lescaut im Finale etwas abging, war die kreatürliche, schauererzeugende Furcht vor dem bereits tief gefühlten Ende. Ich versuche mich gerade an Mirella Frenis Manon Lescaut zu erinnern (wobei Youtube sehr hilfreich ist). Wiener Staatsoper, Premiere 1986: Frenis „Sola, perduta, abbadonata“ war lyrischer gehalten, voll von todeshaucherzitternden Schattierungen; Netrebko hingegen tauchte die Stimme vergleichsweise in geharzte, aus tiefem Grund aufemallierende Farben für ein großflächiges Ölgemälde. Beides hat seine Reize.

Marcello Giordani sang den Des Grieux. Verismo geeichtes Stehvermögen und durchschlagskräftige Spitzentöne sicherten dem Sänger die Gunst des Publikums. Das Timbre seines Tenors ist in der Mittellage noch rauer geworden, was nicht unbedingt den Charmeur in Des Grieux herausstrich. Im Spiel wirkte der Sänger wenig mitreißend. Wolfgang Bankl gab einen sehr bösen Geronte – maßlos in seinem Begehren und in seiner Rache. Er war neben Netrebko die beherrschende Bühnenerscheinung. Carlos Osuna blieb als Edmondo etwas unter den gesanglichen Möglichkeiten, die die Rolle bereithält. David Pershall ließ als Lescaut ein schönes Timbre hören, wirkte aber noch sehr jung und wenig durchtrieben.

Marco Armiliato leitete das Staatsopernorchester mit sicherem Verismogespür, aber etwas grobflächig, etwas laut. Der Schlussapplaus brachte es auf knapp zehn Minuten – und wie Netrebko einen geworfenen Blumenstrauß mit mädchenhaftem Elan im Fluge ergriff, war für ihre Fans schon allein den Abend wert.