MANON LESCAUT
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Puccini-Portal

Wiener Staatsoper
Premiere
4. Juni 2005

Dirigent: Seiji Ozawa

Regie:
Robert Carsen
Ausstattung: Antony McDonald

 

Manon Lescaut - Barbara Haveman
Lescaut - Boaz Daniel
Des Grieux - Neil Shicoff
Geronte - Wolfgang Bankl
Edmondo - Saimir Pirgu
Der Wirt - Marcus Pelz
Ein Sergeant - Johannes Wiedecke
Vier Madrigalisten - Jung-Won Han-Gallaun, Denisa Danielová, Jozefina Monarcha, Arina Holecek

„Opern-Tod in der Shopping-Wüste“
(Dominik Troger)

An der Staatsoper hat man Puccinis „Manon Lescaut“ zielbewusst in den „Sand gesetzt“ – im übertragenen Sinne der Bedeutung. Regisseur Robert Carsen hat das Werk in die Gegenwart verlegt und versucht, ein „moralisches Lehrstück“ zu inszenieren. Vor den Auslagenscheiben einer Einkaufspassage verkommt die fatale Liebesbeziehung zwischen Manon und Des Grieux zu einem langatmigen Opernabend.

Natürlich ist „Manon Lescaut“ dramaturgisch noch nicht so durchkonzipiert wie spätere Puccini-Opern. Die Romanvorlage des Abbé Prévost wurde für das Libretto stark verkürzt, die psychologische Entwicklung der Figuren ist nicht durchgängig nachvollziehbar, die Handlungssprünge sind teilweise enorm. Vieles, was die fatale Liebesbeziehung zwischen Manon und Des Grieux betrifft, passiert zwischen den Akten. Auch musikalisch überzeugt das Werk vor allem dann, wenn Manon und Des Grieux auf der Bühne stehen. Trotzdem muss man schon einiges in Bewegung setzen, um diese Oper „in die Wüste zu schicken“.

Robert Carsen hat eine Kritik der gegenwärtigen „Luxus- und Seitenblicke-Gesellschaft“ auf die Bühne gestellt. Manon fällt dieser zum Opfer – am deutlichsten in der Deportationsszene des dritten Aktes, wenn sie als handschellentragende Laufstegschöne mit vielen weiteren gestylten Leidensgenossinnen an einer amüsierten, gutbedressten Menschenmenge vorüber defiliert. In dieser Szene, wenn die Handschellen fast zu einem Modeaccessoire werden, offenbart sich die Crux der ganzen Inszenierung: sie wirkt wie das coole Hochglanzcover eines Modeprospekts, sie vermeidet jegliche historische Tiefe. Fazit: Als Zuschauer tut man sich schwer, für Schaufensterpuppen Sympathien zu empfinden...

Aber mit Des Grieux weiß Carsen noch weniger anzufangen. Was ist das für ein Mensch, dieser verhinderte Priester, der in einer Mischung aus Sendungsbewusstsein und sexueller Hörigkeit Manon nachsteigt und seinen gesellschaftlichen Status für sie aufs Spiel setzt? Was reizt Des Grieux an dieser Frau? Welche vulkanischen Leidenschaften lodern in dieser Beziehung so verheerend und mordbrennend, dass am Schluss Manon sogar in einer amerikanischen Wüste (laut Libretto) verdursten (!) muss? Diese Fragen scheinen Carsen nicht interessiert zu haben. Möglich, dass mit einer anderen Akzentsetzung die Schlussmetapher – der „Wüstentod im Shoppingcenter“ – eine tiefere, innigere Bedeutung hätte gewinnen können. Aber wenn Manon sogar im Angesicht des Todes noch nach einem Halsband giert und sich mit Geschmeide behängt, dann wird der oben beschriebene „Puppeneffekt“ nur klischeehaft prolongiert.

Der zweite große Minuspunkt dieser Aufführung ist die musikalische Leitung. Seiji Ozawa hat bis auf ein paar starke Momente, meist die Aktschlüsse, ziemlich monoton und behübschend dahindirigiert: Musik als Ware, als Shopping-Dekoration, die Liebesgeschichte reduziert auf die hohle, schön klingende Phrase. Durchgehend gute Leistungen bot das Sängerensemble – mit einer Option auf weitere Leistungssteigerung. Neil Shicoff (Des Grieux) wirkte vor der Pause verkrampft, sang zu sehr auf Druck. Später gewann er seine Sicherheit einigermaßen zurück, hat mich aber vor allem im Spiel weniger beeindruckt als sonst. Barbara Haveman brachte ihre Vorzüge nicht immer auf den Punkt. Ihr Timbre wäre den „Verlockungen der Manon“ nicht abgeneigt, aber die Stimme war wohl ein wenig zu angespannt, um dieses mehr Weiche, Runde wirklich herauszuholen. Boaz Daniel als Lescaut und Wolfgang Bankl, (Geronte) ebenso wie Saimar Pirgu (Edmondo), gaben den beiden Hauptdarstellern bewährte Rückendeckung.

Es gäbe noch ein paar Anmerkungen zu machen, etwa die fragwürdige Rolle Gerontes im dritten Akt, aber ich möchte in Anbetracht dieser Inszenierung nicht „ausschweifend“ werden. Die Publikumsreaktionen zeigten jedenfalls starke Zustimmung für die Sänger, verhaltener für Ozawa, starke Ablehnung für das Regieteam.

Die RezensentInnen in den Tageszeitungen finden für diese Produktion teilweise sehr kritische Worte, wobei vor allem Robert Carsen unter Beschuss gerät. Auch Seiji Ozawas musikalische Leitung erntet wenig Lob.

Im Berliner Tagesspiegel (8.6.05) empfiehltJörg Königsdorf einen Austausch der „Manon Lescaut"-Produktionen zwischen Wiener und Deutscher Oper: denn die Berliner „Manon Lescaut" sei dem Berliner Publikum zu konservativ gewesen, die Wiener dem Wiener Publikum zu modern. Was die SängerInnen betrifft, da könne Wien aber „aus dem vollen schöpfen" und er meint:(...) einen besseren Des Grieux als Neil Shicoff dürfte es ohnehin nicht geben".

„Glitzer allein ist zu wenig“ titelt Christina Mondolfo in der Wiener Zeitung (7.6.05) und meint, dass Carsen „Die Sänger völlig im Regen stehen lässt“, und dass das „Einheitsbühnenbild nicht für alle Szenen passt“. Den gedanklichen Ansatz der Inszenierung findet sie schlüssig, die Umsetzung nicht. Seiji Ozawa hat für sie mit „der Klangwelt Puccinis seine Probleme: Sinnlichkeit und Feuer ginge zackig unter und eilig unter, die Lautstärke bereitete den Sängern mitunter Probleme.“

In der Neuen Zürcher Zeitung (7.6.05) findet Marianne Zelger-Vogt, dass Carsen Inszenierung bis zur Pause „schlüssig“ gewirkt habe, „auch wenn sie in der klischeehaften Verwendung heutiger Statussymbole und Attitüden allzu schematisch und vorhersehbar abläuft.“ Sie bemängelt an Neil Shicoff das Fehlen von „jugendlichem Charme“, notiert, dass er vor der Pause auch „stimmlich matt“ gewesen sei. Im dritten und vierten Akt habe er sich gesteigert und dank seinen „weit geschwungenen Phrasen mit ihren genau placierten Kulminationspunkten“ sich wieder als Puccini-Interpret profiliert. Barbara Havemann besitzt für sie einen „gut fundierten Sopran“, auch wenn es ihrer Manon ein wenig an „Brillanz und ihrer Erscheinung an Ausstrahlung fehlt.“

Am heftigsten geht Wilhelm Sinkovicz in der Presse (6.6.05) mit der neuen Staatsopern „Manon Lescaut“ ins Gericht. Er findet, dass sich diese Oper in diesem Bühnenbild einer Kaufhaus-Galerie „die Geschichte der Manon Lescaut nie und nimmer ereignen kann, weil viele notwendige Kriterien der Handlung in diesem Ambiente schlicht nicht denkbar sind.“ Für ihn ergeben sich zwischen Text und Bühne die „abstrusesten Ungereimtheiten“. Außerdem gelinge es Carsen nicht die Figuren „lebensecht zu führen“. Die musikalische Leitung habe Probleme mit der Koordination zwischen Bühne und Orchester, „melodische Entwicklungen finden nicht statt“. Sein Fazit: "Die Wiener Staatsoper kann Puccinis Oper "Manon Lescaut" nicht mehr spielen."

Im Standard (6.6.05) befindet Ljubisa Tosic: „So stereotyp, steif und verloren hat man Tenor Neil Shicoff noch nie gesehen.“ Er bemängelt an Shicoff fehlende Nuancierung, lobt aber, dass „ihm die haarsträubend schweren vokalen Passagen immerhin kraftvoll und sicher“ gelungen wären. Barbara Haveman hat für an diesem Abend für „die einzigen Momente von alltagsüberschreitender Impulsivität und Qualität“ gesorgt. Betreffend Inszenierung notiert er: „Carsen hat hier nur ein modernes Design übergestülpt, alles bleibt Oberfläche, und dahinter zelebriert die träge, alte Steh- und Schreitoper ihre unerwartete Wiedergeburt.“

„Staatsopern-Chefdirigent Seiji Ozawa machte aus der musikalischen Seite der Premiere ein ordentliches Ereignis, mehr aber auch nicht.“ meint Laszlo Molnar in den Salzburger Nachrichten (6.6.05). Auch für ihn bleibt Carsen „an der Oberfläche“ auch wenn er die Idee grundsätzlich „schlüssig“ findet. Die Manon hat für ihn „mit kraftvoller und geschmeidig geführter Stimme“ gesungen, Shicoff war für ihn „keine Ideal-Besetzung, weil er deutlich forciert.“