MADAMA BUTTERFLY
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Puccini-Portal

Staatsoper
7. September 2020
Premiere

Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Inszenierung: Anthony Minghella
Regie und Choreographie: Carolyn Choa
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Han Feng
Licht: Peter Mumford

Puppendesign und -regie: Blind Summit Theatre Mark Down & Nick Barnes

Europaballeltt St. Pölten

Cio-Cio-San - Asmik Grigorian
Suzuki - Virginie Verrez
Pinkerton - Freddie De Tommaso
Sharpless - Boris Pinkhasovich
Goro - Andrea Giovannini
Kate Pinkerton - Patricia Nolz
Fürst Yamadori - Stefan Astakhov
Onkel Bonze - Evgeny Solodovnikov
Kaiserlicher Kommissär - Michael Rakotoarivon
Standesbeamter - Martin Müller
Yakuside - Wolfram Igor Derntl
Mutter Cio-Cio-Sans - Anna Charim
Tante Cio-Cio-Sans - Irena Krsteska
Cousine Cio-Cio-Sans - Maria Isabel Segarra

Solotänzerin - Hsin-Ping Chang
Solotänzer - Tom Yang
Puppenspieler - Eugenijus Slavinskas, Valentin Alfery, Emil Kohlmayr


Saisoneröffnung mit Madama Butterfly
(Dominik Troger)

Die Premiere zum Saisonstart ist vorüber– die neue Direktion hat die erste Hürde genommen. Über allem schwebte allerdings die berechtigte oder unberechtige Furcht vor COVID-19-geschwängerten Aerosolen, die sich in einer Halbierung des Platzangebots und einem – zumindest in den Pausen – „maskierten“ Publikum niederschlugen.

Die Amtszeit des neuen Staatsoperndirektoriums wurde unter schwierigen pandämischen Einschränkungen „inauguriert”. Bogdan Rošcic durfte gleich einmal seine Managementqualitäten unter Beweis stellen, um im Haus am Ring eine den behördlichen Vorgaben entsprechende COVID-19-Verhinderungsstrategie zu implementieren. Dass im Rahmen dieser pandemiebedingten Restriktionen und Adaptierungen sogar eine Lösung für den Stehplatz gefunden wurde – sogar eine überraschend bequeme – soll ganz besonders positiv herausgestrichen werden.

Laut Aushang werden 183 nummerierte Stehplätze verkauft. Das Anstellen erfolgt wie gewohnt operngassenseitig. Bei Beginn des Kartenverkaufs wird blockweise der Zugang zur Kassa gewährt. Der Praxistest am Eröffnungsabend zeigte, dass der Verkauf unter den aktuellen Bedingungen seine Zeit in Anspruch nimmt (der eingesetzte Farbdrucker ist auch nicht der schnellste). Ich war etwa der 30. in der Warteschlange und bekam mein Ticket erst um 18:20 Uhr. Ob man es geschafft hat, bis Vorstellungsbeginn um 19.00 noch alle Wartenden mit Karten zu versorgen? Die Lösung mit den Sitzplätzen auf dem Stehplatz erwies sich zumindest für die Galerie Mitte als praktikabel. Aus den drei Stehplatzreihen hat man zwei bestuhlte Reihen gemacht, das Geländer zwischen der erster und der zweiten Reihe ist entfernt worden. Ein Mund-Nasen-Schutz musste im Foyer, aber nicht während der Vorstellung getragen werden. Je nach behördlichen Auflagen kann sich das in Zukunft natürlich ändern.

Das erste, was einem ins Auge fällt, sind die neuen Programmhefte, das neu gestaltete Publikumsmagazin, das veränderte Layout der Plakate. Der Titel des gespielten Werkes wird jetzt immer rot gedruckt. Die Zeiten des „elitären“ Meyer’schen Goldglanzes sind vorbei. Programme und Publikumszeitschrift wurden und werden laut Impressum von einer Berliner (!) Agentur gestaltet und konzipiert. Solch ein Relaunch gehört inzwischen zu einem Direktionswechsel wie das Amen im Gebet. Das neue „Staatsopern-Design“ ist nicht so katastrophal ausgefallen wie das des Burgtheaters im letzten Jahr, aber allein der neue Name für das Publikumsmagazin „OPERNRING ZWEI“ lässt als Urheber nicht unbedingt eines der weltweit führenden Opernhäuser vermuten. Das Programmheft hat abgespeckt, greift sich billig an, Hochglanzpapier ist in Zeiten wie diesen offenbar zu teuer, was sich negativ auf die Wiedergabequalität der Farbfotos auswirkt. Die Formate wurden auch wieder ein bisserl verändert.

Anthony Minghella, von dem die neue Staatsopern-„Madama Butterfly“ konzipiert wurde, ist bekanntlich bereits verstorben. Die fünfzehn Jahre alte Produktion wurde bereits u. a. an der Londoner ENO und an der New Yorker Metropolitan Opera gespielt. In Wien wurde sie von Minghellas Ehefrau Carolyn Choa neu einstudiert. Die Inszenierung ersetzt die über 60 Jahre alte „Butterfly“-Produktion des Hauses am Ring, die mit ihrer „Ansichtskarten-Ethnographie“ immer noch einen praktikablen, wenn auch stark historisierenden Eindruck hinterlassen hat. Der Unterschied zwischen den beiden Produktionen ist aber nicht so groß, wie es den Anschein haben könnte. Die Geschichte wird erzählt, Sozial- oder Gesellschaftskritik bleibt im Wesentlichen draußen vor – immer geht es um das individuelle Schicksal von Cio-Cio-San, das in seiner Tragik und Konsequenz für sich selbst sprechen darf.

Minghellas Inszenierung ist „moderner“ im Geschmack, 60 Jahre gehen an den kulturellen Vorlieben und Moden einer Gesellschaft nicht spurlos vorüber. (Das lernt man auch an der pinkfarbigen Umschlagseite der neuen Staatsopernprogramme.) Außerdem fokussiert sie stärker auf „Butterfly“ selbst, weil sie weniger „Interieur“ besitzt. Es wird mit Versatzstücken wie verschiebbaren Raumteilern gearbeitet, damit lassen sich schnell Räume simulieren, verändern, öffnen. Dem Licht kommt eine große Bedeutung zu – dem Lichthoriziont, der mit eindringlichen Farben Tageszeiten oder Gemütsstimmungen andeutet. Symbole wie Kraniche werden geschwenkt und farblich illuminiert, Lampione leuchten, eine Cio-Cio-San-Puppe wird eingesetzt etc. Im Finale ist die Bühne ganz leer. Butterfly stirbt in der Mitte, zwei breite blutrote Stoffbahnen werden aus ihrem Gewand gezogen und spannen sich über die Bühne: ein starker Effekt.

Die Inszenierung orientiert sich an Elementen des japanisches Theaters, um die Handlung in einen abstrahierten, aber immer noch kulturell verorteten Raum zu stellen. Ein Beispiel dafür ist die Stabpuppe des Kindes der Butterfly, die von zwei Puppenspielern geführt wird: ein Verfremdungseffekt, der überraschend gut funktioniert. Die Personenführung ist im Wesentlichen pragmatisch, ohne zugespitzte Psychologisierung, „Wunderdinge“ hat sie keine vollbracht. Die Figuren profitieren vom optisch-szenischen Setting, das, wenn man sich nicht um Details bekümmert, insgesamt einen guten Eindruck hinterlässt – bei den gegenwärtigen Theaterverhältnissen keine Selbstverständlichkeit.

Die Künstler samt Orchester mussten an diesem Premierenabend erst einmal „warm“ werden – und vor allem im ersten Akt war das noch deutlich zu spüren. Das unüberhörbare Metall in der Stimme von Asmik Grigorian wird sich aber wahrscheinlich auch in den Folgevorstellungen nicht verflüchtigen. Es verleiht der Figur tragische Größe, ist für die kindliche Cio-Cio-San des ersten Aktes aber weniger geeignet. Zudem fehlte es dann doch am gesanglichen Differenzierungsvermögen (genauso wie dem Shootingstar-Pinkerton Freddie De Tommaso). Grigorian gewinnt der „Butterfly“ wenig sentimentale Gefühlsregungen ab, vielmehr geht es ihr ums „Ganze“ – und das mit einem Heroismus, der deutlich aus ihrer, in den Höhen einige Male schon strapazierten Stimme spricht. Sinnlich ist dieser Sopran nicht, mehr eine Kämpfernatur. Eine zunehmende Verhärtung im Leiden durchzog dieses Rollenbild: Dieses Schicksal soll erschüttern, aber es will nicht bemitleidet werden.

Wie bereits angemerkt, Freddie De Tommaso wurde dem Publikum als neuer tenoraler Shootingstar präsentiert – und das gleich mit einer Staatsopern-Premiere. Die Personenregie hat ihm keinen Schub an Bühnenkreativität verpasst, er wirkte im Spiel und im Vortrag noch recht steif. Einen guten Eindruck hinterließ er, wenn ihn Puccini zu kraftvollen gesanglichen Bögen veranlasste, lyrische Passagen waren nicht seine Stärke. Das Timbre seines Tenors ist mehr baritonal, geizte an diesem Abend aber mit Schmelz. Es wird abzuwarten sein, wie sich die Stimme in den weiteren Reprisen schlägt. Die übrige Besetzung passte gut in den Rahmen – und ob das jetzt als Lob oder als Kritik zu interpretieren ist, wird ebenfalls die Zukunft weisen. Es sollte nicht vergessen werden: die Staatsoper hat nach Monaten der Schließung wieder geöffnet und gespielt, außerdem gab es an diesem Abend fast nur Haus- und Rollendebüts. Soll man unter solchen Bedingungen gleich eine „Sternstunde“ erwarten dürfen?

Philippe Jordan hat am Pult für einen klare, leicht süffige Wiedergabe von Puccinis Emotionsschaukel gesorgt. Der musikdramatische Blick aufs Ganze hat im Wesentlichen gepasst, an der Feinabstimmung wird noch gedreht werden. Das Orchester war stellenweise schon zu dominant. Eine Verinnerlichung der Gefühle wurde bei doch eher zügigem Tempo mehr gemieden als gesucht. Aber deckte sich das nicht mit dem Rollenverständnis, das die Bühne vermittelte?

Die Atmosphäre im halbgefüllten Haus war angenehm fokussiert, es wurde zumindest in meinem Umfeld wenig gehustet, es gab keine Touristen, die alle fünf Minuten auf ihr Handy schauten oder nach einer Plastikflasche kramten. Der Tourismus ist für die Staatsoper eine wichtige Einnahmequelle, aber zu oft zeigten sich in den letzten Jahren während der Vorstellungen die geräuschvollen und ablenkenden Schattenseiten dieser Entwicklung.

Der Applaus dauerte rund eine Viertelstunde lang. Es gab sogar Bravorufe, was Epidemiologen womöglich entzürnt hätte. Der Eiserne Vorhang senkte sich bereits nach rund acht Minuten in voreiliger Pflichterfüllung. Der beharrliche Beifall zwang ihn für eine abschließenden Verbeugung der Mitwirkenden aber noch einmal in die Höhe. Geht es nach den Publikumsreaktionen, kann die neue Direktion fürs Erste zufrieden sein.