MADAME BUTTERFLY
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Volksoper
Premiere
24. April 2004

Dirigent: Marc Piollet

Regie: Stefan Herheim
Ausstattung: Kathrin Brose

Cio-Cio-San - Hui He
Suzuki - Yanyu Guo
Pinkerton - Viktor Afanasenko
Kate - Anna Peshes
Sharpless - Morten Frank Larsen
Goro - Wolfgang Gratschmaier
Yamadori - Ernst-Dieter Suttheimer
Bonze - In-Sung Sim
Yakusidé - Markus Raab
Kaiserlicher Kommissar - Einar Gudmundsson
Registrar - Daniel Strasser
Mutter - Sabine Kogler
Cousine - Nora Drimba
Tante - Marie Luise Hübl
Kind - Simon Jung

Giacomo Puccini -
Ernst-Dieter Suttheimer


„Maestro Puccini, wie beurteilen Sie diese Neuproduktion ihrer Butterfly?“
„Also, ehrlich gesagt, ich bin mir selbst bald ziemlich auf die Nerven gegangen.“

"Manchmal ist weniger mehr..."
(Dominik Troger )

Musikalisch ist diese „Butterfly“-Neuinszenierung an der Volksoper sicher eine positive Überraschung. Das „Haus am Währingergürtel“ hat dabei auf die Urfassung von 1904 zurückgegriffen, die vieles schärfer akzentuiert und dem Tenor eine Arie erspart. Über die Inszenierung lässt sich – wie erwartet – streiten.

[1] Dass ein Komponist über seine Opernschöpfungen und -geschöpfe eifersüchtig wacht, dass sie in ihm zu einer traumhaften Realität heranwachsen, dass sich in ihnen biographische Enttäuschungen niederschlagen, unausgelebte Beziehungskisten, das kann man sich schon vorstellen – auch ohne dass man es zweieinhalb Stunden lang „vorgestellt“ bekommt. Und Puccini hatte eine gewisse melodramatische Ader, die die weiblichen Hauptfiguren seiner Opern erdulden mussten: lauter tote Schönheiten. Sie fallen seiner musikalischen Leidenschaft zum Opfer wie durch den Wind abgebeutelte Rosenblüten. Aber bei aller todessehnsüchtigen Vertrautheit des Komponisten, Puccini hat seinen Bühnenschöpfungen jeweils einen sehr passenden Tod verpasst, einen Tod, der ihren Charakter noch einmal deutlich und wahr für das Publikum herausstellt. Was wäre das, wenn Tosca ihren Häschern in die Hände fiele, wenn Mimi Selbstmord beginge, wenn Butterfly sich nicht umbrächte, sondern gar umgebracht würde? Ein Fauxpas! Nein, Tosca muss den Sprung in die Tiefe wagen und in dem Augenblick des Absprungs ihr ganzes Selbst entäußern, um den Komponisten und sein Publikum zu erlösen. Das ist der wahre Abgang einer Operndiva, ihr Tod ist wie der hohe Ton am Schluss einer Arie. Der Applaus ist ihr sicher. Die sanftere Mimi, diese kränkliche Geschöpf, gibt es ein angemesseneres Ende für sie, als diese, sie wie eine unglückliche Liebe verzehrende Krankheit? Könnte sie sich umbringen? Hätte sie diesen Willen und die Kraft dazu? Nie und nimmer! Muss das erschöpfende Leben Manon Lescaut nicht völlig erschöpft haben? Ihre Seele ist so ausgedörrt wie die Wüste, in der sie sterben wird. Muss Butterfly nicht Selbstmord begehen? Ist dieser Selbstmord nicht genau der Punkt, der Cio-Cio-Sans unbezwingbare Liebe und zugleich ihre kulturelle Identität herausstellt – dass nämlich nur sie sich in dieser Oper „echt“ bleibt und unentfremdet, in dem sie die einzige „Freiheit“ wählt, die ihr noch bleibt? Kann es eine stärkere Betonung des Kontrastes und der moralischen Wertigkeit geben zwischen dem teilweise läppischen Pinkerton und seinem japanischen Puppenmädchen? Wohl kaum. Es gibt kaum schlüssigere Bühnentode als jene dieser zarten Puccini’schen Geschöpfe.

[2] In der Volksoper ist das jetzt ganz anders. Butterfly verzichtet auf ihren Selbstmord. Sie lässt sich töten. Auch von Puccini. Der Komponist stapft von Anfang an auf der Bühne umher, er geht bei den Pinkertons ein und aus. Er drängt sich in das Eigenleben seiner Bühnenfiguren, zieht die Aufmerksamkeit auf sich, mimt den Überraschten, den Bedrohten, den Kulissenschieber und Requisiteur. Viele Szenen leiden unter diesem wenig erbaulichen Regieeinfall, der eine psychologische Ausdeutung der Butterfly-Pinkerton-Geschichte nicht zulässt, der alles ins schablonenhafte drängt, der aus Figuren Marionetten ihres Kompositeurs macht. Aber erst am Schluss ufert diese Idee wirklich aus, deklariert sie Puccini zum Mörder an seiner Bühnenfigur, erdolcht sie Butterfly im Stile eines Ritualmordopfers. Cio-Cio-San fordert die umstehenden „Zuschauer“ auf, sie zu töten. Und nach vollbrachter Tat wird auf der Bühne applaudiert.

[3] Das ist eine seltsame Metaphorik, die da zum Vorschein kommt. Denn bis zum Schluss wäre man bereit gewesen, mit dieser Inszenierung zu leben. Die Idee des Schauspiels im Schauspiel ist nicht neu. Aber warum soll „Butterfly“ nicht auf amerikanischem Boden spielen, vielleicht im Rahmen einer Japan-Ausstellung. In einem Saal ist ein hübsch-schlichter japanischer Pavillon aufgebaut, und dort wird ein Theaterstück aufgeführt. Man nimmt auch hin, dass die Besucher dieser Ausstellung teilweise mitspielen (was schon weniger schlüssig erscheint), sich japanische Masken vorhaltend. Man hätte auch den umherspazierenden Puccini verkraftet und seine eigenartigen Begegnungen mit Tosca, Boheme und Manon Lescaut, die nämlich auch mitspielen dürfen und die musikalischen Zwischenspiele „beleben“. Man hätte akzeptiert, dass sich während der drei Jahre, die „Schmetterling“ auf Pinkerton wartet, die Inszenierungszeit von der Jahrhundertwende in eine zeitlose US-Gegenwart weiterbewegt. Regisseur Stefan Herheim gelingen durchaus ein paar ganz gute, spannungsgeladene Szenen. Aber mit dem Schluss, der schockartig über das Publikum hereinbricht, zerschmettert er seine Inszenierung wie ein zorniges Kind, dass sein Spielzeug kaputtmacht.

[4] Deshalb halte ich mich lieber an die musikalische Seite dieser Produktion, die ist erfreulicher. Hui He setzte mit ihrer Butterfly Maßstäbe und erfüllte die Volksoper mit ihrem von emotionaler Spannkraft durchwirkten Sopran. Sie hat viel dramatisches Potential, mit dem sie sich mühelos über das Orchester hinwegsetzt (und Piollet ging durchaus mit Lautstärke zur Sache). Tiefe und Höhe sind kein Problem. Hui He kann dank ihrer stimmlichen Mittel eine Entschlossenheit demonstrieren, die sich fern von jeglicher verkitschter Rührung zur Quintessenz einer selbstbewussten und ehrenvollen Annahme ihres Schicksal durchringt. Und welche Intensität hätte diese Sängerin in ihrem Bühnentod noch freimachen können, wenn sie alleine und ganz sich selbst ergeben – und keinen Regiemätzchen verantwortlich – die Sache hätte zu Ende bringen können? Aber diese Frage lässt sich leider nicht beantworten.

[5] Auffallend war das Engagement aller Beteiligten, und die gute Ensembleleistung. So sorgte das Engagement am Währinger Gürtel vor allem nach der Pause für teilweise aufwühlendes Musiktheater. Marc Piollet hatte als Dirigent auch seinen guten Anteil daran, dass die akzentuiertere Dramatik dieser an der Volksoper gespielten Erstfassung der „Butterfly“ deutlich zum Tragen kam. Was man weniger heraushören konnte, war die feinnervige Instrumentation und Puccinis Spiel mit Klangfarben. Und mehr Sentiment hätte ich nicht als Nachteil empfunden. Die sängerischen Leistungen betreffend hat nur der Pinkerton von Viktor Afanasenko kaum die Erwartungen erfüllt. Er sang die meiste Zeit mit Hochdruck, ging in den Ensembles trotzdem unter und ließ viel an kultivierter Gesangstechnik zu wünschen übrig.

[6] Die Publikumsreaktionen waren bei Hui He enthusiastisch, für die Regie gab es einige Buhrufe, die aber deutlich in der Minderheit blieben. Fazit: Manchmal ist weniger mehr.

Eines haben alle von mir gesichteten Kritiken gemeinsam: Der Pinkerton kommt nirgends gut weg, die Butterfly hingegen wird positiv bis außerordentlich positiv bewertet. An der Inszenierung wird einiges bekrittelt, anderes wird gelobt, Herheim oft als Talent gewürdigt.

„Mord im Puccini-Museum – Eine neue, seltsame Madama Butterfly in der Volksoper“ befindet Gert Korentschnig im Kurier (26.4.). Er bezeichnet es als „Irrglauben, dass es eine ganze Aufführung lang interessant sein könnte, den Komponisten als Figur auf die Bühne zu stellen.“ Die Butterfly von Hui He ist für ihn „exzellent“.

„Vielmehr verpackt Herheim diese Madame Butterfly gemeinsam mit Kathrin Brose, seiner Ausstatterin, in einem poetischen Kokon von Nebenfiguren und Zusatzaktionen, die eher Fragen stellen, als dass sie welche beantworten.“ findet Peter Vujica im Standard vom 26.4., der aber insgesamt von der Inszenierung „überzeugt ist. Das Orchester unter Marc Piollet hätte sich erst nach und nach in Szene setzen können.

Wilhelm Sinkovicz ist in der Presse vom 26.4. auch vom Talent Herheims überzeugt, und gesteht ihm zu, die Aufmerksamkeit der Zuschauer wachzu halten. Was Marc Piollet und das Orchester betrifft, meint er: „Wo die Kantilenen groß aufblühen sollten, wo sie sich subtil dem Gesang anschmiegen sollten, bleibt die klangliche Entwicklung regelmäßig stecken.“ Betreffend Pinkerton notiert er: „Viktor Afanasenkos Stimme fehlt selbst für die Rohheit der Feinschliff.“ Hui He ist für ihn sehr gut, auch wenn sie „nicht immer ganz sicher intoniert“.

„Ein gediegener Abend mit Überraschung.“ Befindet Laslo Molnar in der Salzburger Nachrichten (26.4.). Hui he ist für ihn ein „Star“. Den überraschenden Schluss bezeichnet er als „Publikumskritik“ die „wirkte“. Und zu gespielten Urfassung meint Molnar: „(...) der zweite Akt zieht sich mit eineinhalb Stunden und etlicher Musik, die entbehrlich erscheint.“

„‘Butterfly‘ von Publikum getötet“ titelt Walter Beyer in den Oberösterreichische Nachrichten (26.4.). Er findet, dass Marc Piollet „mit Feuereifer bei der Sache“ war. Die Chinesin Hui Hue in der Titelrolle habe „meilenweit“ aus dem Ensemble herausgeragt.