LA BOHÈME

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Kammeroper
1.2.2013

Premiere 21.1.2013
Kammerfassung von Jonathan Dove (1986)

Dirigent: Claire Levacher

Inszenierung: Lotte de Beer
Ausstattung & Licht: Clement & Sanou

Wiener KammerOrchester

Rodolfo - Andrew Owens (Spiel); Rame Lahaj (Gesang)
Schaunard - Oleg Loza
Marcello - Ben Connor
Colline - Igor Bakan
Mimì - Cigdem Soyarslan
Musetta -
Anna Maria Sarra
Benoit / Alcindoro / Arzt - Martin Thoma


„La Bohème im Penthouse?!“

(Dominik Troger)

An der Kammeroper spielt man noch bis Ende Februar „La Bohème“ in einer gekürzten „Kammerfassung“ von Jonathan Dove. Der Abend bewegte emotional, das Inszenierungskonzept war in einigen Szenen aber schwer nachvollziehbar.

„La Bohème“ ist eines der Werke, die eigentlich keiner „Modernisierung“ bedürfen. Junge Menschen, die Probleme mit der Liebe haben, gibt es immer noch. Arme Menschen, die sich die Heizkosten nicht leisten können, ebenso – und auch Liebespaare, bei denen ein Partner an einer Krankheit stirbt.

Regisseurin Lotte de Beer vertritt offenbar eine andere Meinung und merkt in einem Interview im Programmheft an, dass sich unsere heutige westliche Zivilisation nur schwer mit dieser „extremen Situation“, die die Handlung der Oper aufzeige, identifizieren könne.

Die Regisseurin hat deshalb auch keine armen Künstler zeigen wollen, sondern Männer, die jung sind und sich langweilen: „Sie durchstreifen ihr luxuriöses Penthouse, tragen lediglich dünne Unterwäsche bei geöffnetem Fenster und beschweren sich über die zunehmende Kälte. Daraufhin verbrennen sie das gerade beendete Stück und anschließend auch den dafür benutzten Laptop, aber nicht mehr aus äußerer, sondern aus innerer Armut.“

So weit so gut? Logisch klingt das für mich nicht, und der Apple-Laptop im Backrohr wird meine Sammlung an „szenischen Kuriositäten“ bereichern. Das Ambiente dieser Mansarde – oder dieses Penthouses – war nicht minder seltsam ausstaffiert und voll geräumt wie das Lager eines Herrenmodengeschäftes. Viel schwarzes Gewand, silbergraue Krawatten, weiße Hemden. Auch die Unterhose, in der Marcello das erste Bild lang herumlief (schwarz mit weißen Rändern), dürfte er sich aus einem der Regale geangelt haben. Das Bühnenbild war ein wenig verbaut, von der Bühne links an der Wand über das Orchester hinausragend, das Orchester sogar mit einem Laufsteg umrundend – die Musiker saßen mittendrin und tief unten wie in einem Bunker.

Die Spielfläche wurde gut genützt, die Personenführung erzeugte viel Schwung. Die Sänger waren sehr gut aufeinander eingespielt – man spürte die Homogenität dieser Künstlergruppe, und ihre gemeinsame Anteilnahme an Mimis Schicksal. Das war das große Plus des Abends und hat die Szene belebt.

Dass Mimi als chemotherapierte Krebspatientin in einem Spital stirbt und nicht wie von Puccini verkomponiert in der Mansarde, machte einiges an der Handlung unglaubwürdig. Hier hätte man konsequent streichen müssen, zum Beispiel die in diesem Gesamtkontext unglaubwürdige „Mantelarie“ Collins. Der Schluss wurde überdeutlich ausgespielt, mit einem Weinkrampf von Rodolfo, der eben noch mit Mimi per Telefon ins Krankenzimmer kommuniziert hat. Mimis Sterben entzog sich auf diese Weise eines tröstlichen Elements und einer möglichen Sinnstiftung. Aber die Regisseurin wollte es (Zitat) „brutal und realistisch“.

Die von Jonathan Dove 1986 eingerichtete Kammerfassung hat vor allem die Massenszenen im zweiten Bild eingespart: „La Bohème“ wurde stringent „eingedampft“, ohne nennenswerte Veränderungen im Stil der Musik – Spieldauer rund eindreiviertel Stunden. Am Beginn und in den kurzen Umbaupausen zwischen den Bildern wurden Arrangements von Alltagsgeräuschen eingespielt, für die die Komponistin Sinem Altan verantwortlich zeichnete. Mit weniger „Konzept“ und mehr „Komposition“ wären diese kurzen Stücke reizvoller gewesen.

Vor der Vorstellung wurde der Rodolfo des Abends, Andrew Owens, als indisponiert angesagt. Wegen der Komplexität der Szene (mit der nicht zu unterschätzenden Gefahr, im Orchestergraben zu landen) spielte Owens die Partie, während der albanische Tenor Rame Lahaj als „Sänger“ einsprang. Lahaj postierte sich rechts am Bühnenrand mit einem Notenpult.

Die Kammeroper wird derzeit bekanntlich vom Theater an der Wien als Opernstudio zur Nachwuchspflege geführt, aber mit Lahaj wurde ein schon „ausgewachsener“ Sänger als „Einspringer“ aufgeboten. Und Lahaj hätte nicht nur an der Kammeroper als Einspringer einen Erfolg gefeiert: Er sang einen sehr guten Rodolfo.

Dadurch lag die „Latte“ für den Rest des Ensembles sehr hoch. Es zeigte sich, dass die Stimmen der jungen SängerInnen noch einige „Kilo“ zulegen müssen, um die Partien gesanglich ausfüllen zu können. Einiges klang zu forciert und vieles ein wenig schmal, wo die Stimmen eigentlich aufblühen müssten in schwelgerischem „Puccini-Sound“. Außerdem „feuerte“ das Orchester phasenweise zu laut und recht „kompakt“ aus seinem „Bunker“.

Cigdem Soyarslan spielte Mimi als moderne Frau, der die Liebesgeschichte mit Rodolfo nicht „zufällig“ passiert. Die Sängerin hat schon in der Vergangenheit mit ihrem klaren Sopran auf sich aufmerksam gemacht, der an diesem Abend etwas gestresst klang. Es wäre spannend gewesen, sie zusammen mit Andrew Owens zu hören. Der südländische Charme des Soprans von Anna Maria Sarra ist bei ihrer Musseta nicht so gut zur Geltung gekommen wie in der ersten Produktion der „neuen“ Kammeroper, Rossinis „La cambiale di matrimonio“. Ben Connor gab einen präsenten Marcello und eigenwilligen Maler, der viel Bein zeigte, Igor Bakan war als Collin ganz auf seine Arie angewiesen, die aber in diesem Ambiente nicht so recht zur Wirkung kam. Alle Mitwirkenden spielten sich, wie man so sagt, „die Seele aus dem Leib“ – und der Abend bewies, wie stark ein Kollektiv sein kann, wenn es zu einem Ensemble verschmilzt.

Das Publikum dankte den Ausführenden mit starkem Applaus.