LA BOHÈME

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Wiener Staatsoper
6.9.2010
Wiederaufnahme

Dirigent: Franz Welser-Möst

Rodolfo - Stephen Costello
Schaunard - Adam Plachetka
Marcello - Boaz Daniel
Colline - Sorin Coliban
Benoit - Alfred Šramek
Mimì - Krassimira Stoyanova
Musetta - Alexandra Reinprecht
Parpignol - Dritan Luca
Alcindoro -
Alfred Šramek


„Wiederaufnahme: La Bohème“

(Dominik Troger)

Gleich am zweiten Tag der neuen Saison wurde die langgediente „La Bohème“-Inszenierung von Franco Zeffirelli in szenisch aufgefrischter Form präsentiert. Der musikalische Genuss hielt sich aber doch ein wenig „in Grenzen“.

Immerhin hatte man Rolando Villazón vorgesehen, der dem Rodolfo und dem Abend die entsprechende begeisternde Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums hätte sichern sollen. Es kam bekanntlich anders – und jedes weitere Wort darüber würde nur beißendes Salz in die inzwischen schon sehr tiefen Wunden der Villazón-Fans streuen. Auf diese Weise ging dem Abend aber das eigentliche „Highlight“ verloren, der „hype-generierende“ Faktor – und die Stimmung war am Beginn – beim mehr pflichtbewussten Willkommensapplaus für den neuen Generalmusikdirektor – eher gedämpft.

Dass sich Franz Welser-Möst auch gleich am zweiten Abend ans Pult stellte, spricht für ihn. Dass er sich dafür gerade „La Bohéme“ ausgesucht hat, weniger. Irgendwie tönte Puccini hier doch mehr nach dem vortägigen „Tannhäuser“, sehr „deutsch“, sehr stimmendeckend, mit wenig Gefühl für die Süße des Stoffes, für das bewegte Wechselspiel zwischen tieferer Empfindung, veristischer Dramatik und witziger Künstlerposse. Welser-Möst goss hier Puccini in eine – für meinen Geschmack – zu einheitlich spröde Form. Ein gutes Beispiel bietet hierfür der Schluss. Man könnte die Spannung im Finale auch in großem Bogen gefühlvoll reifen lassen, von den zarten, weinenden Streichern, die Mimis Sterben begleiten bis zur finalen Orchesteraufwallung, in der sich der Tod als endgültiges, tragisches Moment manifestiert. Welser-Möst ließ hier für meinen Geschmack ziemlich unsensibel und viel zu undifferenziert und laut spielen, und das lang verzögerte Ausklingen war dafür kein wirklicher Ersatz. Interessanter Weise ist, wie in der aktuellen Ausgabe der Staatsopern-Publikumszeitschrift zu lesen ist, der neue Generalmusikdirektor der Meinung, dass das Publikum eine Vorstellung der „Bohème“ besuche, um zu „weinen“. Entgegengekommen ist er diesem Wunsch in seiner musikalischen Deutung kaum.

Krassimira Stoyanova gestaltete die Mimi an diesem Abend sehr schön und lyrisch. Ihr klarer, perfekt geführter Sopran formte diese Partie weder zu einem Groschenroman noch zu einem hübschen, verführerischen Andachtsbild. Das klang in Summe mehr „realitätsverbunden“ und unsentimental, obwohl durchaus zart empfunden. Das „Si, mi chiamo Mimi“ gestaltete sie mit natürlich geschwungenen Legato-Bögen zu einer schlichten und ganz unprätentiösen „Visitenkarte“. Ihre Mimi zeigte auf liebenswürdige Art innere Stärke und jene Spur von Illusionslosigkeit, die wohl im Stande wäre, die vom Generalmusikdirektor postulierte Erwartungshaltung des Publikums auch ein wenig zu hinterfragen.

Mit Stephen Costello, 28 Jahre alt, bot man als Einspringer einen tenoralen Shooting-Star auf, der bei seinem Hausdebüt gleich in sehr „große“ Fußstapfen treten durfte. Costello ist schlank und groß gewachsen, mit eher unbekümmerter, jugendlicher Ausstrahlung. Er fand sich gut in der Szene zu recht, ohne aber wirklich – auch gesanglich – viel „Eindruck“ zu machen. Sein Tenor klang „typisch amerikanisch“, wenig timbriert, hell, ließ einen hübschen, lyrischen Tonfall hören. Nach der Höhe zu konnte sich der Ton bei ihm aber nicht recht entfalten und magerte gewissermaßen ab. Das minderte deutlich den Reiz. Gegen das laut spielende Orchester hatte er aber auch einen schweren Stand. Am Schluss des ersten Aktes verzichtete er klugerweise auf das optionale „Hinaufsingen“. Ob er an großen Häusern schon den Rodolfo singen muss – diese Frage sollte zumindest gestellt werden. Auch eine Sängerpersönlichkeit muss reifen. Solche Schnellsiedekurse an den großen Opernhäusern der Welt sind eine zweischneidige Sache.

Alexandra Reinprecht sang im zweiten Akt eine energische Musetta, in den Spitzentönen eventuell schon zu energisch. Dass sie sich auf „leisere“ Töne versteht, zeigte sich dann im finalen Bild. Ihr gekonntes Mantelwerfen war für Alfred Sramek (Benoit und Alcindor) eine komödiantische Steilvorlage. Dessen liebenswürdige Charakterstudien sind jedesmal erneut Kleinkunststücke in großem Opernrahmen. Boaz Daniel sang einen sehr guten Marcello, Sorin Coliban einen hörenswerten Colline und auch über den Staatsopern Neuzugang Adam Plachetka (Schaunard) durfte man sich nicht beklagen.

Die szenische Auffrischung war nicht immer deutlich erkennbar, vor allem das Bühnenbild des dritten Aktes scheint aber gewonnen zu haben. Die Winterlandschaft zeigte sich plastischer und mit mehr Kontrast. Auch die Kostüme dürfte man zumindest teilweise erneuert haben. Die im Laufe der Jahrzehnte ausgedünnte Statisterie wurde offenbar wieder vermehrt und das szenische Kolorit durch einige wiederaufgenommene Bühnenaktionen angereichert. Zumindest nahm man einiges in größerer Deutlichkeit war, den beinahe ausrutschenden Soldaten im dritten Akt oder einen Betrunkenen. Ein großes Dankeschön gebührt der Direktion dafür, dass man diese Produktion weiter im Spielplan belässt!

Der Schlussbeifall geriet eher kurz – viel Bravorufe für Stoyanova, aber auch Costello durfte sich über aufmunterndes positives Feedback freuen. Franz Welser-Möst wurde eher verhalten beklatscht, mit einigen Bravorufen und möglicherweise auch der einen oder anderen Missfallensbezeugung bedacht. Das war von meinem Platz aus nicht so deutlich wahrzunehmen.