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„Weihnachten in Paris“
(Dominik Troger)
Am
Christtag lud die Staatsoper zur vierten und letzten Vorstellung einer
„La bohème“-Serie, in der Juan Diego Flórez sein Wiener Debüt als
Rodolfo gegeben hat - ein Rodolfo, der sich in seiner Profession mehr
als Lyriker, denn als Dramatiker empfahl.
„La bohème“ ist ein sentimentaler
Geniestreich - und es ist nahezu unmöglich, dass eine Aufführung der
Oper ihre Wirkung auf das Publikum verfehlt. Wenn sich dann noch, so
wie in der Wiener Staatsoper, die bekannte Inszenierung von Franco
Zeffirelli hinzugesellt, wird auch die Szene ganz so wie Mimis rosa
Häubchen zum unabdingbaren Ingredienz jeder Aufführung. Abgesehen davon
liegt es natürlich an den ausführenden Künstlern, dass sich Puccinis
Musik so recht wehmütig in den Herzen des Publikums breit machen kann.
Naive Lebensfreude und schicksalshafte Liebe mischen sich dann zu jener
genießerischen Traurigkeit, die an die Seele rührt, und die das
Auditorium nur im Finale ganz kurz existentiellem Schmerz überlässt.
Diese ausgeklügelte Manipulation der Publikumsgefühle war an diesem
Abend doch einigen weniger dienlichen Parametern unterworfen. Zum
Beispiel war von vornherein absehbar gewesen, dass sich Juan Diego Flórez
nicht „über Nacht“ zu einem stimmkräftigen Puccini-Tenor entwickelt
haben wird. Flórez, nach wie vor elegant und rank im körperlichen
Erscheinungsbild und mit der Ausstrahlung eines verschmitzten
Musterschülers gesegnet, gab einen stimmlich schlanken Rodolfo, mit
schönen Details ausgestaltet. Aber es war eine Herausforderung für ihn,
sich gegenüber dem Orchester und stimmkräftigeren Kollegen zu
behaupten.
Flórez hätte seinen Tenor sozusagen verdoppeln müssen, sein „Gewicht“
erhöhen. Es erging ihm wie einem Sportler, der in einer höheren
Gewichtsanklasse antritt, obwohl ihm dafür die Voraussetzungen fehlen:
Wo Flórez mit tenoraler Stimmschönheit und geschmeidiger
Phrasierung als „Leichtgewicht“ punktet, fehlt ihm für das
„Mittelgewicht“ dann doch ein gutes Dutzend an Kilo - und entspechend
verhalten fiel der emotionale „Impact“ aus, etwa im Finale, wenn
Rodolfo der ganze Schmerz mit eisener Faust am Herzen packt: „Mimi! ...
Mimi!“
Flórez gestaltete die erste Begegnung mit Mimì durch
feine Nuancen im Liebssehnen und mit gewohnt sicherer Höhe, ging aber
weniger stürmisch zur Sache als andere Sänger, vertraute mehr seinem
poetischen Raffinement, auch zu zartem Piano fähig. Sehr schön gelang
im vierten Bild das Duett mit Marcello, wo sowohl Flórez als auch Andrev Zhilikhovsky
ein ergreifendes Gefühlsresümee der von ihnen verkörperten Figuren
zogen, ganz eingenommen von der Erinnerung an ihre Geliebten: da Mimì, dort Musetta. Zhilikhovsky hat sich mit seinem angenehmen, eleganten Bariton ohnehin empfohlen.
War in diesem Sinne Rodolfo doch stark von seiner „Poesie“ eingenommen, weil sein Tenor nun mal feinere Emotionen malt, dann war Nicole Cars
Sopran bereits zu robust für die schlichte Melancholie eines einsamen
Herzens, das plötzlich von der Liebe entflammt wird. Car war mehr eine Mimì
für das dritte Bild, die Stimme von kühler Desillusion umflort,
dramatischer im Ausdruck, das eiskalte Händchen gewandelt zur
frostkalten Hand einer Näherin, die sich im Leben behaupten muss und
deren geringes Einkommen kaum ausreicht. Dieser etwas ernüchternde
Blick hat „romantische“ Erwartungshaltungen mit einem herben Schuss an
„Realismus“ entzaubert. Insofern würde Car viel besser zu Harry Kupfers
entromantisierender Inszenierung von „La bohème“ an der Volksoper
gepasst haben, in der Mimì außerdem eine viel aktivere Rolle spielt, als in die Zeffirelli-Inszenierung an der Staatsoper.
Aber auch Musetta passte nicht so recht in das Bild, dass man sich von dieser Figur macht. Anna Bondarenko
fehlte der soubrettenhafte Tonfall, ihre Stimme klang „gesetzter“ und
weniger „leichtlebig“, was dem zweiten Bild das „Champagnerperlen“
entzog, während es dem dritten und vierten eine kräftigen Pinselstrich
an Emotionen hinzufügte. Abgerundet wurde das Künstlerquartett
rollendeckend von Ivo Stanchev als philosophierendem Colline und von Jusung Gabriel Park als Schaunard. Hans Peter Kammerer ergänzte in den zwei komischen Partien als Hausherr und Alcindoro.
Das Orchester unter Giacomo Sagripanti sorgte für eine stimmige, belebte, allerdings mehr „veristische“,
als schwelgerische Begleitung. Die Mansardendasein der Künstler wurde
im ersten Akt mit sprudelnd akzentuierter Übermütigkeit versehen, um
sich dann getragener der Liebe zu widmen. Im dritten Bild hörte man zum
Beispiel die kaltgraue Morgenstimmung fahl in den Streichern - und das
Bühnenbild passte perfekt dazu. Auf diese Weise hat Sagripanti viele
Details hörbar gemacht und für ausreichend Gefühlskolorit gesorgt, um
im Finale dann noch schneidend Rodolfos Verzweiflung zu unterstreichen.
Allerdings hätte das etwas grobe Klangbild ausbalancierter sein können.
Der dankbare Schlussapplaus dauerte rund sechs Minuten. In den beiden
Lichtpausen hustete es aus dem Publikum sehr authentisch und für
Pneumologen wäre das akustische Spektrum dieser unglaublich individuell
ausgeformten, lautstarken Expirationserscheinungen sicher hoch
interessant gewesen.
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