LA BOHÈME

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Staatsoper
25.12.2025

Dirigent: Giacomo Sagripanti

Rodolfo - Juan Diego Flórez
Mimì - Nicole Car
Marcello - Andrev Zhilikhovsky
Schaunard - Jusung Gabriel Park

Colline - Ivo Stanchev
Musetta - Anna Bondarenko
Benoit / Alcindoro - Hans Peter Kammerer
Parpignol - Juraj Kuchar
Sergeant - Tambet Kikas
Zollwächter - Benjamin Harasko
Obstverkäufer - Christopher Hutchinson


„Weihnachten in Paris“

(Dominik Troger)

Am Christtag lud die Staatsoper zur vierten und letzten Vorstellung einer „La bohème“-Serie, in der Juan Diego Flórez sein Wiener Debüt als Rodolfo gegeben hat - ein Rodolfo, der sich in seiner Profession mehr als Lyriker, denn als Dramatiker empfahl.

„La bohème“ ist ein sentimentaler Geniestreich - und es ist nahezu unmöglich, dass eine Aufführung der Oper ihre Wirkung auf das Publikum verfehlt. Wenn sich dann noch, so wie in der Wiener Staatsoper, die bekannte Inszenierung von Franco Zeffirelli hinzugesellt, wird auch die Szene ganz so wie Mimis rosa Häubchen zum unabdingbaren Ingredienz jeder Aufführung. Abgesehen davon liegt es natürlich an den ausführenden Künstlern, dass sich Puccinis Musik so recht wehmütig in den Herzen des Publikums breit machen kann. Naive Lebensfreude und schicksalshafte Liebe mischen sich dann zu jener genießerischen Traurigkeit, die an die Seele rührt, und die das Auditorium nur im Finale ganz kurz existentiellem Schmerz überlässt.

Diese ausgeklügelte Manipulation der Publikumsgefühle war an diesem Abend doch einigen weniger dienlichen Parametern unterworfen. Zum Beispiel war von vornherein absehbar gewesen, dass sich Juan Diego Flórez nicht „über Nacht“ zu einem stimmkräftigen Puccini-Tenor entwickelt haben wird. Flórez, nach wie vor elegant und rank im körperlichen Erscheinungsbild und mit der Ausstrahlung eines verschmitzten Musterschülers gesegnet, gab einen stimmlich schlanken Rodolfo, mit schönen Details ausgestaltet. Aber es war eine Herausforderung für ihn, sich gegenüber dem Orchester und stimmkräftigeren Kollegen zu behaupten.

Flórez hätte seinen Tenor sozusagen verdoppeln müssen, sein „Gewicht“ erhöhen. Es erging ihm wie einem Sportler, der in einer höheren Gewichtsanklasse antritt, obwohl ihm dafür die Voraussetzungen fehlen: Wo Flórez mit tenoraler Stimmschönheit und geschmeidiger  Phrasierung als „Leichtgewicht“ punktet, fehlt ihm für das „Mittelgewicht“ dann doch ein gutes Dutzend an Kilo - und entspechend verhalten fiel der emotionale „Impact“ aus, etwa im Finale, wenn Rodolfo der ganze Schmerz mit eisener Faust am Herzen packt: „Mimi! ... Mimi!“

Flórez gestaltete die erste Begegnung mit 
Mimì durch feine Nuancen im Liebssehnen und mit gewohnt sicherer Höhe, ging aber weniger stürmisch zur Sache als andere Sänger, vertraute mehr seinem poetischen Raffinement, auch zu zartem Piano fähig. Sehr schön gelang im vierten Bild das Duett mit Marcello, wo sowohl Flórez als auch Andrev Zhilikhovsky ein ergreifendes Gefühlsresümee der von ihnen verkörperten Figuren zogen, ganz eingenommen von der Erinnerung an ihre Geliebten: da Mimì, dort Musetta. Zhilikhovsky hat sich mit seinem angenehmen, eleganten Bariton ohnehin empfohlen.

War in diesem Sinne Rodolfo doch stark von seiner „Poesie“ eingenommen, weil sein Tenor nun mal feinere Emotionen malt, dann war Nicole Cars Sopran bereits zu robust für die schlichte Melancholie eines einsamen Herzens, das plötzlich von der Liebe entflammt wird. Car war mehr eine
Mimì für das dritte Bild, die Stimme von kühler Desillusion umflort, dramatischer im Ausdruck, das eiskalte Händchen gewandelt zur frostkalten Hand einer Näherin, die sich im Leben behaupten muss und deren geringes Einkommen kaum ausreicht. Dieser etwas ernüchternde Blick hat „romantische“ Erwartungshaltungen mit einem herben Schuss an „Realismus“ entzaubert. Insofern würde Car viel besser zu Harry Kupfers entromantisierender Inszenierung von „La bohème“ an der Volksoper gepasst haben, in der Mimì außerdem eine viel aktivere Rolle spielt, als in die Zeffirelli-Inszenierung an der Staatsoper.

Aber auch Musetta passte nicht so recht in das Bild, dass man sich von dieser Figur macht. Anna Bondarenko fehlte der soubrettenhafte Tonfall, ihre Stimme klang „gesetzter“ und weniger „leichtlebig“, was dem zweiten Bild das „Champagnerperlen“ entzog, während es dem dritten und vierten eine kräftigen Pinselstrich an Emotionen hinzufügte. Abgerundet wurde das Künstlerquartett rollendeckend von Ivo Stanchev als philosophierendem Colline und von Jusung Gabriel Park als Schaunard. Hans Peter Kammerer ergänzte in den zwei komischen Partien als Hausherr und Alcindoro.
 
Das Orchester unter Giacomo Sagripanti sorgte für eine stimmige, belebte, allerdings mehr
veristische“, als schwelgerische Begleitung. Die Mansardendasein der Künstler wurde im ersten Akt mit sprudelnd akzentuierter Übermütigkeit versehen, um sich dann getragener der Liebe zu widmen. Im dritten Bild hörte man zum Beispiel die kaltgraue Morgenstimmung fahl in den Streichern - und das Bühnenbild passte perfekt dazu. Auf diese Weise hat Sagripanti viele Details hörbar gemacht und für ausreichend Gefühlskolorit gesorgt, um im Finale dann noch schneidend Rodolfos Verzweiflung zu unterstreichen. Allerdings hätte das etwas grobe Klangbild ausbalancierter sein können.

Der dankbare Schlussapplaus dauerte rund sechs Minuten. In den beiden Lichtpausen hustete es aus dem Publikum sehr authentisch und für Pneumologen wäre das akustische Spektrum dieser unglaublich individuell ausgeformten, lautstarken Expirationserscheinungen sicher hoch interessant gewesen.