TOSCA

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Staatsoper
11. Oktober 2023

Dirigent: Yoel Gamzou

Floria Tosca - Angel Blue
Mario Cavaradossi - Vittorio Grigolo
Scarpia - Ludovic Tézier
Cesare Angelotti - Evgeny Solodovnikov
Der Mesner - Dan Paul Dumitrescu
Spoletta - Lukas Schmidt
Sciarrone - Markus Pelz
Schließer - Jusung Gabriel Park
Ein Hirt - Helena Paeschke


„Lachender Scarpia, schluchzende Tosca“

(Dominik Troger)

„La traviata“ – „Tosca“ – „La traviata“, der Staatsopernspielplan übt gerade für die touristische Verdichtung des italienischen Kernrepertoires. Für Ludovic Tézier sind es jedenfalls arbeitsreiche Tage, steht er zur Freude des Publikums doch in beiden Aufführungsserien auf der Bühne.

Trotzdem darf angemerkt werden, dass sein nobler Bariton als Giorgio Germont den nachhaltigeren Eindruck hinterlässt. Als Scarpia fehlt ein wenig die Brutalität, auch wenn es ihm nicht an Zynismus mangelt. An einigen Stellen – etwa über Toscas Eifersuchtswallungen im ersten Akt – scheint er sich vor allem zu amüsieren. Sein mit auffälligem Lachen eingeleitetes „In chiesa!“ ist offenbar ein Schlüssel zu diesem mehr aus dem Intellekt gespeisten Rollenporträt: keine Spur von „heuchlerischer“, mit dumpfer Religiosität unterfütterter Entrüstung – es stellt sich viel mehr das Gefühl ein, Scarpia freue sich über einen süffisant gelungenen Witz.

Ludovic Tézier dämonisiert den Scarpia nicht, scheint eher als – im wahrsten Sinne des Wortes – umtriebiger Lebemann allerhand Genüssen zu frönen, legt sich vor dem Mahl sogar nobel eine Serviette auf den Schoß, ist fast ein Spur selbstironisch im Bekennen seiner erotischen Vorlieben. Momente, wo er sich gehen läßt und seine Aggressionen durchbrechen, sind rar (etwa wenn Spoletta die Nachricht bringt, dass die Schergen Angelotti nicht gefunden hätten) und hinterlassen einen etwas „aufgesetzten“ Eindruck. Sein Bariton und sein ganzes Auftreten sind wahrscheinlich zu „kantenlos“ für diesen widerlichen Kerl – aber würde man diesen mit reichem Timbre ausgestatteten Bariton gegen mehr „Kante“ eintauschen wollen?

In der Tosca von Angel Blue fand Tézier allerdings keine Mitspielerin, die Toscas missliche Lage mit psychologischem Raffinement ausstaffiert hätte, um ihn aus der emotionalen Reserve zu locken. Blue hinterließ viel mehr den Eindruck, als ob ihr in der dritten Vorstellung ihrer Staatsopern-Debüt-Tosca die Bühne immer noch zu groß wäre. Sie agierte darstellerisch wenig agil und unbedarft. Das Messer vom Tischchen zu nehmen, eine gefühlte Minute lang anzustarren, um es dann zu verbergen, während die freie Hand mit halblasziver Geste zu Hals und Haaren streift, so als wollte sie Scarpia mit vorgetäuschter Erotik zum finalen Messerstich heranlocken, ist schauspielerisch doch etwas blass. Und das Schluchzen! Schluchzen wenn Scarpia vor ihr liegt, und ein Schluchzer vor dem berühmten Engelsburgabsprung – wie wenn Tosca in dieser Sekunde noch dafür Zeit hätte?!

Dergleichen kann einen stören, aber viel störender war das starke Vibrato in der zu wenig kontrolliert eingesetzten Mittellage, die insgesamt und gemessen am Alter der Sängerin recht beansprucht klang. Angel Blue ist 2011 und 2012 am Beginn ihrer Karriere im Theater an der Wien aufgetreten u.a. als aparte Giulietta in Hoffmanns berühmten Erzählungen. 2016 hat sie als einspringende Mimi an der Staatsoper debütiert. Inzwischen liest man Lobeshymnen über ihre Auftritte an großen Opernhäusern, die gemessen an dieser Vorstellung nur schwer nachvollziehbar sind. Bis auf ein paar eindrucksvolle, übers Orchester gezielte, metallisch-gleißende Spintotöne war ihre Tosca eine „mediokre“ Angelegenheit.

Vittorio Grigolo ist ohnehin ein Tenor für „Fans“. Wer es schätzt, dass sich ein Sänger die Seele aus dem Leib singt, dass er das „Vittoria“ bis zum letzten Sauerstoffatom aus seiner Lunge presst, dass er aus der „Sternenarie“ eine Show macht, bei der er sich (natürlich nur sprichwörtlich gemeint) das Herz aus der Brust reißt, ist bei Grigolo sehr gut aufgehoben. Kennt der Sänger überhaupt noch einen Unterschied zwischen künstlerischem Gehalt und Outrage? Viel zu selten lässt er seine von südlichen Gluten durchwärmte Stimme einfach nur strömen, und dann ist erkennbar welch schönes Tenormaterial er eigentlich sein Eigen nennen könnte.

Sein Werben um Tosca im ersten Akt, das Umarmen und die Küsschen, wurden von seiner Bühnenpartnerin nicht so recht aufgegriffen – und das brachte ihn ein wenig um seine Bemühungen. Auch hatte der Dirigent Yoel Gamzou etwas „trägere“ Vorstellungen vom Ablauf des Abends, ehe Grigolo mit seinem Enthusiasmus für mehr Schwung sorgte. (Der Dirigent hat es am Beginn gleich grell loskrachen lassen, um die Gehörgänge des Publikums durchzuputzen, außerdem benötigte es einige Zeit, bis alle an einem Strang zogen.)

Das Publikum ließ den zweiten Akt nicht in Ruhe ausklingen und zerklatschte außerdem den kurzen Liebestriumph von Cavaradossi und Tosca im dritten. Der für Blue und Grigolo starke Schlussjubel war nach fünf Minuten vorbei, Ludovic Tézier hat seinen mit viel Beifall bedachten Einzelvorhang bereits nach dem zweiten Akt genossen. Jedenfalls ist die Staatsoper – summarisch betrachtet – nach der gesanglich erlesenen „La traviata“ mit dieser „Tosca“ wieder im Opernalltag angekommen.

PS: Dan Paul Dumistrecu widmete sich dem Mesner mit viel Liebe, er hat die Partie am Haus noch nicht oft gesungen, Rollendebüt 2021. Sein Mesner gibt sich zuerst leicht gestresst von den Vorbereitungen, die er zu machen hat, blüht dann beim Ringelreihen der Ministranten kurz auf, ehe ihm bewusst wird, dass solche „Tanzveranstaltungen“ mitten in der Kirche vielleicht keine so gute Idee sind – noch dazu, wo Scarpia jeden Moment vorbeischauen könnte – und das Aufziehen des Schnupftabaks funktioniert bereits musikalisch vorzüglich.