„Ariadne in Rom“
(Dominik Troger)
Deutsches
Fach – italienisches Fach: Es ist für Sängerinnen und Sänger schwierig,
aus den Schubladen, in denen sie von Agenturen und Besetzungsbüros
abgelegt werden, wieder herauszukommen. Zum Beispiel Camilla
Nylund: Sie gastiert seit dem Jahr 2005 an der Wiener Staatsoper, hält
bei über 100 Vorstellungen, und hat am Haus noch nie italienisches
Repertoire gesungen.
Camilla Nylund hat die
Situation in einem Interview angesprochen, das in der Novemberausgabe
der Staatsopern-Publikumszeitschrift nachgelesen werden kann. Für sie
klebt das Etikett „deutsches Fach“ auf der Schublade, Unterabteilung:
Richard Strauss und Richard Wagner – und zur Abwechslung mal „Fidelio“.
Dass das Publikum die Sängerin jetzt als Tosca erleben darf, ist eine
ganz große Ausnahme. Nylund hat die Partie erst seit kurzem im
Repertoire, ihr geplantes Rollendebüt verzögerte sich wegen der
Covid-Pandemie und ging 2021 an der finnischen Nationaloper in Helsinki
über die Bühne.
Nun ist Nylund aber auch im engeren Sinne keine „italienische“
Sängerin. Ihr Sopran besitzt eine noble Zurückhaltung, ist mehr von
„klassizistischer Haltung“, und der Reiz dieser Stimme ist sich über
die Jahre treu geblieben, umschließt die menschlichen Leidenschaften
mit einem leicht kühlen, filigranen Silberglanz. Für den Strausschem
Streicherteppich ist die Stimme ideal – und Anfang November wurde der
Sängerin nach einer „Ariadne auf Naxos“-Vorstellung an der Wiener
Staatsoper der „Lotte Lehmann-Gedächtnisring“ verliehen.
Gut, vielleicht, sitze ich jetzt gerade selbst ganz tief in einer
Schublade und bekomme den Kopf nicht heraus, aber während der
Vorstellung hatte ich nicht das Gefühl, dass Nylund und Tosca
schon „ein Herz und eine Seele“ sind. Vielmehr stand noch ein Bemühen
im Vordergrund, sich im Seelenkostüm dieser Primadonna
einzurichten. Die affektierte Eifersucht im ersten Akt wirkte
aufgesetzt, die Mordszene übertrieben. Die Zurücknahme der
Leidenschaft zu einem schmerzvollen, das eigene Leben reflektierenden Leiden im „Vissi d'arte“
war für mich viel überzeugender als die veristische „Pose“.
Den Cavaradossi von Stefano La Colla hingegen kann man nur in der Schublade „italienischer“ Tenor ablegen. Das „Recondita armonia“
diente ihm noch zum „Aufwärmen“ und klang recht hölzern. Der
herablassende Ton, mit der er sich vom Mesner die Farben geben ließ,
hat in diesem sicher keine freundschaftlichen Gefühle geweckt. La Colla
schnippte dazu zweimal mit den Fingern, so als würde er einen
Dienstboten rufen. Sein Tenor hat aber dieses „echt“ italienische
Squillo, das man inzwischen viel zu selten auf Opernbühnen hört, auch
wenn die Stimme manchmal ein wenig nasal und insgesamt ein wenig
unausgewogen klingt (manchmal in der Intonation nicht ganz rein) – oder
wenn er in die kräftigen Spitzentöne zu viel Nachdruck legt. Die
„Sternenarie“ gelang recht fein, auch wenn sich La Colla jetzt nicht
als der große Gestalter entpuppte.
Für Erwin Schrott könnte man
eine Schublade mit der Aufschrift „bassbaritonaler Opernbösewicht“
anlegen – und sein Scarpia würde in dieser Schublade durch seine
darstellerische Eleganz auffallen. Schrotts Scarpia trägt seine bösen
Absichten nicht vor sich her, sondern verbirgt und nährt sie in seinem
Inneren. Nur manchmal brechen sie hervor, kurze Jähzornanfälle, wenn es
nicht nach Plan läuft. Als Baron vom Scheitel bis zur Sohle und
geblendet von narzisstischer Selbstüberschätzung ist Schrotts Zugang
auf seine starke Bühnenpräsenz berechnet, die natürlich auch an diesem
Abend ihre Wirkung nicht verfehlte. Gesanglich hat es sich Schrott im
ersten Akt rampennah bequem eingerichtet, um gegenüber dem lauten
Orchester zu bestehen, im zweiten Aufzug war er mit seinem leicht
gerauten Organ ganz in seinem zynischen Element.
Wolfgang Bankl hat
über 20 Jahre „Mesnererfahrung“ an der Wiener Staatsoper und weiß
seine italienische Frömmigkeit mit hintergründiger Wiener Intrigenlaune
zu garnieren. Das übrige Personal fiel nicht aus dem Rahmen. Das
Orchester unter Giacomo Sagripanti war nicht das Highlight das Abends,
spielte zu laut mit einer Tendenz zum Verschleppen. Am Schluss gab es
die üblichen fünf Minuten an undifferenziertem, lautstarkem Applaus.
Es wurde während der Vorstellung eifrig gehustet, manchmal auch so
richtig bronchial, es gab Genieße und Geschneuze: FFP2-Masken
trägt fast niemand mehr, obwohl es „empfohlen“ wird.
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