TOSCA

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Theater an der Wien
18. Jänner 2022
Premiere

Dirigent: Marc Albrecht

Inszenierung: Martin Kušej

Bühne: Annette Murschetz
Kostüm: Su Sigmund
Licht: Reinhard Traub

Floria Tosca - Kristine Opolais
Mario Cavaradossi - Jonathan Tetelman
Scarpia - Gábor Bretz
Cesare Angelotti - Ivan Zinoviev
Spoletta - Andrew Morstein
Sciarrone - Rafal Pawnuk

Stumme Rollen:
Gräfin Attavanti - Sophie Aujesky
Hund Faro


„Auf den Hund gekommen“

(Dominik Troger)

„Tosca“ im Theater an der Wien. „Tosca“? Mit Puccini hatte das Bühnensetting erwartungsgemäß wenig zu tun. Schließlich hat der Burgtheaterdirektor persönlich inszeniert – und das Ergebnis war dementsprechend.

„Aber es gibt ja noch die Musik!“, werden jetzt alle Opernliebhaber rufen, die glauben, dass sie die Musik trotz der Szene unbeschadet genießen können. Dem ist aber nicht so. Die Figurencharaktere erleiden bei solchen „Bearbeitungen“ meist großen Schaden, werden umgemodelt, ihre vom Komponisten entwickelte musikalische Seele wird verbogen, die Szenenanweisungen und die Handlung des Librettisten werden bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die schöpferische Verbindung zwischen Musik, Sprache und Szene wird zerstört, wird aufgebrochen, die Emotionen werden umgefärbt, Bühnenhandlungen stehen im Gegensatz zur Aussage von Musik und Text. Was man serviert bekommt, versteckt sich dann hinter dem berühmten Komponistenamen wie ein Springteufel in der Schachtel.

Nun muss sich Martin Kušej den Vergleich mit einem Springteufel schon gefallen lassen, so wie er szenisch diesmal dem Publikum ins Gesicht gefahren ist. Kusej hat im Vorfeld der Premiere gegenüber dem ORF sogar zugegeben, dass ihn die ganze Geschichte überhaupt nicht interessiere und dass er sie deshalb „dekonstruiert“ habe.*) Tosca rutscht also in der Strumpfhose im Schnee herum, Scarpia haust in einem sehr sparsam möblierten Wohnwagen, Cavaradossi darf immerhin noch Künstler bleiben – ein „Goya“, der an Bäume genagelte Torsi malt. Diese Menschen treiben sich in einer von einem kahlen Baum bewachten Winterlandschaft herum: Sie sollen szenisch ganz von der Brutalität und Gefühlskälte eines von Scarpia geleiteten Terrorregimes beherrscht werden.

Das eigentliche Ziel dieser Umdeutungen ist aber die Figur der Tosca selbst. Kusej tut alles, um ihr Selbstbewusstsein zu zerstören und um sie dem Publikum zu entfremden. In Tosca die begehrte Sängerin zu entdecken, fällt an diesem Abend schwer. Kusej degradiert Tosca zum masochistisch veranlagten Sexspielzeug Scarpias, das den Baron aus Eifersucht tötet, nachdem die Gräfin Attavanti kurz bei der Wohnwagentüre hereingeschaut hat. Zuvor hat Tosca, sich lüstern auf Scarpias Schoße räkelnd, das „Visi d’arte“ zur billigen Anmache benützt. Dass die Inszenierung damit das psychologische Spannungsverhältnis zwischen Scarpia und Tosca dramaturgisch entwertet, springt deutlich ins Auge. Der Clou dieser Bühnenbeziehung liegt doch genau darin, dass Tosca versucht, sich den Avancen Scarpias zu entziehen. Das sie vor ihm niederkniet und ihm den Hosengurt öffnet, was gewisse sexuelle Handlungen andeutet, ist eine zusätzliche Demütigung, die Tosca durch die Regie erfährt. Letztlich lässt Kušej Tosca sogar von der Attavanti erschießen – und als billiges Opfer einer Eifersuchtsgeschichte bleibt Tosca nicht einmal der Ruhm, ihre Ehre gegenüber Scarpia und seinen Schergen sogar um den Preis ihres Lebens verteidigt zu haben.

Kristine Opolais hat sich als Tosca auf diese Inszenierung eingelassen, die die schauspielerischen Aspekte stark betont. Stimmlich zehrte Opolais mit in der Mittellage bereits verblühendem Sopran und mit dünnen, flackernden Spitzentönen nach meinem Eindruck schon zu stark vom Ruhm vergangener Jahre, als dass ihr aufopferungsbereites Spiel dergleichen hätte ganz wettmachen können. Jonathan Tetelman als Cavaradossi-Jungspund war das Gegenstück dazu: ein Tenor, der in jugendlichem Überschwang die Möglichkeiten der eigenen Stimme mit geradezu sportiver Lust ausschöpft. Alle Achtung, wenn ein Tenor schon beim „Recondita armonia“ so loslegt, dass sich die sprichwörtlichen Balken biegen – wie würde er dann erst beim „Vittoria“ Gas geben müssen? Tetelman setzte dort alles auf eine Karte – und gewann. Dass es auch „lyrischer“ geht, bewies er im dritten Akt, wobei die gesangliche Ausgestaltung noch ausbaufähig ist. Seine Stimme besitzt eine kräftige, füllige, dunkelmetallische Höhe, und es ist zu hoffen, dass der Sänger in den nächsten Jahren nicht zu verschwenderisch damit umgeht. Es wird da und dort behauptet, mit ihm würde die „Post-Jonas-Kaufmann-Ära“ eingeleitet, und es gibt wirklich Ähnlichkeiten im Timbre, sogar ein wenig im Aussehen (was bei der fatalen Bevorzugung des Optischen im heutigen Opernbetrieb nur von Vorteil sein kann).

Gábor Bretz war für mich kein mitreißender, aber ein solider Scarpia – der sich im Rahmen dieser grobklotzigen Inszenierung wenig entfalten konnte: Scarpia ist bei Kušej ein sexsüchtiger Gewalttäter im biederen weißen Strickpullover. Er schlägt Tosca und turtelt mit der Attavanti. Am Schluss des ersten Aufzugs klettert er sogar auf den kahlen Bühnenbaum – warum auch immer. Um Tosca eifersüchtig zu machen, bedient er sich keines Fächers, sondern eines Kleiderbündels, das in einem Schneehaufen für Angelotti versteckt wurde. Der Fächer als feinnerviges erotisches Instrument und sublimer Verweis auf eine mögliche Untreue hat ausgedient – heutzutage zettelt man dergleichen handfest mit Unterwäsche an. Aber dafür kann Bretz natürlich nichts. Die Sänger sind das schwächste Glied in dieser längst aus dem Ruder gelaufenen, weltweit beliebig sich drehenden „Opernneuinszenierungsmaschine“, sind sie doch auf Engagements angewiesen. Als Publikum kann man immer noch zu Hause bleiben und sich einiges an Geld und Nerven sparen. (Wenn man nur nicht so neugierig wäre!)

Bei dieser Produktion wurde auch gespart und zwar an Personal: der Maler musste im dritten Akt den Hirten singen; Kirche samt Kirchendiener gibt es auf diesem verschneiten Campingplatz natürlich keine: den Part der Ministranten übernahm der Arnold Schönberg Chor und Sciarrone den des Mesners (der in einer Szene als Schamane auftritt?!). Er wurde von Rafal Pawnuk als düsterer Charakter beigesteuert. Ivan Zinoviev durfte als Angelotti am Beginn durch den Schnee robben und dabei dekorativ husten. Warum er sich zu Scarpias Wohnwagen verirrt, ist mir die ganze Aufführung ein Rätsel geblieben. Andrew Morstein gab einen etwas schmal-tenorigen Spoletta. Die stumme, mörderische Gräfin wurde von Sophie Aujesky verkörpert. Außerdem bewegten sich ein paar Sondereinheitstypen in schwarzer Montur mit Maschinenpistolen über die Bühne. Zuletzt muss unbedingt noch Faro erwähnt werden, damit sich der Titel dieser Besprechung erklärt. Faro ist ein „Animal Star“, ein großer dunkler Hund, der von links auf die Bühne schießt, weil ihm ein Plastikarm oder ähnliches geworfen wird. Für diese Leistung gibt es zwei anerkennende, kräftige: „Wau! Wau!“.

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien spielte zu laut. Dirigent Marc Albrecht kurzfristig für Ingo Metzmacher eingesprungen ließ außerdem keinen Szenenapplaus zu. Gespielt wurde ohne Pause und die Aufführung dauerte um die zweieinviertel Stunden. Am Schluss gab es für das Regieteam die erwarteten heftigen Buhrufe, aber auch Befürworter – und für Diskussionsstoff war gesorgt. Das Publikum bekräftige sich bei der Garderobe in der Ablehnung oder in der Zustimmung. Im englischen Sprachraum gibt es übrigens einen Begriff, der diese Art von Theater treffend charakterisiert: „Eurotrash“.

*) https://oe1.orf.at/artikel/690743/Martin-Kusejs-Tosca