TOSCA

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Staatsoper
15. Juni 2019

Dirigent: Marco Armiliato

Floria Tosca - Nina Stemme
Mario Cavaradossi - Piotr Beczala
Scarpia - Carlos Álvarez
Cesare Angelotti - Sorin Coliban
Der Mesner - Alexandru Moisiuc
Spoletta - Wolfram Igro Derntl
Sciarrone - Hans Peter Kammerer
Schließer - Ayk Martirossian
Ein Hirt - Ein
Kind der Opernschule der Wiener Staatsoper


„Die Färberin als Tosca?“

(Dominik Troger)

In der zweiten „Tosca“-Pause wehte ein hitzelindernder Wind über die Opernterrasse und ein fast voller Mond verbreitete mediterrane Stimmung. Jetzt müsste nur noch das Dach der Staatsoper zurückklappen wie bei einem Cabrio und Cavaradossis berühmte Arie könnte wirklich zu den Sternen aufsteigen: „E lucevan le stelle ...“

Ja, und dann wäre auch der Mond in den Genuss gekommen, die Sternenarie zweimal hören zu dürfen, weil das Publikum so lange geklatscht hat, bis Piotr Beczala die Arie wiederholte. Beczalas Cavaradossi ist ein sympathischer Kerl – leiht der Figur eine geradlinige Naivität, die geduldig und ein bisschen augenzwinkernd mit Toscas Eifersucht umzugehen versteht und die zugleich unbeugsam an ihren Grundsätzen festhält. Das passt zu seiner Bühnenerscheinung, seinem Sängerimage und zum Charakter seiner Stimme. Sein eleganter Tenor hat zudem an leidenschaftlichem Ausdruck hinzugewonnen, ohne an lyrischem Stilempfinden eingebüßt zu haben.

Beczala begann mit einem leicht angestrengt klingenden „Recondita armonia“, aber sein Organ taute schnell auf. Nur die „Vittoria“-Rufe könnten für diese Stimme ein wenig heikel sein, und wurden auch an diesem Abend für meinen Geschmack etwas zu stark forciert. Höhepunkt des Abends waren unbestritten die beiden Sternenarien, von leicht bronzenem Schmelz umflort. Der lyrische Stimmkern ist in den letzten Jahren hörbar aufgeschmolzen, füllte die langen Bögen, die der Sänger spannte, schon im ersten Teil der Arie mit Gefühl und Wehmut, ohne dabei outrierend zu wirken. Das ungekünstelte Stilempfinden dieser Stimme vermochte dabei ihre Qualitäten voll auszuspielen.

Beczala hat erst im Februar sein Wiener Cavaradossi-Debüt gegeben. Aber damals war mit Sondra Radvanovsky eine in Spiel und Gesang überzeugendere und herausforderndere Partnerin an seiner Seite gestanden: Denn Nina Stemme schien sich an diesem Abend damit zu plagen, nach der Färberin, die sie anlässlich der Wiener „Frau ohne Schatten“-Premiere wochenlang beschäftigt hat, in der Tosca „anzukommen“. Die Sängerin hat die Partie bereits 2012 an der Wiener Staatsoper gesungen, damals mit überzeugenderem Ergebnis. Ihr hochdramatisches, erzerglühendes Sopranmetall bot der Sängerin an diesem Abend wenig Gestaltungsspielraum und das „Vissi d‘arte“ erwies sich für sie als (zu) große Herausforderung.

Stemme punktete vor allem mit ihrem dramatischen Potential, das dann mächtig „einschlug“, wenn auch nicht immer an Notenwerten gemessen „treffsicher“. Schon im ersten Akt schleuderte sie das „É l’Attavanti!“ so kraftvoll ins Auditorum, als wollte sie die vermeintliche Rivalin auf der Stelle erdolchen. Solche Intensität hat auch ihre Reize. Im Finale des zweiten Aktes „explodierte“ ein Tosca-Vulkan, der Scarpia hinmetzelte und einen den Atem anhalten ließ. Doch für die artifizielle Seite Toscas, für ihre Kapriziosität fand Stemme kaum Ausdrucksmöglichkeiten. Im Finale des dritten Aktes machte sich die Sängerin viel zu früh und unmotiviert auf den Weg zur „Absprungbasis“, und Scarpias der Jagdbeute nachhechelnde Schergenmeute konnte Tosca nur mehr nachschauen, die sich längst vor ihr in Sicherheit gebracht hatte.

Carlos Álvarez hinterließ bei seinem Wiener Rollendebüt als Scarpia einen sehr guten Eindruck: böse, aber ohne Übertreibung, kantabel, aber meist mit ausreichender Stimmkraft, um sich gegenüber dem Orchester zu behaupten (wobei er im Finale des ersten Aktes auffallend rampennah agierte). Selten bekommt man einen Scarpia zu hören, der gesanglich so viel Geschmeidigkeit für seine Bösartigkeiten bereithält. Dabei ging Alvarez darstellerisch auch handfest ans Werk, drängte er Tosca über die halbe Bühne zur Chaislongue, um seiner Triebbefriedigung nachzukommen – die ihm natürlich nicht gewährt wurde. Aber er zeichnete die Figur weder als das „personifizierte Böse“ noch als Psychopathen, sondern gab einen klugen, genusssüchtigen Machtmenschen, mit klar umrissenen sexuellen Wünschen. Zufriedenstellend agierten die Nebenrollen, vor allem Sorin Coliban als Angelotti und Alexandru Moisiuc als Mesner.

Das Orchester unter dem wieder auswendig die Vorstellung leitenden Marco Armiliato spielte manchmal etwas laut, fand nach einem spröden Beginn aber schnell zu einer überzeugenden Mischung aus Sentimentalität und Brutalität. Das Publikum applaudierte rund acht Minuten lang und strömte dann hinaus in die sommerlich warme Mondnacht, der die nachmittägliche Regenbogenparade in bacchantischem Nachhall zwischen City und Rathausplatz noch einen imaginären erotischen Schleier wob.