TOSCA

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Staatsoper
12. Jänner 2018

Dirigent: Frédéric Chaslin

Floria Tosca - Angela Gheorghiu
Mario Cavaradossi - Massimo Giordano
Scarpia - Erwin Schrott
Cesare Angelotti - Clemens Unterreiner
Der Mesner - Alexander Moisiuc
Spoletta - Benedikt Kobel
Sciarrone - Igor Onishchenko
Schließer - Ayk Martirossian
Ein Hirt - Ein
Kind der Opernschule der Wiener Staatsoper


„Die 600. Vorstellung der Wallmann-Tosca“

(Dominik Troger)

Premiere 1958, 600 Vorstellungen: Die Wiener Staatsoper lud zu einer „Jubiläums-Tosca“. Die Produktion stammt noch aus der Ära Karajan und ist ein historisches Erbstück des Hauses, durch dessen Kulissen der Geist großer Interpretinnen und Interpreten weht.

Wiener Opernfans sind mit der Staatsopern-„Tosca“ in der Inszenierung von Margarethe Wallmann in der geschmackvollen Ausstattung von Nicola Benois „aufgewachsen“. Meine erste „Tosca“-Vorstellung im Dezember 1976 hat es mir noch ermöglicht, in diesen Kulissen Carlo Bergonzi zu hören (sein letzter Cavaradossi im Haus am Ring), seine Tosca war Montserrat Caballé. Die Erinnerung an diesen Abend ist für mich allerdings so gut wie nicht mehr greifbar, außerdem vermag man als „Eleve“ das Gehörte noch nicht recht einzuordnen, fehlt die Fähigkeit, die künstlerische Qualität einer Aufführung zu bewerten, ihre „historische Größe“ einzuschätzen. Gute 40 Jahre und ein paar Dutzend „Tosca“-Vorstellungen später ist man hingegen vielleicht dazu geneigt, gar zu schnell den Stab über eine Aufführung zu brechen, der – wie in diesem Fall – das „Jubiläums“-Prädikat schon ein wenig geschmeichelt hat.

Direktor Dominique Meyer meinte am Beginn seiner kurzen Ansprache, mit der er den Abend „eröffnete“, dass er kein „Freund“ von Jubiläen sei. Dem kann in gewisser Weise beigepflichtet werden. Im Allgemeinen heben Jubiläumsvorstellungen die Erwartungen und rufen dadurch schneller Enttäuschung hervor, sollten die Erwartungen nicht erfüllt werden. Doch wer kann sich der Magie der runden Zahl entziehen? 60 Jahre sind 60 Jahre. 600 Vorstellungen sind 600 Vorstellungen – wobei sich die Jahre leichter überprüfen lassen, als die Anzahl der Vorstellungen. (Nach meinen Erfahrungen sind die Aufführungsstatistiken der Staatsoper nicht immer ganz fehlerfrei.) Als dem Herrn Direktor Frau Wallmann zu „Waldmann“ geriet, wurde er seitens des Publikums gleich auf seinen Irrtum hingewiesen. Neben dem Direktor stand der Statist Herr Fiala im Bischofshabit vor dem Vorhang. Er hat in der Premiere und in Hunderten „Tosca“-Vorstellungen statiert. Was könnte die Verbundenheit des Publikums mit „seinem“ Haus besser demonstrieren als solche Treue?

Diese Inszenierung gehört zur Aura des Hauses, sie vermittelt Erinnerungen, und sie erwacht in (fast) jeder „Tosca“-Vorstellung wieder zu einem spannenden neuen Leben, um ganz frische Erinnerungen mit den alten zu verknüpfen und die aufregende Bühnengeschichte dieser Staatsopern-„Tosca“ fortzuschreiben. Direktor Meyer hat kurz auf den historischen Stellenwert dieser Produktion verwiesen. Er wird sie in seinen letzten Direktionsjahren nicht mehr „angreifen“ – und er hat ihr darüber hinaus noch ein langes Fortbestehen gewünscht. Es ist zu hoffen, dass auch die kommenden Direktionen diesen nun mehr sechzig Jahre alten Lebensfaden nicht abschneiden werden.

Die 600. Vorstellung begann unter anderen Vorzeichen als die 599. letzten Montag: Der Dirigent musste krankheitsbedingt getauscht werden und anstelle von Jesús López-Cobos leitete Frédéric Chaslin den Abend. Diese Konstellation mag nicht ideal gewesen sein, das spannungslose Dirigat bezeugte es. Außerdem eilte die Sopranistin dem Orchester oft voraus und machte die Sache dadurch nicht einfacher. Angela Gheorghiu hat vor viereinhalb Jahren an der Wiener Staatsoper mit ihrem kostbaren Sopran eine „Tosca“ gesungen, die man als „delikat“ bezeichnen kann. An diesem Abend war von dem leicht seidigen Timbre ihrer Stimme leider kaum mehr etwas zu hören, so als hätte man den hüllenden Stoff weggezogen. Gheorghiu hatte ihren Sopran außerdem stark zurückgekommen, „sparte“ sich durch den ersten Akt, und setzte ihn den ganzen Abend über mit bewundernswertem Kalkül nur dort in Szene, wo es ihrer Meinung nach auch wirklich nötig war: kräftige Spitzentöne, leicht geschärft, machten dann wieder auf Tosca aufmerksam und lenkten von ihrem affektierten Spiel ab, das vielleicht als Ersatz für die schaumgebremste stimmliche Präsenz gedacht war.

Die Art wie Gheorghiu ihr Dekolleté an diesem Abend „vorantrug“ war bezeichnend, und wie sie es halbliegend Scarpia darbot, während sie ihren Verrat an Cavaradossi beging. Scarpia beugte sich zu ihr hinab – dass ihn Toscas „Umfaller“ vor allem erotisch interessierte, war unverkennbar. Das sinnlich-masochistische Moment dieser Szene wurde gut eingefangen: hier Scarpia, dort das gleichsam vor seinen Blicken entkleidete Opfer Tosca. Aber die Absicht hinter dieser Darstellung war zu deutlich erkennbar und überhauchte nicht nur diese Szene mit dem Atem der Satire. Vor allem das Finale des zweiten Aktes konnte sich diesem satirischen Hauch kaum mehr entziehen: eine minutenlang den so eben Verschiedenen halblaut anseufzende Tosca, die dann noch ihren Mantel unter den Beinen des Toten wegziehen musste und sich dabei pathetisch plagte. Und im Finale begab sich Gheorghiu wieder viel zu früh die Stiegen zu ihrem „Absprungsort“ hinauf – die Mannen Scarpias hatten noch gar nicht die Hinrichtungsplattform erklommen – um die „Action“ dieser Szene in „Stehtheater“ zu verwandeln.

Als Scarpia hat Erwin Schrott in der Vorstellung am Montag sein Wiener Rollendebüt gegeben. Sein stimmlich und darstellerisch präsentes Rollenporträt war der „Pfeffer“ dieser Aufführung, ein Narzisst, ein Gangsterboss, ein Mann des kalkulierten Genusses, der mit seinen Opfern spielt, und der seine Brutalität hinter einem gepflegten Äußeren versteckt. Schrotts große Stunde schlug noch nicht in der Kirche, sondern erst im zweiten Akt, in dem er sich zur bestimmenden Kraft aufschwang und seinen rauen Bassbariton effektvoll in Stellung brachte. Bei Schrott ist immer auch ein bisschen Show dabei, und wenn seine Entertainerqualitäten seine stimmliche Raffinesse überwiegen sollten, dann verzeihen ihm das die Rollen, die er verkörpert, meist. Darstellerisch hatte er sich etwas „Neues“ einfallen lassen, in dem er während der Folterszene einen kurzen Zornanfall bekam, bei dem er das Tischtuch von Scarpias kleinem Esstischchen so verrutschte, dass das Gedeck ganz in Unordnung kam und der Speiseteller auf seinen Sessel kippte. Nachdem Scarpia an diesem Tischchen mit Tosca meist „il prezzo“ ausverhandelt, war diese szenische Option jetzt ausgeschlossen. (Ein Scarpia kann nicht einfach den Teller von seinem Sessel auf den Tisch zurückstellen und die Essensreste wegputzen.) Schrott war also dazu verdammt, ein paar Bühnenkilometer mehr abzuspulen, wobei er meist einen Becher in der Hand hatte, befüllt mit Scarpias „Tafelwein“. Vielleicht gab es dafür gute Gründe – trockener Hals oder so – aber es sah etwas seltsam aus und störte mir die „Illusion“.

Massimo Giordano ist nach längerer Zeit als Cavaradossi wieder an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt. Seine Stimme brauchte eine sehr lange Anlaufphase. Im ersten Aufzug punktete er nur mit ein paar kräftigen Höhen, die sein Tenor dann mit warmem, leicht baritonalem Klang erfüllte. Eine ziemlich flackrige, leicht gepresste Mittellage, kaum Piani, und ein paar Küsschen für Tosca waren ansonsten seine wenig tenorales Glück verheißende Ausbeute. Das erste „Vittoria“ erklang kurz und sehr verhalten, für das zweite nahm er dann alle Kraft zusammen, und es gelang ansprechend. Erst bei der „Sternenarie“ hatte sich seine Stimme konsolidiert. Er sang sie aber sehr einförmig, so als wäre er sich der Gunst der Stunde zu bewusst, um sie noch aufs Spiel zu setzen. Giordano hat den Cavaradossi schon vor vier Jahren in Wien gesungen, er trägt jetzt einen Bart, der ihm sehr gut steht, ansonsten scheint sich wenig verändert zu haben.

Liebgewonnene Details wie die Darstellung des Mesners unterscheiden sich natürlich bei wechselnden Besetzungen. Aber bei der 600. Vorstellung ist es nur angebracht, auch des unvergesslichen Alfred Sramek zu gedenken, der die Partie des Mesners über ein Vierteljahrhundert lang in 123 Vorstellnugen zu einem Kleinod von einem Nebencharakter gemacht hat. Alexander Moisiuc könnte sich da noch einiges abschauen. Clemens Unterreiner sang einen darstellerisch leicht überzeichnenden Angelotti. Es fehlt eigentlich nur noch, dass er, wenn er in die Kirche stürmt, die Stufen vom Hauptschiff Richtung Kapelle mit einem Hechtsprung nimmt.

Zuletzt aber noch ein großes Dankeschön an die Direktion, dass die im ersten Akt in die Kirche einziehenden Ministranten eine gehörige Portion Weihrauch verpulvern durften. Der Weihrauch zog sich auf die Galerie, man konnte ihn in der ersten Pause auch im Foyer erschnuppern. Eine Staatsopern Jubiläums-„Tosca“ ohne viel Weihrauch, das wäre ein Fauxpas gewesen – nicht auszudenken!

Am Schluss gabs den erwarteten Jubel für eine insgesamt eher mäßige „Tosca“-Vorstellung.

P.S.: In der 500. Staatsopern-„Tosca“ im Jänner 2006 hat der früh verstorbene Tenor Salvatore Litrica den Cavaradossi gesungen. Man könnte ein Buch über diese „Tosca“-Produktion schreiben, in dem nicht nur der verpasste Auftritt des Erschießungskommandos, sondern auch der eines bestimmten Soprans seinen Platz hätte. Und ein dickes Lexikon der Opernstars der letzten 60 Jahre würde es auch abgeben.