TOSCA

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Staatsoper
7. Oktober 2016

Dirigent: Mikko Franck

Floria Tosca - Anja Harteros
Mario Cavaradossi - Jorge de León
Scarpia - Marco Vratogna
Cesare Angelotti - Jongmin Park
Der Mesner - Wolfgang Bankl
Spoletta - Michael Roider
Sciarrone - Marcus Pelz
Schließer - Alexandru Moisiuc
Ein Hirt - Ein
Kind der Opernschule der Wiener Staatsoper


„Eine Tosca ohne Diva?“

(Dominik Troger)

Anja Harteros stellte sich dem Wiener Publikum erstmals als Tosca vor. Die erste von drei angesetzten Vorstellungen erfüllte die einigermaßen hohen Erwartungen aber nur bedingt.

Die erste „Tosca“-Vorstellung in der neuen Saison brachte das Wiener Rollendebüt von Anja Harteros in der Titelpartie. Die Sängerin wirkte in dieser historisierenden Inszenierung mit ihrer Allüren- und „divenfreien“ Rollenauffassung allerdings etwas deplaziert – und der Umgang mit dem langen Schleppenkleid im zweiten Akt schien ihr mehr Obsorge aufzuerlegen als Behagen zu verursachen.

Eigentlich hat mir erst die nachträgliche Lektüre einer Rezension der Münchner Abendzeitung eine mögliche – wenn auch nicht befriedigende – Erklärung für dieses auf mich seltsam unbeteiligt wirkende Toscagehabe der Sängerin verschafft. Diese Besprechung (vom 30 Juni 2016) widmet sich einer Münchner „Tosca“-Aufführung mit Jonas Kaufmann und Bryn Terfel als Partner der Sängerin. Dort ist zu lesen: „Anja Harteros versteht die Tosca nicht als Diva, sondern (wie es die Autoren wollten) als junges, naives Mädchen vom Land. Die Desillusionierung der Figur gestaltet sie grandios (...).“

Und war das nicht wirklich „desillusionierend“, was Harteros als Tosca an diesem Abend geboten hat? Ihre Tosca entwickelte ein Repertoire an gut einstudierten Posen deren Zwischenräume mit viel emotionalem Leerlauf aufgefüllt wurden. Diese Tosca war kaum in die Rolle hineingeschlüpft, schien sie sich aus ihr schon wieder zu entfernen. Schon im ersten Akt blieb Harteros gegenüber ihrem Malergeliebten von einer oberflächlichen Kühle, die mehr posierte als erfühlte – etwa wenn sie sich auf den Stufen des Malerpodestes mit Cavaradossi zu einem kurzen, mehr kunsthistorisch interessanten Tete-à-Tete niederließ. Und wenn sie im zweiten Akt, bevor Scarpia zum endgültigen „Angriff“ übergeht, noch das Kleid ein Stückchen von der linken Schulter zieht, um selbige etwas stärker zu entblößen, dann ist das eine kokette Listigkeit, die einer leidenschaftlich um ihre Ehre und Gefühle besorgten Tosca wohl nie einfallen würde – auch keinem naiven Landmädchen. Zu glauben, dass Scarpia in diesem Moment noch ein Auge für ein kleines blasses Schulterstück haben könnte, während er Tosca in seiner triebhaften Gier schon in all ihrer ihn lüsternen Nacktheit vor sich sieht, verkennt die dramatische Zuspitzung dieser Situation. Zuviel der Pose war beispielsweise auch das siegreiche „Messer-in-die-Luft-Strecken“ nach Scarpias Ende.

Während viele Sängerinnen in dieser Partie eine leidenschaftliche Anteilnahme entwickeln, die die psychische Spannung, unter der dieser Bühnencharakter zunehmend steht, zu vermitteln weiß, zog sich Harteros offenbar auf eine Position zurück, die ihre Gefühle aus dem Spiel herauszuhalten versuchte. Auf diese Weise lieferte sie mit möglichst kontrolliertem Vortrag sozusagen nur die Kapitelüberschriften ab, anstatt dieses Frauenschicksal mit „atemloser“, risikobereiter Spannung zu erzählen. Deshalb gewann ihre Tosca vor allem dank einem sehr schön gesungenen, mit raumfüllender Wehmut zu Ohr gebrachten „Vissi d’arte“.

Jorge de León hatte als Cavaradossi sein Wirken vor allem auf die Highlights ausgerichtet, die er dann mit gutem Effekt zu präsentieren wusste. Im Spiel wirkte er statisch und wenig kreativ. Er führte seinen leicht nasal überhauchten und baritonal eingefärbten Tenor mit viel Kraft ins Feld – und vor allem im ersten Akt gesellte sich ein starkes Vibrato hinzu.

Marco Vratognas Scarpia brachte sich mit seinem trockenen, grob gekörnten Bariton gegenüber Tosca nicht gerade als Charmeur in Stellung. Außerdem wirkte Scarpias Aufregung über den „Höllenlärm in der Kirche“ stimmlich zu aufgesetzt und überzeichnend. Die Autorität dieser Figur bekam auf diese Weise schon beim ersten Auftritt „einen Knacks“. Der zweite Akt gelang ihm überzeugender. Er scheute nicht davor zurück, Tosca sehr eindeutig klar zu machen, was er von ihr begehrt – aber mit solchen handfest geäußerten Begierden kann die Dämonie eines Bühnencharakters auch nur punktuell ihre Glaubwürdigkeit beweisen.

Wolfgang Bankl sang den Mesner – und dass an diesem Abend beim Stammpublikum noch die Erinnerung an Alfred Sramek mitschwang, versteht sich von selbst. Bankl hat den Mesner bereits über 30-mal an der Staatsoper gesungen. Er hat die Figur weniger als „Original“ angelegt, als Sramek. Jongmin Park war bei seinem Wiener Rollendebüt ein hörenswerter, mit profundem Bass ausgestatteter Angelotti. Das dritte Rollendebüt am Haus an diesem Abend (nach Harteros und Park) ward einem stimmlich indisponiert klingenden Michael Roider als Spoletta beschieden.

Zugegeben, das ganze Umfeld dieses Abends war nicht dazu angetan, Sängerinnen und Sänger zu Höchstleistungen anzuspornen. Vor allem das Orchester fungierte mehr als Hindernis, denn als Befeuerung der Puccini’schen „Tosca“-Leidenschaft. Der Glaube, dass Lautstärke allein schon für Spannung sorgt, ist ein Irrtum.

Rund sechs Minuten langer Schlussapplaus beendeten die in Summe doch eher enttäuschende 588. Vorstellung (laut Programmzettel) der „Wallmann-Tosca“ an der Wiener Staatsoper.