TOSCA

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Staatsoper
5.9.13

Dirigent: Marco Armiliato

Floria Tosca - Angela Gheorghiu
Mario Cavaradossi - Marcelo Álvarez
Scarpia - Zeljko Lucic
Cesare Angelotti - Janusz Monarcha
Der Mesner - Alfred Sramek
Spoletta - Benedikt Kobel
Sciarrone - Marcus Pelz
Schließer - Alexandru Moisiuc
Ein Hirt - Kind der Opernschule


„Deliziöse Tosca“

(Dominik Troger)

Am dritten Abend der neuen Saison lud die Staatsoper zu einer exquisit besetzen „Tosca“-Vorstellung: Angela Gheorghiu in der Titelpartie und Marcelo Álvarez als Cavaradossi, jeweils mit ihrem Wiener Rollendebüt, Zeljko Lucic steuerte den Scarpia bei.

Angela Gheorghiu hat bei ihrer ersten Wiener Tosca offenbar nichts dem Zufall überlassen, sogar bei der Auswahl der Kostüme dürfte sie mitbestimmt haben. Das Hütchen, das die Sängerin im ersten Akt zu tragen beliebte, sorgte im Pausenfoyer allerdings für unterschiedliche Meinungen. Jedenfalls war die Sängerin in allen drei Akten herrlich anzusehen – und im zweiten Akt, trotz aufgestecktem Diadem, überstrahlte ihr erotisch in Form gebrachtes Dekolleté alle Schmuckstücke, die sie hätte anlegen können.

Aber wer Gheorghius Tosca an solchen Äußerlichkeiten messen wollte, dem sei entgegnet, dass diese Tosca im Ganzen funkelte wie feingeschliffene Pretiosen: das spielte in Nuancen – und tauchte die Figur insgesamt in das Flair eines warmherzigen, aber von viel Verletzlichkeit und großer Sensibilität gezeichneten Charakters. Raumgreifend im Sinne einer „großen Stimme“ war diese Tosca nicht, robuste Verismo-Power, die einen als Zuhörer niederdolcht wie Tosca Scarpia, kein Thema an diesem Abend.

Denn in dieser Tosca pochte nicht das Herz einer Leben, Liebe und Leid heroisierende Primadonna, sondern das eine sensiblen Frau: seelenvoll, vielleicht sogar bigott, Verletzungsschmerzen in hysterische Ausbrüche ableitend, trotz ihrer fragilen Persönlichkeit aber stabil und stark genug, um unter dem Druck der Ereignisse alle Mittel auszuschöpfen, damit die große Liebe ihres Lebens ehrenhaft gerettet werde. Um ein paar Beispiele herauszugreifen: die kokette, fast schelmische Art, mit der sie Cavaradossi beim Abschied in der Kirche begegnete, wenig später ihr Eifersuchtsausbruch mit dem Fächer, der nach Scarpias womöglich sogar ernstgemeinten Hinweis, dass sie sich in einer Kirche befinde, sofort in erschütternde Demut umschlug – oder dieses zögerliche Ergreifen des Messers, diese Mischung aus Abscheu und Erkenntnis, dass ihr wohl keine andere Möglichkeit bleibt, soll ihre Seele nicht von den widerlichen Umarmungen und Küssen Scarpias erstickt werden.

Zuvor hat Tosca mit dem „Vissi d’arte“ natürlich schon ihre „Sünden“ bereut und die existentielle Frage an ihr Schicksal gestellt: Gheorghiu fand mit ihrem leicht dunkel angehauchten, so flüssig und elegant dahinströmendem Sopran zu einer betörenden Mischung aus erotischer Gebetshingabe und gefühlter Verzweiflung. Vielleicht haben Besucher der Aufführung in diesen Momenten sogar an ein barockes Altarblatt gedacht, das heilige Frauen in demütiger Gebetshaltung zeigt, deren von zarten Tränen umflorten, himmelwärts gerichtete Augen in wollüstigem Schmerz den mit roten Wundmalen versehen Herrn verklären. Ich gebe zu, bei Tosca dreht sich diese schmerzvolle Verklärung auch um sich selbst, aber dieses Beispiel deutet zumindest an, zu welch poetischen Abschweifungen man als Besucher dieser Vorstellung verführt wurde.

Zudem war bestechend, dass Gheorghius Stimme kaum aus der Fasson geriet, auch in den wenigen, dramatischen Ausbrüchen ihrem lyrischen Gestus treu blieb und wohlgepflegt das Haus erfüllte. Denn bei Gheorghiu ist auch nach langen Karrierejahren immer noch alles wohlgepflegt und delikat, der Hochglanzprospekt von einem „Sängerinnen-Traum“. Wobei ihr Sopran nicht mit samtiger Fülle betört, sondern aus einem leichteren, seidigeren Stoff gewoben scheint, der in mehreren Lagen übereinander liegt und dem sich die Lebenserfahrung schon leicht eingedrückt hat wie ein kunstvoller Faltenwurf. Das schafft die Basis für emotionale Schattierungen, für melancholische Piani oder kokette Phrasen und wenn die Stimme leicht ins Flackern kommt, dann spürt man die nervöse Reizbarkeit des Bühnencharakters, der bei aller Privatheit eben doch eine „Diva" darstellt. Diese Mischung könnte auch „künstlich“ wirken oder fast outrierend: Wenn ich mich an Gheorghius letzte Auftritte an der Staatsoper erinnere – als Margarete 2008 und zuvor als Mimi – dann stand damals diese Künstlichkeit einer glaubhaften Darstellung der Bühnenfiguren mehr im Wege, als dass sie ihr gedient hätte. Doch in diese Tosca ist die Sängerin geschlüpft wie in eine zweite Haut.

Dass sich bei einer „Tosca“-Aufführung alles um Tosca dreht, leuchtet ein, doch bot der Abend dem Publikum (was selten genug ist) auch eine vorzügliche Besetzung der beiden männlichen Protagonisten, die das Beziehungsdreieck komplett machen. Marcelo Álvarez stand ebenfalls schon seit Jahren nicht mehr auf der Staatsopernbühne, seine Karriere zu einem der „Top-Tenöre“ seiner Generation hat Wien nur gestreift. Álvarez gab dem Cavaradossi einen mehr „geerdeten“ Charakter, drängte in nicht in eine „künstlerische Existenz“ mit fragwürdiger „Psychologie“. Am Beginn musste er noch ein wenig in den Fluss der Musik finden und vielleicht hätte das erste Duett mit Tosca insgesamt ein wenig feuriger „abgehen“ können. Das „Vittoria“ wurde lange und intensiv präsentiert und das „E lucevan le stelle“ wurde von ihm intensiv gestaltet und plastisch dargeboten. Álvarez wirkte sicher und weitgehend unforciert. Seine Stimme und jene Gheorghius passten gut zueinander, hat sich sein Tenor doch viel lyrisches Potential bewahrt. Seine Stimme besitzt nach wie vor einen weichen Schimmer und einen schlanken Kern, formt aber inzwischen schon kräftiger aus, was gut für Puccini passt. Jedenfalls bleibt festzuhalten: Álvarez, der sich im letzten Jahrzehnts konsequent das „Zwischenfach“ erarbeitet hat, ist dort wirklich (!) angekommen.

Scarpia wurde von Zeljko Lucic als gute Mischung zwischen patriarchalischem Gehabe, eiskalter Berechnung und dem Gaumen eines Feinschmeckers gegeben, stimmlich mit guter Höhe, im Te Deum schon eine Spur zu wenig durchschlagskräftig, aber in Summe nahezu auf Augenhöhe mit Tenor und Sopran.

Marco Armiliato ließ die Handlung sich theatralisch aufschaukeln, eher gemessen im Tempo, im Finale des ersten Aktes dann mit prächtiger Entladung. Sehr schön gespielte Details fielen auf, nicht nur die Überleitung zur „Sternenarie“: romantischen Schmelz verströmende Celli, die süchtig machen. An der Dynamik könnte insgesamt ein bisschen gefeilt werden, um die Sänger noch deutlicher in den Vordergrund zu rücken. Armiliato dirigierte wieder auswendig – und er verstand es abermals, dem „Atem der Musik“ und den Sängern Raum zu lassen.

Die übrige Besetzung war bekannt: Alfred Sramek ist als Mesner schon eine Institution, Benedikt Kobels Spoletta eine markante Erscheinung, und Janusz Monarcha ein bewährter Angelotti. Was nicht so gut funktionierte war das Finale: Tosca hatte jede Menge Zeit vor ihrem Absprung, um noch den Mantel loszuwerden. Die Häscher sind ihr nicht über die Stiege nachgelaufen. Hier müsste das „Timing“ noch besser aufeinander abgestimmt werden, um in der Bühnenaktion die Spannung auf den Punkt zu bringen.

Der Schlussapplaus dauerte rund neun Minuten lang, viele Bravorufe, aber nicht so massiv, was vielleicht daran lag, dass die Saison noch sehr jung ist. Der Versuch Gheorghiu und Álvarez zu einem Auftrittsapplaus zu verhelfen, verpuffte wirkungslos, weil die große Mehrheit des Publikums nicht mitzog.

Fazit: An solchen Abenden kommt diese alte „Tosca“-Produktion der Staatsoper besonders gut zur Geltung – und es war schon die 563. Aufführung in dieser Inszenierung! Warum? Weil sie einen dem Werk adäquaten, authentischen Bühnenraum schafft, in dem die Sänger rollengerecht agieren können, ohne dass sie und das Publikum von „Regieeinfällen“ „gegängelt“ und von der eigentlichen Geschichte abgelenkt werden.