DIALOGUES DES CARMÉLITES
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Theater an der Wien
16.4.2011
Wiederaufnahme

Dirigent: Bertrand de Billy

Inszenierung: Robert Carsen
Szenische Einstudierung: Didier Kersten
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Falk Bauer
Choreographie: Philippe Giraudeau
Licht: Jean Kalman / Christine Binder

RSO Wien
Arnold Schönberg Chor

Koproduktion mit De Nederlandse Opera, Amsterdam

Marquis de la Force - Jochen Schmeckenbecher
Blanche -
Patricia Petibon
Le Chevalier de la Force - Yann Beuron
Madame de Croissy - Deborah Polaski
Madamee Lidoine - Heidi Brunner
Mère Marie - Michelle Breedt
Soeur Constance - Hendrickje van Kerckhove
Mère Jeanne - Magdalena Anna Hofmann

Soeur Mathilde - Christa Ratzenböck
L´Aumonier
- Jürgen Sacher

1er Comissaire - Eric Arman
2éme Comissaire - Craig Smith
Geôlier, Officier - Dominik Köninger
Thierry - Andreas Wolf

Dr. Javelinot - Nenad Marinkovic


Wiederaufnahme einer Erfolgsproduktion
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat die Produktion von Francis Poulencs „Dialogues des Carmélites“ wieder in den Spielplan aufgenommen – und der Premierenerfolg von 2008 hat sich mit teilweise neuer Besetzung wiederholt.

Patricia Petibon ist von der Sœur Constance zur Blanche „gereift“. Sie hat das humorvolle Gemüt der einen Novizin hinter sich gelassen und gegen das komplexe angsterfüllte Welt- und Gotterleben der anderen getauscht. Mit ihren großen Rehaugen, die sich so weit zu öffnen vermögen, hält Petibon nach dieser Angst Ausschau, die Blanche umfängt und immer wieder überrascht.

Zart und verletzlich scheint sie am Beginn, wie ein kostbares, schreckhaftes Gewächs, das an einem schattigen Plätzchen in einem prunkvollen Gärtchen steht und im Sommer ein paar fragile mit Blüten übersäte Ästchen gegen den Himmel reckt. Aber das Holz dieser Pflanze ist biegsam und kaum zu brechen, und Petibons Sopran, in den letzten Jahren etwas kerniger geworden, liefert dazu eine sehnige Spannkraft, die zwar weiter im Lyrischen wurzelt, aber in Blanche jene persönliche Stärke zum Ausdruck bringt, die den Gang ins Kloster ebenso zu rechtfertigen vermag wie ihr freiwilliges Sterben. Man kann diese Eigenschaft vielleicht am besten mit dem Wort „Konsequenz“ umschreiben – und genau das vermittelt Petibon. Diese Blanche arbeitet beflissenen an ihrem „Schicksal“ inmitten eines gewalttätigen historischen Prozesses und von überraschenden Angstattacken heimgesucht. Und zuletzt vereint sie die Achtung vor sich selbst und die Achtung vor Gott in einem existentialistischen Freiheitsakt – der hier die Form einer Märtyrerkrone trägt.

Die Fragwürdigkeit solcher Erlösungskonzepte wie sie Poulenc in dieser Oper mit Sanftmut und mit gewalttätigem Aufbegehren in Musik gegossen hat, habe ich bereits in meiner Besprechung der Premiere angedeutet. Unter folgendem Link kann man auch Anmerkungen zum Stoff, zur Handlung, und zur klaren, beeindruckend ernsthaften Inszenierung von Robert Carsen nachlesen, die einen wesentlichen Anteil am Erfolg hat: Premiere 19. Jänner 2008.

Zu den Höhepunkten der Aufführungen zählten die Begegnungen von Blanche mit der sterbenskranken Äbtissin im ersten Akt. Deborah Polaski – im Vergleich zu Petibon eine hünenhafte Bühnenerscheinung – zeichnete hinter der starren, aus Glaubensgut errichteten äußeren Fassade ihrer Persönlichkeit einen weichen Kern, aus dem ihre Sympathie für Blanche erwächst. Im schmerzgrellen Todeskampf bringt sie nicht nur die sie versorgenden Nonnen zur Verzweiflung, krampfhaft versucht sie sich an der zierlichen Blanche festzuklammern, eher sie abrupt zusammenbricht. Polaksi erreichte in diesen Momenten eine Authentizität, die man als Zuschauer erst einmal verkraften muss.

Um diese beiden Schwerpunkte gruppierte sich ein homogenes, vor allem ausdrucksstarkes Ensemble: Heidi Brunner und Michelle Breedt steuerten wie schon 2008 Madame Lidoine und Mère Marie bei, Hendrickje van Kerckhove hat die Sœur Constance von Patricia Petibon geerbt, spielte und sang sie mit frischer Naivität. Yann Beuron gab wie bereits 2008 den Le Chevalier de la Force mit sicherem Tenor, Jochen Schmeckenbecher sang den alten Marquis, der die Zeichen der Zeit verkennt.

Das RSO Wien unter Bertrand de Billy sorgte wieder für eine konzentrierte, spannungsgeladene und werkbezogene Umsetzung. Der Schlussapplaus dauerte an die zehn Minuten lang.