DIALOGUES DES CARMÉLITES
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Theater an der Wien
19.1.2008
Premiere

Dirigent: Bertrand de Billy

Inszenierung: Robert Carsen
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Falk Bauer
Choreographie: Philippe Giraudeau
Licht: Jean Kalman / Christine Binder

RSO Wien
Arnold Schönberg Chor

Koproduktion mit De Nederlandse Opera, Amsterdam

Marquis de la Force - Jean-Philippe Lafont
Blanche - Sally Matthews
Le Chevalier de la Force - Yann Beuron
Madame de Croissy - Marjana Lipovsek
Madamee Lidoine - Heidi Brunner
Mère Marie - Michelle Breedt
Soeur Constance - Patricia Petibon
Mère Jeanne - Elisabeth Wolfbauer

Soeur Mathilde - Christa Ratzenböck
L´Aumonier
- Dietmar Kerschbaum

Thierry / L´Officier - Matjaz Robavs
1. Kommissar - Erik Arman
2. Kommissar - Daniel Schmutzhard
Le Geolier - Klemens Sander
Dr. Javelinot - Nenad Marinkovic


Angst und Gnade
(Dominik Troger)

Erfolgreiche Premiere von Francis Poulencs „Dialogues des Carmélites“ im Theater an der Wien: eine Produktion, die man nicht versäumen sollte. Weitere Termine: 21., 23., 26., 29. und 31.1.

16 Nonnen, die während der französischen Revolution guillotiniert wurden, bilden den historischen Ausgangspunkt dieser Geschichte, die Gertrud von Le Fort 1931 in eine Novelle „Die Letzte am Schafott“ hat einfließen lassen. Le Fort hat die Handlung um die Figur der Blanche erweitert, die ins Kloster geht, um ihre Angstzustände in den Griff zu bekommen – und in der freien Entscheidung sich dem Martyrium der Nonnen anzuschließen, diese Angst überwindet. Georges Bernanos hat daraus ein Theaterstück gemacht: „Die begnadete Angst“. Poulenc hat dieses Stück als Grundlage für sein Libretto verwendet.

„Dialogues de Carmélites“ problematisiert nicht nur das Verhalten von Menschen in Extremsituationen, sondern fragt auch nach dem Verhältnis dieser Menschen zu Gott. Poulenc stellt sich dieser Thematik aus speziell katholischer Sichtweise – und es ist dieser Blickwinkel, der heutzutage vielleicht manches anders oder missverständlich oder überhaupt unverständlich erscheinen lassen könnte. Es geht dabei um die Frage, ob die Verleugnung des eigenen Lebens überhaupt Gott gewollt sein kann und welchen Denkanstoß uns Blanches Entscheidung, den Nonnen in den Tod zu folgen, vermitteln möchte.

Poulenc stellte in einem Interview (nachzulesen im Programmheft der Aufführung) dem Begriff der „Angst“ den Begriff der „Gnade“ gegenüber – und meinte wohl, es wäre eine gnadenhaft mystische Gotteserfahrung, die den Nonnen in ihrem Martyrium zu Teil würde und vor allem auch Blanche. Nun ist die Absurdität einer freien und zugleich todbringenden Entscheidung in ihrem existentialistischen Paradigma schwer anders aufzulösen als durch „Glauben“. Und als Zuschauer wird man, je nach persönlichem Hintergrund, darin ein Zeichen der „Gnade“ erkennen oder man wird zumindest von diesem Lehrstück existentialistischer Welterfahrung gefesselt sein, das zeigt, wie Menschen, mitgerissen vom Mahlstrom der Geschichte, versuchen ihr Selbstwertgefühl zu behaupten – bis zum bitteren Ende.

Poulenc hat dazu eine Musik geschrieben, die diesen Diskurs nicht untergräbt, sondern sogar noch herausstreicht und manchmal wie mit Ausrufungszeichen kommentiert. Die Singstimmen bleiben im Zentrum, es gibt nur wenige kurze Chorstellen. Die Schlusssequenz mit dem Fallgeräusch der Guillotine zählt zu den eindrucksvollsten Musiktheater-Momenten überhaupt.

Das RSO Wien unter Bertrand de Billy hat das alles wirkungsvoll umgesetzt und für viel Spannung gesorgt. Das SängerInnenteam beeindruckte durch eine geschlossene Ensembleleistung, aus der Patricia Petibon als Schwester Constance, Marjana Lipovsek als Priorin und Sally Matthews als Blanche herausstachen. Wie ein Wirbelwind gestaltete Petibon ihren ersten Auftritt, lebensbejahend und von kindlich-mystischer Einsicht gestreift. Lipovsek packte in die alte, sterbenskranke Priorin ehrfuchtgebietende Autorität und mütterliche Fürsorge – und ihre exzessiv gespielte Sterbeszene zeigte eine schaurige, von Todesangst zerfressene Psyche, die sich in einem letzten Aufbäumen jahrzehntelange Seelenqualen aus dem Leib schreit. Sally Matthews gab der Blanche eine gute Balance zwischen traumatischer Verunsicherung und dem im Glauben gewonnen Halt, ganz ohne Kitsch oder Sentimentalität.

Die Aufführung bot zudem Gelegenheit, das seltene Beispiel einer ausgezeichnet gelungenen Neuinszenierung kennenzulernen. Robert Carsen hat die Geschichte mit einfachen Mitteln und ernsthaftem Anspruch umgesetzt und die einzelnen Charaktere plastisch herausgearbeitet. Die Kostüme geben historische Hinweise, der Gebrauch an Requisiten ist sparsam. Die Weite der Bühne bestimmt das Geschehen – schafft Raum und lässt Raum für die Glaubensfragen der Nonnen und ihre Ängste und Hoffnungen.

Die Schlussszene war von eigentümlicher, intensiver Wirkung: Die in lange weiße Gewänder gekleideten Nonnen sind neben beziehungsweise hintereinander aufgestellt, zeigen zu Poulencs eindringlicher Musik mit wenigen, sich einprägsam wiederholenden Gesten eine Pantomime gottgefälliger Todesbejahung – und dann sinkt eine nach der anderen langsam zu Boden, immer wenn das Geräusch des fallenden Guillotinemessers die Musik zerschneidet.

Applaus setzte zaghaft ein, verebbte und begann nach zwei, drei Sekunden tief empfundenen Schweigens neu. Es wäre zu wünschen gewesen, man hätte der gespannten Ruhe des Schlusses etwas länger standgehalten.