POLIFEMO

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Theater an der Wien im Mueumsquartier Halle E
4.5.2023
Konzertante Aufführung

Dirigent: George Petrou

Armonia Atena

Aci - Franco Fagioli
Ulisse - Max Emanuel Cencic
Polifemo - Sreten Manojlovic
Galathea - Julia Lezhneva
Nerea - Rinnat Moriah
Calipso - Sonja Runje


Ein Zyklop im Museumsquartier

(Dominik Troger)

Im London der 1730er-Jahre lieferten sich Georg Friedrich Händel und Nicola Porpora einen „Opern-Wettkampf“, dem die Musikgeschichte nicht nur Händels „Ariodante“ und „Alcina“ verdankt, sondern auch Porporas „Polifemo“. Dieses 1735 uraufgeführte Werk sorgte jetzt im Musiktheater an der Wien für einen Höhepunkt der hiesigen Opernsaison.

Die Geschichte vom Zyklopen, der Odysseus und seine Mannen als Mahlzeit verzehren möchte, hat auch den Opernkomponisten Nicola Porpora inspiriert. Librettist Paolo Rolli hat die Geschichte des Polifemo geschickt mit weiteren antiken Sagenkreisen verknüpft: Polifemo begehrt die Nereide Galatea, die aber in den Schäfer Aci verliebt ist. Polifemo tötet seinen Widersacher, wird aber selbst von Odysseus und seinen Gefährten übertölpelt. Dazu gesellt sich noch Calypso, die Ulisse unterstützt. Porpora hat die Partie des Aci seinem Schüler Farinelli in die Kehle gelegt und spart auch sonst nicht an virtuosen Gustostückerln, die Sängerinnen und Sänger erster Güte verlangen. 

Bereits vor zehn Jahren hat sich Franco Fagioli im Stammhaus des Theaters an der Wien den atemberaubenden Anforderungen gestellt, die die Partie des Aci bereithält. Dieses Mal scharten sich um ihn mit Julia Lezhneva (Galatea) und Max Emanuel Cencic (Ulisse) zwei weitere viel gefeierte Apologeten barocken Ziergesangens, wodurch sich Porporas Ausflug in die antike Mythologie zu einem Leckerbissen für Stimmfetischisten und Barockmusikfans gestaltete. Die ausverkaufte Halle E im Museumsquartier, der Ausweichspielstätte des Theaters an der Wien, bot einen akustisch leidlichen Rahmen für dieses konzertant gegebene, vokale Feuerwerk. (Dieses Mal wurde in der leeren Kulisse der aktuellen Produktion von Weinbergs „Idioten“ gespielt, ohne den Eisenbahnwaggon, die Spielfläche nur von einem in der Bühnenmitte schwebenden Kristalluster beäugt.)

Über die drei genannten muss man eigentlich nicht mehr viele Worte verlieren: Franco Fagiolis testosterongeschwängerter Countertenor ist ohnehin etwa ganz Spezielles. Seine Stimme verfügt nicht nur über einen enormen Tonumfang, sondern beruht auf einer breiten Mezzobasis, die ihr eine kräftige, energiegeladene Präsenz verleiht. Die Koloraturen und Triller federn mit herausfordernder, manchmal vielleicht sogar als herb“ empfundenen Virilität. Aber Fagioli weiß die Gegensätze zu vereinen: Auf das gleichsam in höheren Sphären schwebende „Alto giova“ im dritten Akt folgte das alle Gesangesregister ziehende „Senti il fato“, mit dem Aci spöttisch das traurige Schicksal des Polifemo besingt. Das Publikum spendete begeisterten Szenenapplaus.

Julia Lezhneva versetzte schon in der zweiten Szene des ersten Aktes mit ihrer idyllischen, bis in feingliedrige Manierismen ausgestalteten Arie „Se al campo e al rio soggiorna“ das Publikum in Verzückung. Wie selbstverständlich folgte sie dem barocken Zierrat, der Porpora aus der Feder geflossen ist. Ihre Stimme perlte wie zartes Geschmeide, schuf aus klar geformten Lyrismen jene zeitlosen, atemanhaltenden Momente, von denen Melomanen träumen. Ihr Sopran ist dabei von klarer Konsistenz, strahlt mit viel Leuchtkraft ins Auditorium. Im zweiten Akt wurde wie schon in früheren Aufführungen (etwa bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2019) Galateas Arie „Fidatti alla speranza“ mit einer Arie aus Porporas Oper „Siface“ getauscht: „Come nave in mezzo all’onde“.

Ulisse zeigt in diesem Werk nicht nur seine listig-kriegerische Seite, sondern es wird spürbar, dass er sich genauso nach Frieden und Heimat sehnt, wenn er im zweiten Akt die glücklichen Schafe besingt: „Fortunate pecorelle“ einem unschuldigen Glück anheimgegeben. Max Emanuel Cencic bot als soignierter Ulisse einen „vernünftigen“ Gegenpol zu den gesanglichen „Exaltismen“ des Liebespaares und  veredelte mit seinem Gesang sowohl den listigen Kriegsherrn als auch die Sehnsucht nach idyllischem Glück.

Dazu gesellte sich der junge, noch etwas unausgegorene Bass von Sreten Manojlovic, der den Zyklopen beisteuerte. Sonja Runje durfte als Calipso einige Male ihren schön gerundeten Mezzo in die „Auslage“ stellen, für Rinnat Moriah als Nerea blieb wenig zu tun. Befeuert wurde die Aufführung von der Armonia Atena unter George Petrou, die ihren Porpora im kleinen Finger hat“. Die Oboistin Marta Blawar ernete für ihren solistischen Einsatz viel Szenenapplaus. Nach rund dreieinviertel Stunden (die Pause eingerechnet) zog das Publikum frohen Mutes in die klare, frühlingsschwangere Mondnacht hinaus.