POLIFEMO

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Theater an der Wien
22.2.2013
Konzertante Aufführung

Dirigent: Rubén Dubrovsky

Bach Consort Wien

Aci - Franco Fagioli
Ulisse - Xavier Sabata
Polifemo - Christian Senn
Galathea - Laura Aikin
Nerea - Hanna Herfurtner
Calipso - Mary-Ellen Nesi


Farinelli in Sizilien

(Dominik Troger)

Nicola Porpora lieferte sich im London der 1730er-Jahre einen Opernwettstreit mit Georg Friedrich Händel, der in die Geschichte eingegangen ist. Porporas Oper „Polifemo“ war Bestandteil dieses Ringens um die Gunst des Publikums. Eine konzertante Aufführung im Theater an der Wien ermöglichte einen detaillierteren Blick auf dieses Werk.

Händel wird inzwischen viel gespielt, Porporas Opern werden, wie es scheint, gerade ihrem Dornröschenschlaf entrissen. Das ist auch gut so, es muss nicht immer Händel oder Vivaldi sein. Immerhin erfreut sich die Arie „Alto Giove“ aus „Polifemo“ inzwischen großer Beliebtheit, weil sie viele auf Barockmusik spezialisierte Sängerinnen und Sänger in ihr Repertoire aufgenommen haben.

Das Theater an der Wien bot jetzt die Chance, in einer konzertanten Aufführung die Oper zur Arie kennenzulernen – und ein bisschen ein Gefühl für den Opernkomponisten Porpora zu entwickeln. Nicola Porpora war nicht nur Komponist, er war der berühmteste Gesangslehrer seiner Epoche – und wenn man den „Polifemo“ gehört hat, dann darf man Porpora auch als „Stimmfetischisten“ bezeichnen.

Die Oper wurde 1735 uraufgeführt, und mit der Partie des Aci hat Porpora dem berühmten Kastraten Farinelli eine ideale Möglichkeit geboten, seine Vorzüge vor dem englischen Publikum auszuspielen. Es ist überliefert, dass Damen und Herren im Publikum bei Farinellis Gesangeskünsten in Ohnmacht gefallen sind. Der Starkult muss enorm gewesen sein.

Dass die Oper nicht nur in ein „Arienkonzert“ mit „Nebenhandlung" ausartet, ist dem Librettisten Paolo Rolli zu verdanken, der ein „Best of antike Mythologie“ entworfen hat. Drei große Mythenkreise füllen ein arkadisches Sizilien: die Geschichte von Galatea & Aci aus Ovids Metamorphosen wurde um die griffige Zyklopenstory aus der Odyssee unter Hinzuziehung von Calypso erweitert. Das verbindende Element ist der Zyklop, der Galatea begehrt und Aci mit einem Steinwurf ermordet, der Odysseus und seine Gefährten gefangen nimmt und schließlich von Odysseus und Calypso übertölpelt wird. Calypso weilt unsichtbar in der Zyklopenhöhle und hilft den Griechen, Odysseus Liebe als versprochenen Lohn begehrend.

Porpora zeigt vor allem im dritten Akt, wenn Odysseus den Zyklopen betrunken macht, dass er bühnengerecht zu komponieren weiß, mit treffend instrumentierten Rezitativen – dafür hat der zweite Akt einige Längen. Das Libretto hat alle markanten Ereignisse, Polifemos Mord an Aci und die Flucht des Odysseus, im dritten Akt zusammengefasst. In einer Arie singt Aci mit einer Oboe um die Wette, wie Lucia die Lammermoor mit der Flöte: ein reizvolles „Arrangement“. Aber insgesamt dürfte Polifemo, etwa in melodischer Hinsicht, doch hinter den besten Opern von Händel oder Vivaldi zurückbleiben. Beispielsweise bietet Händels ebenfalls 1735 uraufgeführten „Alcina“ musikalisch ein reichhaltigeres und individuelleres „Menü“.

Als „Farinelli" stieg der argentinische Countertenor Franco Fagioli in den „Ring“ und bestand die Herausforderung glänzend. Die ganze Oper hat Porpora so angelegt, dass sie sich praktisch auf die letzte Arie des Aci zuspitzt: „Senti il fato“. Diese Arie ist mit den Anforderungen eines Marathons zu vergleichen, der die Läufer zum Zielsprint noch in eine Steigung jagt. Porpora wusste, wie man Stars in die Auslage stellt.

„Senti il fato“ kultiviert neben den unvermeidlichen Koloraturen und Trillern vor allem monströse Intervallsprünge, nach oben, nach unten, mit denen Aci sowohl seinem Aufstieg zu den Göttern, als auch dem Schicksal Polifemos Ausdruck verleiht, dem die Unterwelt droht. Fagioli, der über einen sehr großen Stimmumfang verfügt, entledigte sich dieser Herausforderung nach rund drei Stunden Aufführungsdauer (inklusive einer Pause) mit der Bravour eines Olympiasiegers. Kräftige Tiefen, atemberaubende Läufe und Sopranhöhen, die wie Leuchtfeuer in das Auditorum strahlten, sorgten für begeisternden Jubel beim Publikum.

Fagiolis Stimme ist im Vergleich zu anderen Countertenören kräftiger, das Timbre ist dunkler, markanter, reifer. Fagiolis Gesang klingt nicht ätherisch, entbehrt einer asexuell anmutenden Keuschheit: Als „engelgleich“ (wie es bei anderen Countertenören geschieht) wird man Fagiolis Stimme nicht beschreiben können, aber sie glüht voll Leidenschaft, wie ein Dampfkessel, der unter Druck steht.

Mit Xavier Sabata stand ein passender „Counter-Kontrast“ als Ulisse auf dem Podium. Sein Countertenor bestach in den lyrischen Teilen, poetisch, aber kräftig genug und nicht ohne Süße. (Er erschien wieder mit außen weißbestreifter schwarzer Hose, das scheint ein Markenzeichen von ihm zu sein.) Laura Aikin sang eine bemerkenswerte Galatea. Die Sängerin (derzeit eine gefragte Interpretin der Titelpartie von Bergs „Lulu“) hat sich trotz ihres breiten Repertoires die Fähigkeit für delikaten Barockgesang bewahrt.

Als Polifemo brachte Christian Senn seinen in der Tiefe gut abfedernden Bariton ins Spiel mit ein. Er und Sabata gestalteten die Trinkszene im dritten Akt ein wenig aus, Sabata brachte eine Weinflasche mit auf die Bühne, man trank, Senn wankte dann zur Seite und machte es sich rechts beim Aufgang auf die Bühne bequem, von Porporas Musik in den Schlaf begleitet.

Die junge Sopranistin Hannah Herfurtner nützte als Nerea bei ihrem Debüt im Theater an der Wien ihre kurzen Auftritte und präsentierte einen ausgewogene, schön timbrierte lyrische Stimme. Mary-Ellen Nesi rundete mit ihrem Mezzo als Calypso den Abend ab. Rubén Dubrovsky am Pult des Bach Consort Wien sprach einleitend einige launige Worte über die Handlung und war dem Abend ein sicherer Steuermann.

Das Theater an der Wien war gut gefüllt. Auf den Rängen gab es wie meist bei den konzertanten Opernaufführungen noch einiges an freien Plätzen. Das Publikum dankte den Ausführenden mit einem starken Schlussapplaus.