CARLO IL CALVO

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Theater an der Wien
20. September 2020
Konzertante Aufführung

Dirigent: George Petrou

Armonia Atenea

Adalgiso - Franco Fagioli
Lottario - Max Emanuel Cencic
Gildippe - Julia Lezhneva
Asprando - Petr Nekoranec
Giuditta - Suzanne Jerosme
Berardo - Bruno de Sá
Eduige - Nian Wang


Feuerwerk an Virtuosität

(Dominik Troger)

Wie macht man eine Barockoper pandämiekompatibel? Man lässt die Rezitative weg und fokussiert auf die Arien. Nicola Antonio Porporas „Carlo il Calvo“ gedieh im Theater an der Wien zu einem pausenlosen Feuerwerk an sängerischer Virtuosität.

1738 wurde „Carlo il Calvo“ von Nicola Porpora in Rom uraufgeführt. Für die Wiederentdeckung sorgten Max Emanuel Cencic und Mitstreiter beim Anfang September neu aus der Taufe gehobenen Festival Bayreuth Barock, bei dem das Werk im dortigen Markgräflichen Opernhaus szenisch über die Bühne ging. Die Corona-Covid-19-Pandämie drohte dem Festival zwar einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen, aber es gab einen erfolgreichen Einstand und es erntete hervorragende Kritiken.

Im Theater an der Wien sollte eine konzertante Fassung zur Aufführung gelangen, wegen der strikten Pandämievorgaben musste allerdings improvisiert und eine pausenlose Lösung gefunden werden. (Die szenische Aufführung hat laut Berichten inklusive zweier Pausen rund fünf Stunden gedauert.) Für Wien wurden die Rezitative und einige Arien gestrichen bzw. gekürzt. Der verbliebene Rest sorgte für rund zwei Stunden und zwanzig Minuten langen, hochdosierten Barockgesang: Bravourarie folgte auf Bravourarie, geboten von einer erlesenen, hochkarätigen Künstlerschar.

Die Oper hat natürlich eine Handlung, es geht um die Familienstreitereien nach dem Tode Kaiser Ludwig des Frommen. Das Programmheft bietet eine detaillierte Inhaltsangabe mit Verweis auf die Arien, damit sie in den Kontext der Handlung eingeordnet werden können. Aber für diese Aufführung spielte das eigentlich keine Rolle, auch wenn dieser Ansammlung von Arien das durch die Rezitative errichtete dramaturgische Gerüst fehlte. Insofern wurde nicht die Oper aufgeführt, sondern ein „Best of“ – aber was für eins!

Die Besetzung war durchwegs sehr gut bis vorzüglichst und sorgte für eine gesangliche Hochseilakrobatik, wie sie einem in solcher Dichte selten vorgeführt wird. Max Emanual Cencic hat um sich eine erlesene Sängerriege geschart – und sich selbst mit dem intriganten Lottario in die Produktion eingebracht. Er sowie Judith Lezhneva (Gildippe) und Franco Fagioli (Adalgiso) sind ob ihrer Meisterschaft barocken Ziergesanges ohnehin bereits seit Jahren eine fixe Größe. Mit Bruno de Sá (Berardo) gesellte sich ein Shooting Star der Barockopernszene hinzu: ein Sänger mit der Stimme und klaren Höhe eines Koloratursoprans. Suzanne Jerosme (Giuditta) hinterließ mit einem angenehm timbrierten, wendigen Sopran und starker Bühnenpräsenz ebenfalls einen sehr guten Eindruck. Stimmlich ebenfalls top, in der Bühnenpräsenz noch zu zurückhaltend Nian Wang (Eduige). Der vielversprechende Tenor Petr Nekoranec (Asprando) durfte nur für eine Arie und den Schlusschor auf die Bühne. (Laut Programmheft hätte er noch einmal im dritten Akt zum Zug kommen sollen, möglicherweise wurde diese Arie aus Zeitgründen gestrichen.)

Die „sportlichste“ Leistung wurde Franco Fagioli abverlangt, der vier Arien plus ein Duett beizutragen hatte. Fagioli begeisterte neben all seiner technischen Brillanz auch mit seinem Durchhaltevermögen. Er wurde an dieser Stelle schon oft gerühmt, dieses unverwechselbare Timbre, der enorme Tonumfang, die stimmliche Flexibilität, der unglaublich lange Atem – und ins Duett mit Judith Lezhneva im dritten Akt fügte er sich gefühlvoll ein. Judith Lezhneva hat technisch anspruchsvollste Gustostückerln wieder mit virtuoser Leichtigkeit serviert, in der Arie von der traurigen Turteltaube („Se nell‘ amico nido“) und im bereits erwähnten Duett umschwebte ihren Sopran jene feine Melancholie, die auch die Seele wärmt. Max Emanuel Cencic sucht sich in der letzten Zeit schon etwas „gesetztere“ Charaktere aus, die er dann in die bronzenen Farben seiner leicht nachgereiften Stimme kleidet. Er war an diesem Abend ausgezeichnet disponiert.

Die Armonia Atenea unter George Petrou spielte wie immer mit Verve, ohne dabei allzu luxuriös in Klangfarben zu schwelgen. Fazit: Trotz pandämischer Vorsicht gab es rund sechs Minuten Schlussapplaus und viele Bravorufe für eine großartige Aufführung.