ARIANNA IN NASSO

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Kammeroper
27. September 2017
Premiere

Dirigent: Markellos Chryssicos

Inszenierung: Sergej Morozov
Bühne: Ksenia Peretruhina
Kostüme: Lyosha Lobanov
Licht: Franz Tscheck

Bach Consort Wien

Arianna - Anna Gillingham
Teseo - Ray Chenez
Antiope - Carolina Lippo
Onaro - Anna Marshania
Piritoo - Matteo Loi



Ariadne strandet in der Kammeroper

(Dominik Troger)

Die Ariadne-Theseus-Geschichte hat viele Opernkomponisten fasziniert. Nicola Antonio Porpora war einer davon. Seine „Arianna in Nasso“ wurde 1733 uraufgeführt. Porpora weilte damals in London und war der große Herausforderer Händels in Sachen italienischer Oper.

Für Georg Friedrich Händel zu votieren ist heutzutage kein Risiko. Auch die Qualität seltener gespielter Händel-Opern wurde vom Markt in den letzten Jahrzehnten quasi „überprüft“. Bei Porporas Opernschaffen kommt dieser Prozess erst langsam in Gang. Im Theater an der Wien sind in den letzten Jahren zwei Bühnenwerke des Komponisten konzertant aufgeführt worden: 2013 „Polifemo“ und erst vor wenigen Monaten „Germanico in Germania“. Und mit „Arianna in Nasso“ ist das Theater in der Wien in der ihm angegliederten Kammeroper jetzt sogar das Risiko einer szenischen Produktion eingegangen.

Für diese Produktion wurde das dreiaktige Werk in zwei Teile zusammengefasst und gekürzt. Der Abend erstreckte sich inklusive einer Pause über rund zweieinhalb Stunden. Der erste Teil erzählte vom Sieg des Teseo über den Minotaurus, von seiner Liebe zu Ariadne, der Eifersucht der Antiope und der Freundschaft zu Piritoo. Der zweite Teil schilderte, wie Teseo zur Abreise ohne Arianna gedrängt wird, und wie sich die zurückgelassene Arianna in Onaro (Baccus) verliebt. Porpora hat sich stark auf die Gefühlswelten der vier Protagonisten konzentriert: Teseo, Arianna, Antiope und Piritoo stehen in wechselnden Beziehungen zu einander, schwanken zwischen Liebe, Eifersucht, Bewunderung, Freundschaft, Zorn, Hass, Verzweiflung. Arianna bekommt schlussendlich aber einen ganz anderen: nämlich Onaro (Bacchus).

Diese emotional aufgeladene Figurenkonstellation mag den Regisseur Serge Morozov dazu verlockt haben, Teseo, Arianna, Antiope und Piritoo als Mitglieder einer Clique von Jugendlichen zu zeigen, die ihre pubertäre Gefühlslage in Gewaltritualen und im zwanghaften Spiel mit Geschlechteridentitäten ausleben. Onaro hingegen erinnerte ein wenig an die „philosophische Rolle“ eines Don Alfonso, der sich in diesem Fall schlussendlich die Rosine selbst herauspickt.

Im Programmheft zur Aufführung liefert der Regisseur noch weitere, recht ausufernde Begründungen für sein Konzept, die bis zur Digitalisierung reichen, einem heute schon geradezu inflationär gebrauchten Schlagwort. Zitat: „Während der ganzen Oper strebt Teseo am meisten in die vollständige Digitalisierung, er verliert die Kontrolle über seinen Körper, er verliert sich selbst.“ Auf der Bühne, die den kleinen Orchestergraben mit einem Laufsteg „umrahmte“ und im Hintergrund Teseos und Ariannas kleine Wohnküche auf Naxos zeigte, war von der „Digitalisierung“ allerdings nichts zu bemerken. Die Sängerinnen und Sänger waren hingegen randvoll mit jugendlicher Rauflust gefüllt, balgten sich, bedrohten sich mit Waffen, und hatten Sex miteinander (Frau und Mann und Mann und Mann).

Im zweiten Teil wurde dieser offensiv geführte und szenisch rasch ermüdende Geschlechterkampf zum Kampf mit der persönlichen Geschlechtsidentität ausgeweitet – vor allem bei den männlichen Protagonisten. Piritoo hüpfte sogar mit weißer Häschenmaske wie ein „Play-Boy-Girl“ umher, und Teseo, in Stöckelschuhe gesteckt, zeigte seine nackten feschen Beine. Aber die Sache ging für den Minotaurusbezwinger böse aus: Er beging vor lauter Genderverwirrung Selbstmord – rote Farbe bespritzte blutrünstig die weiße Wand der Wohnküche.

Dass dergleichen nicht unbedingt dazu beiträgt, mit szenischer Klarheit eine Oper aus dem Jahre 1733 zu erhellen, liegt nahe. Schon am Beginn war ein Schwall Theaternebel in den Zuschauerraum geblasen worden, und Onaro hatte das Publikum in einer kurzen Ansprache darüber aufgeklärt, dass sich die Jugend – sinngemäß – eben ausleben müsse. Man hörte Streit aus dem Foyer und Poltern, und dann kam jemand mit einem handlichen, knochenweißen Plastikminotaurusschädel auf die Bühne gelaufen. Das Foyer war in die Produktion einbezogen worden: blaue und rote Lampen, ein alter, flimmernder Röhrenmonitor u. a. m. dienten der Einstimmung und dem „Pausenvergnügen“. Eine Barockoper als Kunstinstallation!? Immerhin hat Onaro an die in der ersten Reihe sitzenden Besucher Visitenkarten verteilt: „ONARO il Nume Libero“. Möge der Gott die Gebete und Wünsche der Besucher erhören.

Der erste Teil zog sich lange dahin, bis seine zentrale, etwas magere Botschaft endlich das Publikum erreicht hatte: „Vertraue keinem, der schon die Treue gebrochen hat.“ Schließlich ist Teseo Antiope untreu geworden, in dem er sich Arianna zugewandt hat. Was soll also Arianna noch von Teseo an liebender Treue erwarten dürfen? Der zweite Teil war sowohl von der Handlung als auch von der Musik „zwingender“. Die Inszenierung ließ einen allerdings ratlos zurück.

Musikalisch waren natürlich Kompromisse zu erwarten gewesen. Das junge Ensemble des Theaters an der Wien in der Kammeroper, das sich im Rahmen einer Saison ganz verschiedenen Opernepochen und -stilen anzupassen hat, wird nicht nur aus Barockspezialisten bestehen. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass die spezielle Premierensituation vor der Pause den Abend auch musikalisch etwas „ausgebremst“ hat. Die Funken der neapolitanischen Oper – auch seitens Orchester – sprühten nicht so stark wie erhofft.

Mit Ray Chenez als Teseo hatte man einen versierten, jungen Countertenor ans Haus geholt, der vor allem nach der Pause mit Virtuosität für Porpora einstand. Der Sopran von Anna Gillingham klang im ersten Teil noch etwas unelastisch und angespannt, gewann die Herzen des Publikums im zweiten Teil als klagende Arianna. Carolina Lippo erfreute mit ihrem südliche Wärme ausstrahlenden Sopran, der seine Stärken mehr in der Mittellage fand, als in der etwas zu nachdrücklich erreichten Höhe. Matteo Loi sang den Piritoo mit einem angenehm timbrierten, italienischen Bariton. Anna Marshania ließ als Onario einen runden Mezzo hören, den sie mit leicht ironisch eingefärbter Autorität als Priester Onaro bzw. als „Gott der Freiheit“ ins Feld zu führen vermochten.

Auch wenn am Schluss nur wenige laute Buhrufer das Regieteam abstraften, die Premierenjubler, die die Sänger zuvor noch lautstark beklatscht hatten, ließen das fast widerspruchslos durchgehen.