HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
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Volksoper
25. Oktober 2016

Musikalische Leitung: Gerrit Prießnitz

Hoffmann - Mirko Roschkowski
Muse/Nikolaus - Elvira Soukop
Olympia - Beate Ritter
Antonia - Cigdem Soyarslan
Giulietta - Ursula Pfitzner
Stella - Renate Pitscheider
Lindorf, Coppelius, Mirakel, Dapertutto - Jochen Kupfer
Andres / Spalanzani - Karl-Michael Ebner
Cochenille, Franz, Pitichinaccio - Alexander Pinderak
Nathanael - David Sitka
Luther / Crespel - Andreas Mitschke
Hermann - Ben Connor
Wolfram / Schlemihl - Alexandre Beuchat
Wilhelm - Maximilian Klakow
Luther - Janusz Monarcha
Stimme der Mutter Antonias - Martina Mikelic
Frau Luther - Josephine Niesen


„Bunter Bildereigen“
(Dominik Troger)

Die lange Aufführungsgeschichte von „Hoffmanns Erzählungen“ an der Volksoper ist um eine Inszenierung reicher. Die Neuproduktion wurde in Kooperation mit dem Theater Bonn erstellt und hatte am 15. Oktober Premiere. Nachfolgende Zeilen beziehen sich auf die vierte Aufführung, in der in einigen Partien schon die Zweitbesetzung angetreten ist.

2007 hat die Volksoper mit „Hoffmanns Erzählungen“ Schiffbruch erlitten. In der von Peer Boysen verantworteten Inszenierung wurde die Oper bis 2009 nur 19-mal gezeigt. Die Hauptattraktionen dieser Produktion waren ein Stahlrohrbett und ein wie wahnsinnig ins Publikum starrender Hoffmann. Diesmal hat sich die Volksoper auf das bewährte Produktionsteam Renaud Dudet und André Barbe verlassen – und es fällt nicht schwer, dieser Neuinszenierung eine längere Lebensdauer im Repertoire zu prophezeien.

Dudet und Barbé haben vor zehn Jahren an der Volksoper mit ihrer „Turandot” im Insektenreich einen großen Erfolg gefeiert, der Versuch, „Rusalka“ (2010) mit einem Plädoyer für den Umweltschutz zu verknüpfen, ist weniger gut gelungen. Mit diesem „Hoffmann“ ist ihnen aber wieder eine teils pfiffige, teils makabre, teils varieteartig-operettige, jedenfalls eine – wie mit scheint – publikumsaffine Arbeit gelungen.

Die Grundidee der Regie ist gar nicht so abwegig: Der Teufel möchte – warum auch immer – verhindern, dass Offenbach seine Oper vollendet. Er unterbricht nach den ersten Takten die Ouvertüre und erklärt seine Absicht dem Publikum. Dann mischt er sich als Lindorf, Coppelius undsoweiter in die Handlung. Nachdem Offenbach über der Komposition der Oper verstorben ist und mit der Aufführungsgeschichte des Werkes im 19. Jahrhundert Theaterbrände verbunden sind, kann dem Schicksal in dieser Hinsicht schon mal „diabolische Bösartigkeit“ unterstellt werden.

Der erste Akt entwickelte sich konsequenter Weise vor den Ruinen eines Opernhauses, ehe in die morbid ausgestattete „Höllenbar“ gewechselt wurde. Die Muse, aber auch der Komponist selbst, tauchten in den Trümmern auf, in bronzene Gewänder gekleidet und ebenso geschminkt. Es könnte sich um aus dem Schutt des Theaters geborgene Statuen handeln, die sich belebt haben. (Vor dem Hintergrund des Wiener Ringtheaterbrandes wirkt diese Idee allerdings etwas makaber.) Die Muse als Vertreterin „übernatürlicher Mächte“ wurde ihre Schminke den ganzen Abend nicht mehr los, ebenso Offenbach, der mal da mal dort seine Partitur vorzeigte.

Im ersten Akt wurde eifrig gebechert – Hoffmann zückte den Flachmann oder labte sich aus einem nach einem Totenkopf geformten Krug. Solche Todesmotive tauchten immer wieder auf, später etwa wird Antonia unter ihrem Kleid ein Trikot tragen, das skelettartig ihre Rippen zeigt. Die Szene in der Höllenbar wirkte noch wenig inspiriert. Hoffmann sang seinen „Klein-Zack“ und ansonsten wartete alles auf Olympia.

Ab dem zweiten Akt verdichtete sich die Szene. Das Publikum begegnete einem phantasievollen und anzüglichen „Reigen“ rund um den Musikautomaten Olympia: Kostüme, die an skurrile comicartige Roboter im Stil der 1950-er Jahre erinnerten, und links ein riesiger Apparat als Olympias „Garage“, einem alten, vortransistorgefertigten Radio ähnlich, belebten die Szene. Allein das „Wägelchen“, in dem Coppelius sein „Augen“ spazierenführte, bei dem die Augengläser auf scheinbar lebenden Köpfen saßen, war eine ganz albtraumhafte, seltsame Konstruktion. Olympia gebärdete sich dann sehr frech und gar nicht mehr jugendfrei und im „Duett“ mit der Muse schon ein wenig softpornographisch.

Der Antonia-Akt spielte in einem zum Teil von Eis und Schnee gefüllten Zimmer. Weiße Farbe bestimmte diesen Akt – auch das Klavier war weiß und Antonias Kleid. Am Beginn warf Antonia kurz das Grammphon an, um die Stimme der Mutter zu hören. Antonia gab sich unschuldig und naiv, litt offenbar unter der Gefühlskälte ihrer Umgebung. Die Mutter trat hinter einer Art von Eispanzer hervor. Die wilden Dirigenten, die sie dirigierend mit leuchtenden Taktstöcken zu Tode „hetzten“, machten einen guten Effekt. (Man kann das alles ein wenig „oberflächlich“ finden, aber lieber eine phantasievolle Traumwelt, als ein rostiges Gerüst als „Zaubergarten“ wie in der jüngsten Staatsopernpremiere.)

Im Gulietta-Akt schwebten von Nixen besetzte Gondelkiele schnürbodenverankert über die Bühne, ehe eine verlotterte Varietégesellschaft auftrat, erotischfreizügig kostümiert. Ein großer Spiegel, in dem sich ein Diamant passend zur Arie zeigte, rundete die Szene. Im letzten Akt wurde in die Höllenbar zurückgekehrt und Hoffmanns Schicksal erfüllte sich. Die Personen- und Chorführung war schlüssig – und nur Hoffmann selbst nicht kostümiert. Er trug den ganzen Abend über eine Anzughose und ein weißes Hemd. So wurde auf einfache Weise deutlich gemacht, dass er als Erzähler der Handlung ebenso „existiert“ wie als die handelnde Figur seiner Abenteuer.

Gespielt wurde laut Programmheft eine Mischung aus Kaye/Keck ohne Septett: Es gibt im Programmheft einen Artikel zum Giulietta-Akt, den man als Einstieg in das Hoffmann’sche Fassungschaos verwenden kann, wenn man denn möchte. Auch wenn die Volksoper gerne in deutscher Sprache singen lässt, an diesem Abend wurden einige ausgewählte Stücke, wie Olympias Arie, in französischer Originalsprache gegeben – ein guter Kompromiss.

Die Zeiten, als es einen Alfredo Kraus als Hoffmann an die Volksoper verschlagen hat, sind schon lange vorbei. Erfolgreiche Volksopernproduktionen müssen auf das Ensemble zählen und auf keine „Stars“. Es gilt, den punktuell weniger optimalen Eindruck manch durchwachsenerer Stimme szenisch und seitens des Orchesters so abzufedern, dass das Publikum mit positiven Gefühlen nach Hause geht. Bei diesem „Hoffmann“ ist das gut gelungen. Das Orchester unter Gerrit Prießnitz verströmte keine schwelgerische Romantik, sondern spritzigen, mehr trockenen Champagner, wodurch die schon in der Inszenierung angelegte Nähe zur Operette im Orchestergraben mit einigem Feingefühl fortgeführt wurde. Der Chor war überzeugend bei der Sache..

Mirko Roschkowski steuerte seinen eher hellen Tenor mit viel Durchhaltevermögen durch den Abend. Die satteren, leidenschaftlicheren Farben, die großen Gefühle, das tenorale Spektakel, wenn man es so ausdrücken möchte, fehlte. Roschkowski war mehr der Arbeiter im Dienste Offenbachs, der dabei aber ein wirklich respektables Werkstück zu Wege brachte – und das mit einer überraschend (bis auf ein paar Fortetöne) ungestresst klingenden Stimme. Im Spiel wirkte er sympathisch, von der Regie (bis auf die Höllenbar) nicht zu sehr in das Säufereck gedrängt und mehr als Student mit markanter Brille positioniert.

Die formidable Beate Ritter musste als Olympia regiebedingt stimmlich schon stark outrierten, was in Anbetracht der geforderten Koloraturen und hohen Tessitura schon ein Kunststück für sich war. Sie meisterte diese Herausforderung mit erstaunenswerter Stimmbeherrschung. Sie musste außerdem ihren Puppenkörper erotisierend einsetzen, ihre falschen Brüste zeigen und Puppenbeine wie ein Nachtclubstar schwingen. Das Publikum dankte mit einem für die Volksoper unüblich langen Szenenapplaus.

Als böser Gegenspieler war nicht die Premierenbesetzung Josef Wagner, sondern Jochen Kupfer angetreten. Stimmlich mehr Charakter als teuflischer Verführer war er darstellerisch präsent, gesanglich für meinen Geschmack schon zu spröde unterwegs. Elvira Soukop sang die hoffmannumsorgende Niklaus-Muse, sympathisch, stimmlich aber etwas unausgewogen. Selbiges ist auch von der Antonia der Cigdem Soyarslan zu sagen, deren Sopran in der Höhe nicht mehr das erhoffte lyrische Feingefühl aufzubringen vermochte. Ursula Pfisters gesanglich unstete Giulietta fügte sich in diesen Reigen der Zweitbesetzungen ebenso ein, wie manch anderes Organ der vielen Nebenrollen. Alexander Pindarek meisterte seine Einlage als Franz mit viel Humor und Stimmwitz, auch ihm war der Szenenapplaus sicher. Der Schlussapplaus des Publikums klang sehr positiv und klatschte die Sänger sogar noch einmal vor den Vorhang.

Fazit: Dreieinhalb Stunden inklusive zweier Pausen sorgten für eine gute Unterhaltung.

Auf dem Programmzettel findet sich übrigens folgender beruhigender Hinweis: „Für die szenische Darstellung des Rauchens werden auf der Bühne ausschließlich zulässige nikotinfreie Requisiten nach Vorgabe des Bundesministeriums für Gesundheit verwendet.“