HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
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Theater an der Wien
Premiere
4. Juli 2012

Musikalische Leitung: Riccardo Frizza

Inszenierung: Roland Geyer
Regiemitarbeit: Rainer Vierlinger
Ausstattung & Projektionen: Herbert Murauer
Licht: Norbert Chmel

Fassung für das Theater an der Wien nach der Ausgabe von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck


Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Hoffmann - Arturo Chacón-Cruz
Olympia, Antonia, Giulietta, Stella - Marlis Petersen
La Muse/Nicklausse - Roxana Constantinescu
Lindorf /Coppélius/Le docteur Miracle/
Le capitaine Dapertutto - John Relyea
Wolfram/Fotograf/Frantz/
Pitichinaccio - Erik Arman
Spalanzani - Oliver Ringelhahn
Schlémil/Hermann - Martijn Cornet
Luther/Crespel - Pavel Kudinov
La mère d'Antonia - Ann-Beth Solvang
Nathanael/Cochenille - Julien Behr
Wilhelm - Maciej Idziorek


„Les Contes d’Hoffmann“: Und der zweite Streich folgt sogleich
(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien hat man sich noch einmal „Les Contes d’Hoffmann“ vorgenommen. Nach der szenisch wenig überzeugenden und auch musikalisch enttäuschenden Produktion vom März gab es jetzt einen Neustart. Man glaubt es kaum, aber hier wurde wirklich innerhalb von vier Monaten ein und dasselbe Werk am selben Haus neuinszeniert!

In der Spielplanvorschau 2011/12 wurden die „Hoffmann“-Aufführungen im Juli noch als „2. Serie“ angekündigt. Das Produktionsteam der März-Premiere um William Friedkin sollte dafür verantwortlich zeichnen, die Besetzung war leicht variiert. Marlis Petersen war bereits für die vier wichtigen Frauengestalten gebucht. Kurt Streit sollte nach der Serie im März noch einmal als Hoffmann „antreten“, Alex Esposito wird als Bösewicht genannt. Von den angeführten Personen hat aber nur Marlis Petersen an diesem Abend wirklich die Bühne des Theaters an der Wien betreten. Für Streit war die Partie schon im März sehr herausfordernd gewesen, der junge mexikanische Tenor Arturo Chacón-Cruz sang an seiner Stelle. Als Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle, Dapertutto trat John Relyea an.

Außerdem kam es zu einer im Detail etwas schwammig kommunizierten „Meinungsverschiedenheit“ mit Regisseur Friedkin, die dazu führte, dass der Intendant des Theaters an der Wien die Sache selbst in die Hand nahm und kurzfristig eine Neuproduktion ansetzte. Herbert Murauer, der für die Friedkin-Produktion die Kostüme entworfen hatte, wurde als Ausstatter engagiert – und Roland Geyer wurde zu seinem eigenen Regisseur. Geyer hat den Hoffmann vor rund 20 Jahren schon einmal für das Studio Molière erarbeitet, er konnte also abschätzen, worauf er sich einließ.

Roland Geyer hatte es vielleicht sogar einfacher als Friedkin, weil durch die Besetzung der Olympia, Antonia, Giulietta und Stella mit Marlis Petersen sich der Inszenierungsfaden sozusagen von selbst aufdrängte – als Hoffmann’sche Variation über das Thema „Frau“. Petersen brachte zudem ihre Erfahrung als moderne Singschauspielerin mit ein: voll erotisch überhauchter Ausstrahlung. Und davon hat die Aufführung recht gut gelebt.

Das Bühnenbild war sehr einfach gehalten, ein paar Tische und Bänke für die Weinstube (plus Bierkisten-Product-Placement einer Brauerei), das „Figuren-Kabinett“ des Theaters an der Wien auf der Drehbühne für den Olympia-Akt (der Chor in Kostümen aus Produktionen der letzten Jahre), eine Künstlergarderobe für Antonia und eine lange Festtafel für Venedig. Projektionen im Hintergrund zeigten zum Beispiel den Plafond des Theaters an der Wien (III. Akt) oder ein Arcimboldo-Gemälde sowie Hoffmann und Giulietta in Großaufnahme (IV. Akt).

Im Prolog saß Hoffmann auf einem Sessel an der Rampe, die Muse erläuterte ihr Verhältnis zu ihm. Der Chor stand im Spalier dahinter. Mit dem ersten Akt öffnete sich die Bühne zur Weinstube – dem szenisch schwächsten Bild des Abends. Es dauerte eine Weile, bis die Studenten ihr dümmliches Herumtölpeln beendet hatten und Hoffmann wieder die Bühne betrat.

Der zweite Akt bei Olympia wirkte durch den oben angesprochenen Kostümreigen (der auch das Venedigbild durchmischt) recht animiert. Olympia alias Marlies Petersen entpuppte sich nicht als Automat, sondern als gestisch stereotype Model-Karikatur. Mag sein, dass man hier als Publikum die Figur quasi durch Hoffmanns Brille sehen konnte, denn am Aktschluss wurde Olympia als einfaches Stahlgestell demaskiert.

Der Abend hatte ab dem Auftritt von Petersen eine gewisse Grundspannung, die bis zum Schluss anhielt, und die über den eher blass gezeichneten Hoffmann hinweghalf. Dieser Hoffmann will sich im Finale die Kugel geben, die Pistole ist glücklicherweise nicht geladen, die Muse besänftigt ihn. Er sitzt wieder auf seinem Sessel an der Rampe, der Kreis schließt sich, und die Muse hat Hoffmann für sich gewonnen.

Im Zentrum stand, wie gesagt, Marlis Petersen – immer mit derselben Frisur und sich selbst „ähnlich“, von der Stella bis zur Olympia. Die Herausforderung, alle vier anspruchsvollen Frauenpartien zu singen, löste Petersen mittels starken schauspielerischen Akzenten, die ihr dort darüber hinweghalfen, wo es für ihre Stimme „kritisch“ hätte werden können. Das galt vor allem für die Olympia, bei der Petersen einigen Koloraturen und Spitzentöne mit einem stark ironischen Anstrich versah. Dadurch wurde das Publikum der Frage nach der gesangskünstlerischen Wertigkeit enthoben. Solche „fragwürdigen“ Momente hielten sich aber in engen Grenzen. Am besten gelang ihr für meinen Geschmack die Antonia.

Nach Petersen, die den Abend dominierte, soll vor allem Roxana Constantinescu als Muse (Nicklausse) hervorgehoben werden. Ihre Hoffmann umsorgende Präsenz war immer spürbar, als ein sympathischer Gegenpol zur oft leicht depressiv wirkenden Hauptfigur. Stimmlich zeigte sie sich gegenüber der Premiere ebenfalls verbessert. Arturo Chacón-Cruz ließ einen etwas belegten und oft leicht forciert klingenden Tenor hören, der einige Male mit guter, kräftiger Höhe auf sich aufmerksam machte. Er hatte offenbar einen etwas hilflos wirkenden Mann zu spielen, dauernd verlieb, der sich noch dazu einen Verfolgungswahn einfängt. Dieser Vorgabe kam er nach, aber irgendwie hat man immer auf Petersen geschaut.

John Relyeas Bassbariton ist schon recht grob timbriert. Insofern kam der Bösewicht gut heraus – die Spiegelarie – im Gegensatz zur März-Serie im Venedigbild platziert – zeigte aber die Grenzen seiner Stimme auf. Die Wiener Symphoniker unter Riccardo Frizza waren recht solide unterwegs und klanglich besser eingestellt als bei der Premiere der Friedkin-Produktion. Akzente wurden im Orchestergraben aber kaum gesetzt.

Das Publikum war schließlich doch recht angetan von der Aufführung – Szenenapplaus gab es nur wenig – und es zeigte sich auch dem Direktor im Regisseursgewande gegenüber von seiner freundlichen Seite.

Fazit: Die zweite Auflage des „Hoffmann“ ist besser gelungen, als die erste, bleibt aber trotzdem hinter den Möglichkeiten des Theaters an der Wien zurück. Marlis Petersen war das tragende Zentrum der Aufführung.