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Wiener Staatsoper
19.5.2001

Musikalische Leitung: Fredéric Chaslin

Olympia - Maria José Moreno
Antonia - Inva Mula
Giulietta -Enkelejda Shkosa
Niklaus -
Angelika Kirchschlager
Hoffmann - Neil Shicoff
Spalanzani - Michael Roider
Nathanael - John Nuzzo
Crespel - Alexandru Moisiuc
Andreas, Cochenille, Franz, Pitichinaccio - Herwig Pecoraro
Lindorf, Coppelius, Mirakel, Dapertutto - James Morris
Hermann - Boas Daniel
Schlemihl - Yu Chen


Die Apotheose des Neil Shicoff

(Dominik Troger)

Manchmal ist es traurig, dass wir, die Zuhörer und Zuschauer, vor Beginn der Aufführung keine von den Coppelius'schen Zauberbrillen aufsetzen können, um uns eine schöne, heile Opernwelt vorzugaukeln. Denn die Sehnsucht danach wäre schon stark und würde dem Hersteller solcher Zauberbrillen einen reißenden Absatz versprechen - aber gewiss wären solche Hilfsmittel nicht an einem Abend nötig, an dem Neil Shicoff den Hoffmann singt und spielt!

Shicoff hat die unglaubliche Gabe durch wenige Bewegungen einen Charakter an sich darstellen zu können und sein leicht beschwingter Gang, den man zuerst als Auswirkung mittelmäßigen Alkoholgenusses interpretiert - bei einem Stück, das gleich im Vorspiel in einen Weinkeller führt, keine Abwegigkeit - wird bald zum visualisierten romantischen Seelenflug Hoffmanns, diesem hilflosen Flug auf der Suche nach (un-)erfüllter Liebe, direkt in jenes, in der romantischen Lyrik so gerne apostrophierte Abendrot hinein.

Und dann ist da natürlich noch Shicoff's Stimme, die prägnant und nahezu mühelos die emotionalen Tiefen und die Höhenflüge dieser Künstlerpersönlichkeit nachzeichnet, in einer Klarheit, die einem deshalb so unter die Haut kriecht, weil sie sich von allen schmachtenden Liebeszehrung vortäuschenden schluchzendtenoralen Allüren längst frei gemacht hat. Hier ist die tenorale Bravour zu einem Mittel psychologischer Charakterisierungskunst geworden wie sie derzeit nur - und der Name darf mit Shicoff in einem Atemzug genannt werden - Placido Domingo umzusetzen vermag. Shicoffs Tenor gewinnt auch zunehmend an dieser sonoren Breite, die gerade im französischen Fach jenes süffige Unterfutter für die klangmalerisch ausgelegten Gesangsparts abgibt. Aber dass ist gewissermaßen nur ein Nebeneffekt, eine von selbst aufwuchernde Arabeske, die den Gesamteindruck verstärkt, das Gesamtkunstwerk dieser Darbietung weiter verschönernd und verzierend.

Es war ein Glück, dass Shicoff an diesem Abend auch in einem sehr gut disponierten Ensemble wirken konnte, allen voran Angelika Kirchschlager als burschikose, stimmfrische Muse/Niklaus, James Morris als böser Hoffmann-Widerpart, und jene drei Frauen, an die Hoffmann umsonst sein Liebesglück hängt: Maria Josè Moreno (Olympia), Inva Mula (Antonia) und Enklejda Shkosa (Giulietta). Maria José Moreno war für Natalie Dessay eingesprungen (die auch ihre Mitwirkung an der Figaro-Produktion im Theater an der Wien im Juni abgesagt hat). Moreno punktete mit einer makellosen Mittellage und wohlgesetzten Koloraturen, die nur in den obersten Regionen gepresst und aufgesetzt wirkten. Da mangelt es noch am organischen Übergang. Inva Mula sang sich als Antonia mit viel Emotion in den todbringenden Opernorgasmus, während die Giulietta von Enklejda Shkosa vielleicht ein wenig zu nobel und distanziert über die Rampe kam. Mit frischem Wohlklang ließ Herwig Pecoraro's Charaktertenor als Andreas/Cochenille/Franz vielversprechend aufhorchen. Fredéric Chaslin am Pult sorgte in bester Kapellmeistermanier für einen schwungvollen, inspiriert-musizierten Abend.

Unbedingt eine Würdigung müssen auch die Inszenierung sowie Bühnenbild/Kostüme von Andrei Serban beziehungsweise Richard Hudson erfahren. Es ist bisher eine der wenigen rundum geglückten Produktionen des "klassischen Repertoires" der Ära Holender (Premiere war in der Saison 1993/94). Es lebt von langen, schräg nach hinten zulaufenden Perspektiven, sehr gut illustrierbar am Klavierflügel des Antonia-Aktes, der den gesamten Bühnenraum nach hinten spitz zuläuft, Hoffmanns illusionistischte Weltwahrnehmung andeutend. Sehr reizvoll der Olympia-Akt, ein physikalisches Labor, angesiedelt zwischen Grottenbahn und Futurismus, nicht ohne Ironie und Witz, das einen sofort in eine Traumlandschaft entführt, durch die Hoffmanns Liebessehnsucht flackert, um am Automaten Olympia zu verlodern - und diese schönen roten Sofas des Venedigbildes, in gondelform gegossene Verlockungen der Lagunenstadt, bewacht von einem überdimensionalen Spiegel. Andrei Serban spricht im Programmheft von der "Offenheit eines Kindes" mit der man sich diesem Werk nähern müsse - er hat es getan und sich auf diese Traumwelt eingelassen, die Hoffmann, geleitet von seiner Muse Niklas, einsam durchpflügt. Dankbar ist man dafür, dass er das romantische Irrlichtern nicht zerstört hat, dass er es aus den Punschkesseln dampfen und wabern lässt, deren blauweissliches Leuchten magisch über die abgedunkelte Bühne flutet.

Die Vorstellung endete mit viel Applaus und Bravorufen.