CHOWANSCHTSCHINA
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Wiener Staatsoper Regie: Lev
Dodin |
Iwan
Chowanski - Ferruccio Furlanetto
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Die Wiener Staatsoper setzte bei ihrer zweiten Saisonpremiere auf Modest Mussorgskis „Chowanschtschina“ – ein sperriger Ausflug ins alte Russland am Ende des 17. Jahrhunderts, der den Kampf um die Zarenmacht mit einer wenig anheimelnden Liebesgeschichte verquickt. An der Staatsoper war diese Werk bisher in drei Produktionen zu erleben: zwei Gastspiele (1964 Nationaltheater Belgrad, 1975 bzw.1979 jeweils Nationaloper Sofia) sowie die denkwürdige Premiere unter der Stabführung von Claudio Abbado (1989) mit Nicolai Ghiaurov, Wladimir Atlantow, Juri Marusin, Anatolij Kotscherga, Paata Burchuladze und Ludmilla Schemtschuk in den Titelpartien. Für die Inszenierung hat damals Alfred Kirchner in den Bühnenbildern von Erich Wonder gesorgt. Diese Inszenierung erlebte 22 Aufführungen, dann verschwand das aufwendig zu realisierende Werk wieder vom Spielplan. Mussorgski hat an „Chowanschtschina“ viele Jahre lang gearbeitet und die Oper nie fertig gestellt. Das Werk wird heutzutage meist in der Fassung von Dmitri Schostakowitsch aufgeführt – so auch diese Neuproduktion. 1989 hat die Staatsoper auf das ruhig ausklingende Finale von Igor Strawisnky zurückgegriffen. Diesmal durften sich „Zar Peters Trompeten“ mit dem ausklingenden Chor der sich die Märtyrerkrone erringenden „Altchristen“ zu einer bedrohlich-erschütternden Apokalypse mischen. Beide Varianten haben ihre Verdienste – allerdings tendiert der ruhige Schluss zu einer Verklärung, die dem Handlungsverlauf nicht wirklich entspricht. Semyon Bychkov, der Dirigent dieser Premiere, hat diesen Punkt in einem Interview angesprochen, das im Programmheft abgedruckt ist. Semyon Bychkov war auch der Garant für einen hochkarätig musizierten Abend im Zusammenspiel mit einem äußerst motivierten Orchester und ebensolchen Chor, wobei der Staatsoperchor mit den Choristinnen und Choristen der Slowakischen Philharmonischen Chor verstärkt wurde. Bychkov gelag das Kunststück, die dichte Partitur einerseits klar durchhörbar zu machen, mit etwas zurückgenommenen „luziden“ Streichern, die Klangfarben in den (Holz-)Bläsern heraushebend, ohne dass sich aber in den Massenszenen oder in den dramatischen Momenten der Eindruck eines zu „dünnen“ Klangbildes eingestellt hätte. Im Gegenteil, diese wurden packend gespielt, ohne aber statuarisch zu klotzen, sondern bei aller Wucht immer noch lebendig und mit einer elastischen Dynamik, die nur an gebotenen Stellen im Fortissimo so richtig ausholte. Dabei blieb das ausbalancierte Klangbild stets gewahrt und es verband sich – was selten genug gelingt – akustische Ausgewogenheit mit einer spannenden von Bychkov mit viel Detailliebe und Gefühl für den Fluss der Musik ausgestatteten Wiedergabe. Auf diese Weise trug einen die Musik durch diesen historischen Bilderreigen, den sie je nach Szene in elegische, in düstere, in bedrohliche Farben malte. Sogar die mehr tänzerischen Einlagen mischten einen gewissen Charme mit einer etwas rohen Volkstümlichkeit und entwickelten viel Schwung – und übertünchten damit die teils läppische Regie, wie jenes peinliche „Striptease-Ballett“ der Persermädchen auf deren bemalten Busen Brust für Brust und Buchstabe für Buchstabe „Nieder mit Chowanski“ zu lesen war. Doch davon später. Die Besetzung war gediegen, auch wenn die Pausengespräche so manche Dabeigewesenen in die Verklärung vergangener Opernzeiten (siehe oben) abschweifen ließen. Ferruccio Furlanetto (Chowanski) ist an sich kein „slawischer“ Bass, aber der Sänger hat schon als Boris Godunow bewiesen, dass er diese „archaischen Charaktere“ mit Machtwillen versehen und zu einem an Charakterschattierungen reichen Bühnenleben erwecken kann. Ain Angers kräftiger, aber etwas weicherer Bass, verband den sektiererischen Fanatismus des Dossifei mit einer schwärmerischen Nuance, wie sie religiösen Fanatikern sehr gut ansteht. Leider wurde Anger von der Regie ein Hut verpasst, der mehr an die Amisch People erinnerte, als an einen ehemaligen russischen Fürsten des 17. Jahrhunderts, der sich jetzt als religiöser Welterneuerer fühlt. Das passte nicht zusammen. Andrzej Dobber sorgte als Schaklowity nach meinem Geschmack für die eindringlichsten sängerischen Momente des Abends – und er hat in der sich um Russland sorgenden Arie im dritte Akt dem kampfgestählten Herz dieses hartgesottenen Mannes ein paar ehrliche Tränen abgepresst. Herbert Lipperts etwas trockener Tenor war beim Golizyn bis auf ein paar Höhen gut aufgehoben. Die Auseinandersetzung zwischen ihm, Dossifei und Chowanski hatte viel Energie und wurde von allen drei Beteiligten packend „serviert“ – agieren mussten sie allerdings in drei Etagen jeweils einer über dem anderen aufgestellt, was einen seltsamen Eindruck machte. Als Marfa hätte ich mir eine etwas dunklere, ausladendere Stimme gewünscht. Elena Maximova hat mit ihrem heller kolorierten Timbre mehr die Jugendlichkeit und das „Sexappeal“ dieser Frau herausgehoben als slawische Liebesschwermut. Das passte aber zum Konzept der Inszenierung. Bei Christopher Ventris als Andrei Chowansky wäre etwas mehr „tenoralen Stahl“ eventuell passender gewesen, um den brutalen Liebhaber noch deutlicher herauszustreichen. Norbert Ernst zeichnete sich als Schreiber aus, Caroline Wenborns Emma klang etwas forciert. Lydia Rathkolb nutzte ihren kurzen Auftritt als Susanna für ein intensives Porträt überspannter Religiosität. Und die vielen kleineren Partien waren meist zufriedenstellend besetzt. Was einem diesen Abend durchaus verleiden konnte, das war das Bühnenbild: Baustelle Russland, vier Stunden lang, eine in die vertikale gebaute Szene, ein Gerüst, das vor allem das Heben und Senken von Plattformen bestimmt hat. In der Staatsopern-Matinee zu dieser Premiere vor einer Woche wurde Regisseur Lev Dodin um ein paar Anmerkungen zur Inszenierung gebeten. Er antwortete sinngemäß, dass er nichts verraten wolle, weil sonst das Publikum nicht mehr in die Vorstellung käme. Das war eine schwache Antwort – aber der Eindruck, den die Inszenierung bei der Premiere hinterlassen hat, war nicht viel stärker. Vielleicht wollte er mit diesem Gerüst und einem oratorienhaften „Spiel auf Plattformen“ eine Metapher für den Mechanismus der Macht finden, für das Auf und Ab des Intrigenspiels, für wechselnde Konstellationen der politischen Einflussnahme, und für die Unfähigkeit der Mächtigen, mit dem Aufbau dieses Landes jemals fertig zu werden. Aber durch den limitierten Spielraum, den ein Gerüst bietet, wurde der Chor gleich blockweise in den jeweiligen „Aufzug“ verfrachtet, und die Protagonisten stützten sich zu oft auf die Geländer der Plattformen und absolvierten das Rampensingen zu ebener Erde und im obersten Stock. Daraus folgte, dass die handlungsgetriebene Interaktion stark eingeschränkt wurde – und dass es kaum möglich war, anhand der Szene den Gang der Handlung nachzuverfolgen. Außerdem boten die hauptsächlich in dunklen Farben gehaltenen, oft kuttenartigen Kostüme dem Publikum kaum Unterscheidungsmöglichkeiten. Die Auf- und Abtritte erfolgten über diese Plattformen, die in die Eingeweide der Staatsoper abtauchten, wieder daraus emporstiegen – was mit der Zeit nicht nur monoton, sondern auch lächerlich wirken konnte, wenn zum Beispiel Sänger mit den Beinen im Bühnenboden aus diesem nur bis zum Bauch emporragten und körperlich seltsam halbiert ihre Noten ablieferten. Manche Szenen wurden allerdings richtiggehend „in den Sand gesetzt“, etwa der Mord an Chowanski, der vor dem Attentat mal in den Keller fährt und dann erst als Toter wieder das Licht der Bühne erblickt, während im Vordergrund, nahe am Soffleurkasten, Schaklowity hämisch aus der Versenkung auftaucht wie ein verkehrt gepoltes Rumpelstilzchen. Die Sektenmitglieder mussten sich vor ihrem Feuertod noch bis auf die Unterwäsche ausziehen, Dossifei plus Chor standen minutenlang in weißem Unterhemd und Unterhose bzw. Unterrock auf der Hebeplattform. Das war – wie das schon erwähnte „Ballett“ – eine ziemlich läppische Angelegenheit und die damit möglicherweise verbundene plakative Religionskritik wurde dem Ernst der Szene nicht gerecht. Seltsam auch die zwei langen Umbaupausen – oder dauerte es so lange, bis man den Chor auf die Plattform gepfercht hatte? Dodin wartete beim Schlussvorhang minutenlang, ehe er sich auf der Bühne zeigte. Er kam erst, als der Zuschauerraum schon erhellt war und sich deutlich geleert hatte. Er kam alleine, marschierte ganz nach links, drehte dann um, und verließ die Bühne rasch, von vielen Buhrufen begleitet, die auf ihn niederprasselten (ein paar Bravos gab es auch). Bis auf die Regie war das Publikum (abzüglich der Besucher, die das Haus früher verlassen hatten) mit dem Gebotenen sehr zufrieden, spendete um die 17 Minuten lang Applaus, und ganz besonders kräftig wurden der Dirigent, Orchester und Chor bejubelt. PS: Ein paar Rätsel gab die mitlaufende deutsche Übersetzung auf. So singen zum Beispiel die Mädchen im vierten Akt von einem „Schwan“ (!) und von keinem „Adler“ wie ihn die Displays anzeigten. Und das macht in Bezug auf die Charakterisierung von Chowanski doch einigen Unterschied. |