DIE ZAUBERFLÖTE
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Theater an der Wien
10.8.2008
Premiere

Dirigent: Jean-Christophe Spinosi

Wiener Symphoniker
Arnold Schönberg Chor

Koproduktion mit der Sächsischen Staatsoper Dresden, Opéra National du Rhin und den Schwetzinger Festspielen

Sarastro - Georg Zeppenfeld
Tamino - Shawn Mathey
Die Königin der Nacht - Sen Guo
Pamina, ihre Tochter - Diana Damrau
Erste, zweite dritte Dame der Königin - Malin Byström, Hermine Haselböck, Julia Oesch
Papageno - Jonathan Lemalu
Papagena - Gabriela Bone
Monostatos - Karl-Michael Ebner
1. Geharnischter - Oliver Ringelhahn

2. Geharnischter - Michael Dries
1. Priester - Michael Dries
2. Priester -Oliver Ringelhahn
3 Knaben - St. Florianer Sängerknaben


Durchaus erfrischend
(Dominik Troger)

Achim Freyers Zauberflöten-Inszenierung von Schwetzingen 2002 hat es über Zwischenstopps (Strasbourg und Dresden) jetzt ans Theater an der Wien geschafft. Es handelt sich um eine durchaus erfrischende Produktion, der aber am Schluss „die Luft ausgeht“.

Achim Freyer näherte sich dem Welterbe des Wiener Vorstadttheaters mit bunten, kindlichen Zirkusphantasien, die er in einem „ideologischen“ Krisengebiet aufwachsen lässt (die Königin der Nacht versus Sarastro, der mit imperialistischem Großwildjägergehabe seinen Sonnenstaat regiert). Unberührt von der Gefahr, in der sie schweben, leben Tamino und Pamina, Papageno und Papagena ihre Träume und Ängste – bis ihnen am Schluss alle von „Übereltern“ vorgegebenen Orientierungspunkte gänzlich abhanden kommen: Ein Krieg zerstört offenbar Sarastros Tempel und die Königin der Nacht samt ihrem Gefolge. Ob den Kindern die eben erst durch Prüfungen gewonnene Adoleszenz genug Halt geben wird, um in der neuen Situation bestehen zu können, bleibt ungewiss. Die leere Bühne, ein während der Ankündigung des Sonnenlichtes demontierter (und somit als Heuchler entlarvter!) Sarastro und das Wrack eines Spielzeugflugzeugs passen jedenfalls wenig zu Mozarts apotheosehaftem Schluss – ist dessen Botschaft bereit so verdächtig geworden?

Es ist schon wichtig, dass nicht unter den Tisch zu kehren und es nicht nur bei der Aufzählung von Freyers Farbenpracht zu belassen und seinen ironisierenden Zugriff zu loben, mit dem er Sarastro und seinen Priestern den Männlichkeitswahn deutlich austreibt. Es fällt zudem auf, dass Freyer die „Natur“ zum positiven Zentrum macht und nicht die „Weisheit“. Weisheit ist eine ideologische Kategorie weil sie „philosophisch“ ist, könnte man sagen, und somit korrumpierbar – und ihr stellt Freyer den „freien“ Liebesdiskurs der genannten vier „Kinder“ gegenüber, die nach ihrer „Natur“ glücklich werden – oder auch nicht? Auf dem Theater wirkt dieser Schluss allerdings seltsam leer und unausgewogen, die festliche Musik verhallt über den angedeuteten Tempelruinen, ein Geisterchor tönt aus dem Bühnendunkel, das Loblied des Volkes wird szenisch entlarvt: Der Abend fällt in Runzeln zusammen wie ein bunter Ballon, dem die Luft ausgeht.

Das ist schade, weil Freyer über weite Strecken seine ganze Theaterpraxis und sein künstlerisches Können auspackt, um die „Zauberflöte“ in einem tieferem Sinn „erlebbar“ zu machen. Er scheint sich ihr mit fast naivem Augenzwinkern angefreundet zu haben und in keinem Moment spürt man den Ballast von über 200 Jahren Interpretationsgeschichte – beispielgebend sei dafür das Spiel mit der Doppelbedeutung von „Schloss“, wenn die drei Damen dem armen Papageno ein kleines goldenes Gebäude (=Schloss) kronenähnlich über den Kopf stülpen und ihm damit seinen „Schnabel“ sperren. So lebt sich die Komödie mit unbeschwertem, clowneskem Witz und Charakter aus: die Commedia dell’arte lässt grüßen. Und wer sich ihren Mantel umlegt, hat schon einmal der „Verfremdung“ Genüge getan. Ob aufblasbare Plastikvögel und Schwimmreifenschlangen oder ein pantomimisches Flötengeblase, alles scheint klar und logisch. Ein bayrisch sprechender Tempelpriester ist dann noch eine pointierte Zugabe, denn die Verfremdung funktioniert genauso gut im Kleinen – und weniger ist meistens mehr.

Ab der Wasser- und der Feuerprobe versagte Freyer allerdings seine Imaginationskraft. Entlang der albernen Sarastrojünger, die wie Voyeure durch Türritzen spähen, um Tamino und Pamina bei den Proben zu beobachten, entgleitet ihm der bis dahin bestens abgespulte Handlungsfaden. Denn der Verdacht, der heute angeblich die Huldigung von Schönheit und Weisheit am Schluss der „Zauberflöte“ nährt, muss natürlich auch die Symbolkraft von Wasser und Feuer treffen als alchemisch-freimaurerischem Brimborium. Aber ist die Utopie der „Liebe“, die Freyer statt dessen aus dem Hut zaubert, nicht genauso fragwürdig in ihrer emotionalen Unbeständigkeit?

Freyer hat einen Bühnenraum geschaffen, der mit drei überlebensgroßen Türen (überschrieben: Weisheit, Natur, Vernunft – Natur in der Mitte!) die kindliche Perspektive der vier genannten Protagonisten betont. Tamino kann die Türklinke nicht erreichen, erst nach bestandener Prüfung öffnet sich für ihn Welt. Doch trotz beengtem Raum entsteht nie das Gefühl bühnenbaugemäßer Unzulänglichkeit: alles ist zu einem stimmigen Ambiente vereint. Und dann gibt es noch allerhand an regiegemäßer Selbstironie, die das Bühnengeschehen zusätzlich auflockert. Schon bei der Ouvertüre befinden sich die drei Knaben auf der Bühne, winken ins Publikum und spielen mit einem Stoffwürfel. Hätte sich der Schluss zur Parabel gerundet über die großen Vier: Weisheit, Vernunft, Natur und Liebe wären die drei Knaben im Finale noch einmal winkend an die Rampe getreten? Wer weiß ...

Überhaupt ist es der Vorzug dieser Produktion, den handelnden Personen auf das „Maul zu schauen“. Es wird passend nach der jeweiligen Befindlichkeit geforscht – von Freyer auf der Bühne, von Jean-Christophe Spinosi im Orchestergraben und manch Altbekanntes enthüllte dadurch seinen aufklärerischen Charakter oder präsentierte sich in einem ungewohnten Spannungsfeld. Weniger gelangen nur einige der volksbelustigenden Dialoge, die an den Deutschkenntnissen der Mitwirkenden scheiterten und die Pointe verschenkten (wie die Szene zwischen Papageno und Papagena mit den „18 Jahr und 2 Minuten“).

Und weil vorhin schon vom Dirigenten die Rede war: er überraschte bei kleinem Orchester schon am Schluss der Ouvertüre mit einer Lesart, die an Stelle des ausgewogen Feierlichen oder komödiantisch Tänzerischen etwas kämpferisch Melancholisches setzte – so ein Urbild vom sturmtrotzenden Beethoven, der mit dem Schicksal und den Elementen ringt, anstatt abgeklärt und ausgeglichen feierlichen Glanz und Wohlbehagen zu versprühen. Das Klangbild war nach heute „historischer“ Lesart eher spröd und dunkel, die Bläser etwas überbetonend, die Phrasierung akkurat und gar nicht liebschmeichelnd und „mozartisch“ vor sich hintändelnd. Vieles Bekannte erklang neu und ungewohnt, machte auf mich aber nicht den Eindruck musikalischer Willkür, sondern lud zu einer spannenden und interessanten Auseinandersetzung ein. Spinosi brachte diese mehr sinnsuchende, herkömmliche Wege verlassende Interpretation schon nach der Pause einige Buhrufe ein – und beim Schlussapplaus ebenso. Nicht immer ganz exakt unterwegs: die Wiener Symphoniker, vielleicht auch im Tandem mit dem Dirigenten noch nicht ganz eingeschworen.

Auf der Bühne war Diana Damrau als Pamina der unbestrittene Star. Gesang und Darstellung gingen bei ihr in jeder Bühnensituation Hand in Hand mit starker emotionaler Ausstrahlung. Dabei lag immer eine berührende lyrische Traurigkeit in ihrer Stimme, die Paminas unglückliches Herz offenbarte. Bei ihrem „Prinzen“, dem jungen amerikanischen Sänger Shawn Mathey, stand die Routine des heutigen Opernbetriebs viel zu stark im Vordergrund: sein heller Tenor ist robust, aber ziemlich einfärbig schattiert. Sein Tamino war von mehr zweckmäßiger, trockener Art.

Georg Zeppenfeld sang den Sarastro mit schlankem Bass, etwas atypisch für die Rolle, aber in Summe recht beeindruckend. Jonathan Lamalu brachte samoanische Ursprünglichkeit von Neuseeland nach Wien – ein globalisierter, im Ausdruck sehr passender Vogelfänger. Seine deutsche Aussprache war allerdings nicht immer die beste und seine Stimme klang etwas rauh und ungeschliffen. Sen Guo hatte für die Königin der Nacht alle notwendigen Töne, blieb aber im Ausdruck und Darstellung farblos. Die drei Knaben waren nicht immer vorbildhaft unterwegs, die drei Damen solide, ebenso wie Karl-Michael Ebner als Monostatos. Die insgesamt mehr mittelprächtigen Gesangsleistungen waren aber so gut in dieser Inszenierung aufgehoben, dass man leicht darüber hinwegsehen konnte.

Der Schlussapplaus währte rund zehn Minuten lang und am stärksten wurde der Pamina gehuldigt. Achim Freyer ließ sich lange bitten, ehe er auf die Bühne kam. Sein Erscheinen blieb widerspruchslos, löste aber auch keine besonderen Jubelstürme aus. Das Publikum scheint einen weitestgehend positiven Gesamteindruck mit nach Hause genommen zu haben – ein Eindruck, dem sich der Verfasser dieser Zeilen gerne anschließt.