„In meiner Badewanne bin ich Kapitän“
(Dominik Troger)
„Zauberflöte“ dort, „Zauberflöte“ da. Nach der Staatsoper hat sich
jetzt die Volksoper eine Neuproduktion gegönnt. Mozart und
Schikaneders Welterfolg entpuppt sich am Währinger Gürtel
als Versuch einer Traumabewältigung und als zu langatmige Abhandlung
über das „Erwachsenwerden“.
Ein
Bub sitzt auf der Bühne und zeichnet. Er zeichnet sich seine Geschichte
von der „Zauberflöte“. Er fühlt sich unverstanden, seine Eltern
streiten. Hat der Vater die in der Badewanne liegende Mutter nicht
sogar mit einem Messer bedroht? Als schemenhafte Zeichnung taucht
dieses Bild im II. Teil aus der Erinnerung auf. Die Mutter ist
psychotisch, der Vater vernüftelnder Schachfan – der Bub ist einsam und
phantasiert sich eine glücklichere Welt herbei: der Prinz, die
Prinzessin, die Eltern als unverstandenes Über-Ich, Papageno als
personifiziertes Sammelbecken der eigenen Ängste und Kindlichkeiten.
Der Bub zeichnet sich also seine Geschichte, und natürlich wird er am
Schluss siegen, er wird alles hinter sich lassen und mit der Prinzessin
in einer Badewanne (!) davonfliegen. Die öden Erwachsenen werden
zurückbleiben und mit ihnen der ganze Krempel ihrer vertrackten
Beziehungskisten und Ideale. Der Traum von der Menschenbildung durch
eine aufgeklärte Vernunft ist ohnehin längst ausgeträumt.
Selbstverständlich kann man solche Geschichten erzählen und man kann
sich auch die „Zauberflöte“ so zurechtbiegen, dass alles irgendwo noch
auf eine „Kuhhaut“ passt. Offenbar werden die Strahlen der Sonne nicht
mehr gesehen, die die Nacht erhellen – um das Finale der Oper zu
zitieren. Also wird in dieser Produktion alles „Zauberflötenartige“ zu
einer neuen Geschichte verrührt, bei der die Figuren nur mehr vage oder
überhaupt nicht mehr zu der Oper passen, die Mozart und Schikaneder
einst geschrieben haben.
Die Figur, die – wieder einmal – am meisten darunter leidet, ist der
fidele Papageno. Papageno ist eigentlich die personifizierte
Erwartungshaltung des Publikums an einen naiven, gutmütigen Kerl, wobei
es dem Sänger der Rolle obliegt, mit dieser Erwartungshaltung geschickt
zu spielen und das Publikum einzubeziehen. Papageno ist alles andere
als ein Fünfjähriger, der sich alle zwei Minuten an die knappe
„Boxerhose“ fasst, um den Eindruck zu erwecken, als würde er sich vor
lauter neurotischer Schüchternheit gleich anpinkeln. Diesen „Schmäh“
kann Papageno einmal machen, vielleicht zweimal, aber als wesentliches
gestisches Charakteristikum seiner Bühnenpersönlichkeit ist er
nervtötend und erstickt Papagenos fröhliches bäurischen Wesen.
Den Text, den Papageno beisteuert, wird man auch schwer einem
verängstigten Fünfjährigen in den Mund legen können. Ein solcher wird
sich nicht für eine „Spekulation“ mit Vögeln erwärmen oder sich für
„lustige Stunden“ ein „Mädchen“ oder gar ein „Weib“ wünschen. Wobei
natürlich klar ist, was sich ein erwachsener (!) Papageno unter
„lustigen Stunden“ in trauter Zweisamkeit vorstellt. Diese Diskrepanz
zwischen Libretto und Szene betrifft auch andere Figuren und löste sich
den ganzen Abend lang nicht auf. Die Königin der Nacht hat Regisseurin Lotte de Beer zum
Beispiel in eine psychisch kranke Frau umgedeutet, offenbar ein Opfer
ihres unverständigen Ehemanns Sarastro. Die erste Arie wird in einer
Badewanne sitzend vorgetragen, bei der zweiten darf sie rote
Christbaumkugeln auf den Boden werfen. Vielleicht vermochte die Königin
der Nacht derart im Publikum einen Funken an Mitgefühl zu erwecken;
aber ihre dämonische Macht und ihre Bühnenpräsenz waren dahin.
Und der fade Sarastro-Vater im hellen Anzug, der am Heiligen Abend
Zeitung liest, predigt hohlwangige Ideale, an die er wahrscheinlich
selbst nicht glaubt. Seinen „Sklaven“ Monostatos hätte man im Rahmen
dieser Inszenierung überhaupt einsparen können – und wäre damit das
bekannte „Mohrenproblem“ elegant los geworden. Aber auf die Pamina
bedrohende Männlichkeit wollte die Regisseurin dann doch nicht
verzichten?! (Im zweiten Teil wurde Monostatos die Szene gestrichen, in
der er Pamina das Mordkomplott vorhält und sie zu erpressen versucht.
Statt dessen wird ein Pamina-Kind auf die Bühne gestellt, um sich vom
Sarastro-Vater belehren zu lassen.)
Die Feuer- und Wasserprobe markiert den Zeitpunkt der kindlichen
Selbstermächtigung: Es ist Weihnachten und es wird rebelliert. Dem
Vater wird die „heilige“ Zeitung entwendet und in einem Kübel
verbrannt, die Badewanne wird mittels Stoff und ästebefreitem
Christbaumstamm zum fliegenden Segelschiff umfunktioniert – und Tamino
und Pamina machen sich davon. Das mit vielen jugendlichen Besuchern
angereicherte Premierenpublikum klatschte erfreut nach dieser Szene und
meinte folgerichtig, die Aufführung sei zu Ende. Der kurze Auftritt der
Königin der Nacht, die mit ihrem Gefolge den Tempel der Eingeweihten
stürmen möchte, geriet an diesem Abend zu einem dramaturgisch
funktionslosen Anhängsel, das nicht mehr zu der in der Volksoper erzählten
Geschichte passt. Und der Vater nimmt der Mutter das Messer ab und über
der Bühne segelt die Badewanne mit den Kindern einer hoffentlich
fröhlicheren Zukunft entgegen.
Die Einbeziehung von comicartigen Zeichnungen und Animationen, die im
Hintergrund der Bühne projiziert werden, wirkte in der ersten
halben Stunde erfrischend und innovativ – wurde aber nicht konsequent
genug durchgezogen. Wenn der Vogelfänger zuerst als Zeichnung durch die
Luft kurvt und dann – ganz real – auf der Bühne erscheint, macht das
guten Effekt oder wenn Papagenas und Papagenos Kinder als animierter
Cartoon auf der Bühne schaukeln. Doch das sind nur Ausnahmen: Die
Königin der Nacht wird mit Donner angekündigt, man erwartet jetzt ihren
großen Auftritt – und dann sitzt sie als armseliges Hascherl in einer
Badewanne. Man sieht an diesen Beispielen, was möglich gewesen wäre,
und wie dem Regieteam letztlich das „Konzept“ wichtiger gewesen ist,
als ein das Publikum mit „Ahs“ und „Ohs“ verzaubernder Opernabend. Die
Dialoge waren zu wenig prägnant auf die Pointen zugespitzt, waren teils
zu lang und hinterließen einen etwas zähen, „halblustigen“ Eindruck.
Dass Tamino am Anfang in seinem Bett liegt und die ihn bedrohende
Schlange nur träumt, hat Robert Carsen an der Volksoper schon vor bald
dreißig Jahren in der Idee ähnlich inszeniert. Die Ouvertüre wird
gänzlich mit einem Zeichentrickfilm unterlegt, der die Ausgangsbasis
für Lotte de Beers „Zauberflöten“-Deutung zusammenfasst: ein Bub, der
mit der Welt, die ihn umgibt, ein wenig fremdelt und der sich ein
fliegendes Bett für seine Traumreisen imaginiert. Für ein junges
Publikum ist das ein aufmerksamkeitsheischender Einstieg, schade ist es
um Mozarts Musik, die derart zum „Soundtrack“ verkommt.
In der Hoffnung, die szenischen Grundzüge dieser Produktion
einigermaßen umrissen zu haben, folgen jetzt ein paar Anmerkungen zum
auch nicht übermäßig ersprießlichen musikalischen Teil. Den besten
Eindruck hinterließen: das Orchester und der Chor. Tobias Wögerer führte
sicher durch den Abend, mit gemäßigteren und schlüssigeren Tempi, als
sie letzte Saison noch Omar Meir Wellber Mozart hat angedeihen lassen.
Das Klangbild war „klassisch“, leicht erwärmt, und nicht auf „alt“ oder
„kühl“ getrimmt.
David Kerbers
Tamino fabrizierte leider zu viele spröd gefärbte Töne (sein Alfredo
unlängst beim Wiener Opernsommer hat erfrischender geklungen). Tamino
darf einmal sogar so tun, als würde er eine (vielleicht seine erste)
Zigarette rauchen. (So hantelt sich die Jugend über Verbotenes vor in
die Welt der Erwachsenen. Beispielgebend sollte das aber nicht sein,
mahnt an dieser Stelle ein nicht mehr ganz junges Vaterherz ;-)
Rebecca Nelsen gab wie in
der letzten „Zauberflöten“-Premiere an der Volksoper die Pamina mit
ihrem dafür eigentlich zu schlanken Sopran und seitens der Regie mit
überzeichnender pubertärer Jugendlichkeit versehen. Auch Stefan Cerny
hat als Sarastro schon in der Premiere 2020 reüssiert, mit geforderter
Tiefe und wenig „Balsam“ – aber den hätte man diesem uninteressant in
Szene gesetzten Sarastro auch nicht abgekauft. Anna Siminska steuerte
als Königin der Nacht ein schmalspuriges „O zittre nicht“ und eine viel
besser gelungenes „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ bei. Daniel Schmutzhard gab einen gerne witzig sein wollenden, aber von der Regie „ausgebremsten“ Papageno. Die Papagena (Jaye Simmons)
hatte es leichter mit natürlichem Charme zu erfreuen, aber ihren
Auftritt als alte Frau hat die Regie fast schon greisenhaft
überzeichnet. Karl-Michael Ebner war ein politisch (und gesanglich) korrekter Monostatos. Die drei
(Sänger-)Knaben kamen besser zur Geltung als die Premierenbesetzung im
Jänner an der Staatsoper. Die drei Damen, die wie eine aus der
Konditorei versprengte Pensionistinnenrunde mit 1970er-Jahre Flair
ausstaffiert waren, hielten sich wacker.
Am
Schluss gab es rund sieben Minuten langen Beifall, von ein paar
Buhrufen konstrastiert. Die Vorstellung hatte schon um 17 Uhr begonnen
und es waren wirklich sehr viele Kinder und Jugendliche anwesend, die
sich recht diszipliniert verhalten haben. Nur auf der Galerie haben
nach der Pause drei schalkhafte Buben entdeckt, dass es großen Spaß
macht zu klatschen – wenn sonst gerade niemand klatscht.
Fazit: Wenn man bedenkt, dass die Volksoper erst vor fünf (!) Jahren
eine neue, anspechende „Zauberflöte“ produziert hat, dann erscheint
dieses ganze Unterfangen umso fragwürdiger. In der Direktion Lotte de
Beer häufen sich bei Neuproduktionen die Dubletten mit der Staatsoper:
siehe „Carmen“, siehe „Figaro“ und siehe die desaströse „Entführung“.
Für diese Saison ist auch noch ein neuer „Hoffmann“ geplant. Ersetzt
wurden meist taugliche Inszenierungen, deren „ideologisches Mäntelchen“
der Direktorin aber nicht gepasst haben dürfte (aber das ist natürlich
nur meine Vermutung).
PS:
Die beiden Garderoben auf der Galerie wurden architektonisch neu
gestaltet. Sie sind jetzt heller ausgeleuchtet, bieten
Sitzgelegenheiten mit „Design“ und dunkel gehaltene Pulte mit weißer
Maserung.
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