„Grau
in grau“
(Dominik Troger)
Die
Wiener Staatsoper spielt jetzt die „Zauberflöte“ als „Gothic“-Story,
grau in grau, ein verfallenes Spukschloss, ein Sarastro-Herrenclub mit
Bar und Kohlenkeller. Dem Papageno hat man die „Natur“ gerupft wie fast
alle seine Federn und Tamino singt die Bildnisarie in der Unterhose:
Der Premierenabend enttäuschte szenisch und musikalisch.
So eine neue „Zauberflöte“ ist eine heikle Sache. Eine naive Annäherung
an das Werk verbietet inzwischen der dramaturgische „Ehrenkodex“. Ihr simplifizierender „Manichäismus“ verlangt nach einem
einfachen, mit Phantasie begabten Gemüt, das nicht jedes Wort auf die
Waagschale legt. Mozarts Musik liefert dann die Weisheitsweihe dazu und
den Humor des Naturburschen. Hat man Glück, entsteht plötzlich eine Art
von Welttheater, in der sich das Naive und das Göttliche auf eine sehr
humane Art verschränken, als Apotheose aufgeklärten Menschentums.
Doch heutzutage wird jedes Librettowort auf die Waagschale gelegt.
Sarastros Vorbildrolle wird schwer angezweifelt, die Königin der
Nacht möchte man von ihrer „Bosheit“ befreien. Alles was nach „Weihe“
und „Tempel“ riecht, ist ohnehin verdächtigt. Menschen mit
schwarzer und Menschen mit weißer Hautfarbe, das geht gar nicht, da
muss ins Libretto eingegriffen werden. Was die Regie mit dem „Mohren“
Monostatos anstellen soll, damit zumindest er ein bisschen „Farbe“
abbekommt, quält die Dramaturgenhirne. Als „Lösung“ wird versucht, den
Guten zum Bösen, die Böse zur Guten zu machen, oder zumindest die Gegensätze
einzuebenen, was dann aber schnell dramaturgische Widersprüche erzeugt.
Und am Schluss gibt es ein gemeinsames „Feiern“ aller Beteiligten
auf der Bühne, die Königin der Nacht inbegriffen, was die
vorangegangene Handlung eigentlich ad absurdum führt.
Die neue Staatsopern-„Zauberflöte“ ist ein typisches Beispiel für die
beschriebene Vorgangsweise. In diesem Fall entsteigt die höhere Weisheit
vor allem dem reichhaltigen Sortiment an hochprozentigen Alkoholika in
den Regalen von Sarastros „Männerclub-Bar“, und wenn Sarastro am Beginn
des zweiten Aktes in seinem „Führerzimmer“ eine Rede ins Mikrofon
schnarrt, dann wundert man sich erst recht, warum am Schluss alle
plötzlich so lieb zueinander sind. Monostatos wurde in einen
Kohlenkeller abgeschoben, um ihm die Wangen zumindest ein bisschen grau
färben zu können. Er wachte dort über die in Ketten gelegte Sklavin
Pamina. Doch das charakterliche „Umfärben“ der Königin der Nacht
scheitert ohnehin, weil man ihr die Rachearie schwer streichen kann,
und sie ihre Tochter viel zu unmissverständlich zu einem Mord aufruft.
Dabei lässt die Regisseurin Barbora Horáková nichts unversucht, schwebt
Sarastro bei seinem ersten Auftritt auf einer Mondsischel sitzend sogar vom Schnürboden herab,
gekleidet wie die Königin der Nacht, um ihn als patriarchalen Spötter
zu entlarven. Doch viel ist an diesem „Spötter“ nicht dran und er
verwandelt sich schnell in eine leicht beamtet wirkende, charismalose
„Cheffigur“. (Dass zuvor schon Papageno den Weg durch die Luft genommen
hat, schmälert außerdem den Effekt.)
Aber, so wird man mir jetzt antworten, es gibt doch einigen Schwung in
dieser Inszenierung! Die drei Knaben radeln während der Ouvertüre an
einer Gespenstervilla vorbei, ein „Lost Place“, der ihre
Entdeckerfreude anspornt. Sie tollen in einem verwahrlosten Salon umher, mit
einem Vogelskelett, Käfigen, Klavier, düsteren Wänden und krümeligen
Schuttresten. Im weiteren Verlauf gibt das Haus nach und nach
verschiedene Zimmer frei und mit Videos wird dabei klug gearbeitet (die
Szene, in der Tamino vor den drei Pforten Einlass begehrt, sei als
Beispiel genannt). Aber trotzdem spürt man die „Mühen der Ebene“ an so
manchem unmotiviert wirkenden Zwischenvorhang, an der Prüfungsszene im
Stiegenhaus, an Paminas grauweißen Socken, an aus einem
venezianischen Karneval (!?) entsprungenen Geharnischten, an einer
phantasielosen Feuer- und Wasserprobe.
Und wenn im zweiten Akt Tamino und Papageno in einer Schulklasse
landen, mit den drei Damen als dominante Lehrerinnen zum Quintett
antreten, verzweifelt man nur mehr über diesen – darf ich es schreiben?
– Unsinn. Doch vielleicht war das alles nur ein Spuk, und wenn sich
dieser Spuk verzogen hat, trifft man sich auf der Wiese vor diesem
Spukhaus wieder und feiert „Frieden, Freude, Eierkuchen“. Immerhin war
dieses Finale ein vor allem in beleuchtungstechnischem (!) Sinne
erhellender Moment, war doch die Bühne bis dahin optisch so farblos
gehalten worden, als hätte der Vogelfänger Papageno nur mit Raben,
Krähen und Graupapageien gehandelt.
Der „Naturbursche“ war Papageno ohnehin kaum anzusehen – und
anzumerken. Seine Herkunft blieb szenisch im Dunkeln und es stellte
sich bald die Frage, was dieser Kerl in diesem Spukhaus überhaupt zu
suchen hat. (Dabei wird er im „Prüfungstempel“ von Tamino fast erwürgt,
weil diesen offenbar eine akute „Schweigepsychose“ quält!) Sobald
Pamina die Szene
betritt (eine
große Altefraupuppe mit sich führend) , gewinnt auch Papageno Boden
unter den Füßen. Zwar muss er sich dann auch betrinken, aber er kann endlich seine Witze einigermaßen unters
Publikum streuen. Papagena trifft ihren Zukünftigen übrigens in einem
kargen, mit Bänken ausstaffierten Warteraum. Koffer stehen herum.
Wollen Tamino
und Papageno verreisen? Wer weiß das schon?
Franz Welser-Möst, der als musikalischer Leiter seine Fittiche über
diese neue „Zauberflöte“ hätte spannen sollen, hat Anfang Jänner seine
Mitwirkung an der Premiere aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen.
Für ihn ist Bertrand de Billy eingesprungen.
De Billy hat seinen Mozart zwar im kleinen Finger, aber trotzdem wirkte
der Premierenabend seitens des Orchesters zu uneinheitlich. Die
Ouvertüre trieb es zu einem „Beethovenschem-Finale“, und danach wurde
flott durch die Partitur marschiert, mit wenig Gefühl für gesangliche
Ausgestaltung, was vor allem Papageno den Charme seines Auftrittsliedes
gekostet hat. Dieser straffe Zugriff versandete im Laufe des
Abends und es stellte sich einiges an Langatmigkeit ein, so als habe
sich de Billy musikalisch von der Szene „grau“ färben lassen.
Julien Prégardien sang
einen lyrischen, mehr aus dem „Lied“ gestalteten Tamino. Sein Tenor
wurde nach oben hin schmal und wirkte etwas unsicher und kraftlos. Als
von ihm angebetete Pamina hinterließ Slávka Zámečníková einen
deutlich günstigeren Eindruck, auch wenn sie über keine „vollmundigen“
Paminenstimme verfügt. Ihr Sopran ist etwas metallisch gefärbt,
vielleicht eine Spur zu soubrettig, um richtig herzerwärmend ihr Leid
zu klagen. Die Kostüme machten aus ihr ein „Aschenbrödel“. Serena Sáenz als
Paminens Mutter nützte ihre beiden Arien für guten Effekt. Die
Spitztenöne funkelten dunkel und ein bisschen fragil sowie mit der
Gefahr behaftet, zu stark forciert zu werden. Ihr Gegenspieler Sarastro
kargte in der Verkörperung von Georg Zeppenfeld
gesanglich mit balsamisch unterfütterter Weisheitslehre. Hier
schlug, wenn man es so umschreiben möchte, mehr der beamtete Vorstand
besagten Männerclubs durch, als der „Priester“.
Ludwig Mittelhammer
benötigte lange, um seinen Papageno ins „Spiel“ zu bringen. Er sollte
sich auch einmal überlegen, welchen Dialekt er jetzt wirklich sprechen
möchte. Ilia Staple war eine quirlig passende Papagena. Matthäus Schmidlechner gab einen fast zu gepflegt wirkenden Monostatos, Jochen Schmeckenbecher
sorgte für einen etwas nüchtern-bedrohlichen Sprecher, in den Rahmen der
Produktion passend. Die drei Damen gefielen mehr als die beiden
Geharnischten. Die drei Knaben haben gut gespielt, weniger gut gesungen.
Der Staatsopernchor trat am Schluss in Alltagsgewändern auf, die
übrigen Protagonisten auch, und die Königin der Nacht gesellte
sich dazu.
Beim
Schlussvorhang musste die Regie auch Buhrufe hinnehmen, diese waren
aber viel weniger stark ausgeprägt, als bei der „Don Carlo“-Premiere im
September. Zwei, drei Buhrufe richteten sich auch gegen Julien
Prégardien. Ansonsten gab es nur positive Zustimmung – und das elf oder
zwölf Minuten lang.
PS: Das neueingerichtete, in den Dialogen gut gekürzte Libretto wurde
nach den weiter oben geschilderten Grundsätzen verfertigt. Einmal wird
sogar aus unerfindlichen Gründen aus der „Elektra“ zitiert?!.
Nachtrag 29.1.25: Noch eine Anmerkung, weil mich eine diesbezügliche Anfrage erreicht hat. Die Passage „Ein Weib thut wenig, plaudert viel. / Du Jüngling glaubst dem Zungenspiel?“ ist nicht gestrichen worden. Sie wird als abschätziges „Bargespräch“ unter Männern über Frauen „kontextualisiert“.
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