DIE ZAUBERFLÖTE
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Mozart-Portal

Volksoper
17. Oktober 2020
Premiere

Dirigentin: Anja Bihlmaier

Regie: Henry Mason
Bühnenbild und Kostüme: Jan Meier

Puppendesign und Coaching: Rebekah Wild
Choreograühie: Francesc Abós
Licht: Guido Petzold

 

Sarastro - Stefan Cerny
Königin der Nacht - Anna Siminska
Tamino - Martin Mitterrutzner
Pamina - Rebecca Nelsen
Papageno - Jakob Semotan
Papagena - Juliette Khalil
Der Sprecher /
Zweiter Geharnischter -
Yasushi Hirano

Monostatos - Karl-Michael Ebner
Erste Dame - Cornelia Horak
Zweite Dame - Manuela Leonhartsberger
Dritte Dame - Rosie Aldrige
Erster Priester - Daniel Ohlenschläger
Zweiter Priester - David Sitka
Erster Geharnischter - Alexander Pinderak


Zurück zur Natur
(Dominik Troger)

Das Haus am Währinger Gürtel als Nistfelsen für Fratercula arctica? Das aktuell feuchtkalte Wetter würde den befrackten Kerlen mit den dekorativen orangen Schnäbeln schon gefallen. Der deutsche Name dieser Vögel lässt sich sogar von Papageno ableiten: Papageno, Papagenum, Papageium, Papageientaucher!

An der Volksoper verordnet man sich einmal im Dezennium eine neue „Zauberflöte“. 1999 gab es diese seltsame Inszenierung von Robert Carsen, 2005 brachte Helmuth Lohner seine Sichtweise ein, 2020 hat man Henry Mason die Chance eröffnet, sich an dem Stück „die Zähne auszubeißen“. Mason hat im Vorfeld der Premiere in Interviews zwar gemeint, dass man an der „Zauberflöte“ nur scheitern könne, in Summe hat er aber eine lebendige Inszenierung abgeliefert, die dem Publikum sichtlich Vergnügen bereitet hat.

Der Trick mit Puppenspielern zu arbeiten, die mit allerhand Getier die Bühne bevölkern, hat funktioniert. Mason vertraut dabei humorvoll auf das Märchen, und er spielt sich nicht als „Besserwisser“ auf, der mit seinem Konzept das Werk „erwürgt“ und das Publikum langweilt. Für ihn sind die Drei Knaben der Schlüssel zu einem paradiesischen, feenwaldähnlichen Erdendasein, in dem Mensch und Natur in Einklang leben. Tamino und Pamina lassen im Finale die Welt Sarastro und die Königin der Nacht hinter sich, um in der Idylle ihre Herrschaft anzutreten. Sehr gut wird dieses schwebend-märchenhafte durch die Gestaltung der Zauberflöte selbst symbolisiert: eine Holzflöte mit Libellenflügeln, die über die Bühne zu schweben scheint wie von zauberhaftem Eigenleben beseelt.

Der utopische Zug eines „Zurück zur Natur“ markiert das Unbehagen an von Menschen errichteten Ordnungsstrukturen. Mason unterstellt Sarastros und der Königin der Nacht einen unbedingten Willen zum Machterhalt und zweifelt an ihrer moralischen Integrität. Dem idealisierten Sieg aufklärerischer Vernunft und Weisheit („Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“) wird abgeschworen. Mason nützt geschickt die Drehbühne, um Pamina und Tamino in einen „Elfengarten“ schreiten zu lassen, während Sarastro und die Königin der Nacht samt ihrem Gefolge ratlos zurückbleiben. Dieser Sieg einer märchenhaft idealisierten Natur ist hübsch anzuschauen – Blumen blühen, die Tiere sind glücklich und die junge frische Liebe des Prinzenpaares spricht tief zu den Herzen des Publikums.

Gleich am Beginn bekommt man eine Riesenschlange zu sehen, die wirklich riesig ist und Tamino verschlingen könnte – aber Tamino, mit langem Haar, redlich und schick wie Prinz Eisenherz aus den gleichnamigen Comics, wird natürlich gerettet. Mason entlehnt seine Bilder der Gegenwart genauso wie bei mythischen Stoffen, einerseits erlegen die drei Damen die Schlange mit Gewehren andererseits wird die Königin der Nacht bei ihrer „Rachearie“ von Doppelgängerinnen begleitet, die mit blitzenden Dolchen im einem Tanz an die hinduistische Rachegöttin Kali erinnern. Für erfrischende Abwechslung sorgen Papageno und die Papageientaucher, die sich von Papageno nicht fangen lassen wollen: Mason lässt Papagenos Humor nicht zu kurz kommen, bis zum reichlichen Kindersegen, den er mit Papagena im bekannten Duett beschwört, und der dann die Bühne mit Blumen schmücken darf, um für Tamino und Pamina das Paradies ihrer Herrschaft vorzubereiten.

Also alles „happy“? Nicht ganz. Einige Brüche sind doch nicht zu übersehen, auch wenn Mason versucht, sie zu kaschieren. Vor allem Sarastro scheint fast ein wenig überflüssig zu sein und mit sich selbst „uneins“. Sarastro ist ein Kolonialherr, der Sklaven hält und Großwild jagt. Die Priester in weißen Kolonialuniformen symbolisieren die unterdrückende Macht. Die Puppenspieler und die Knaben symbolisieren wohl die Unterdrückten und deren Naturverbundenheit als bereits angesprochene Alternative. Im Finale werden Sarastro und die Königin der Nacht von der Drehbühne ins Abseits befördert, weil sie die neu gewonnene Idylle nur stören würden. Heikler steht es um die Feuer- und um die Wasserprobe. Pamina und Tamino durchschreiten auf der Bühne jeweils eine Zone des Kampfes zwischen dem Gefolge des Sarastro und dem der Königin der Nacht. Die Beziehung zu den Elementen Wasser und Feuer bleibt vage. Die Prüfungen werden offenbar als soziokultureller und politischer Reifeprozess verstanden, der Pamina und Tamino dazu verhilft, sich von der unverbesserlichen Welt der „Alten“ zu emanzipieren.

Ebenfalls erwähnt sei die korrekte Beflissenheit mit der Monostatos zum „schwarzen Geier“ mutiert, samt Anpassungen im Libretto: „Es gibt ja schwarze Menschen auf der Welt, warum denn nicht auch schwarze Vögel“. Monostatos hat man einen schwarzen Schnabel auf die Nase gepickt und er trägt ein schwarzes Bärtchen. In der Anfangs hier eingebrachten ornithologischen Sichtweise ist das sogar eine sinnvolle Lösung – ein Gypaetus barbatus, der sich in Sarastros Reich verflogen hat. Das Beispiel des Monostatos beweist: weltanschauliche Bezüge wurden geschickt verpackt, auch wer sie negiert, darf sich gut unterhalten fühlen.

Das Volksopernorchester war gut eingestellt, und wurde von Anja Bihlmaier am Pult zu frischem Spiel und Klang animiert. Martin Mitterrutzner war ein gefühlvoller Tamino mit festem, klarem Mozarttenor. Rebecca Nelsen gab eine feinnervige, aber stimmlich nicht wirklich aufblühende Pamina. Dem leptosomischen Sarastro von Stefan Cerny wurde durch die Regie ein wenig das mögliche „Gewicht“ genommen, sein „leptosomischer“ Bass passte aber gut dazu. Mit „gesundem Schmäh“ reüssierte Jakob Semotan als Papageno, assistiert von einer gewitzten Papagena (Juliette Khalil). Solide war die Königin der Nacht von Anna Siminska bei ihrem Hausdebüt, deren Sopran ein wenig das Funkeln und eine sattere Grundierung abging. Der gesanglich gute Monostatos von Karl-Michael Ebner war dem Volksopernpublikum kein Unbekannter; passend die drei Damen und die drei Knaben ergänzt vom gesangesfreudigen Volksopernchor.

Der Abend schloss mit viel Applaus.