DIE ZAUBERFLÖTE
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Theater an der Wien
17. September 2017
Premiere

Dirigent: René Jacobs

Inszenierung: Torsten Fischer
Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafilopoulos
Choreographie: Karl Alfred Schreiner

Florianer Sängerknaben
Akademie für Alte Musik Berlin

Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Sarastro - Dimitry Ivashchenko
Königin der Nacht -Nina Minasyan
Tamino - Sebastian Kohlhepp
Pamina - Sophie Karthäuser
Papageno - Daniel Schmutzhard
Papagena - Katharina Ruckgaber
Der Sprecher - Stephan Loges
Monostatos - Michael Smallwood
Erste Dame - Birgitte Christensen
Zweite Dame - Kai Rüütel
Dritte Dame - Katharina Magiera
Priester / Geharnischter - Florian Köfler



Bemühte Weltverbesserung
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat die neue Saison mit der „Zauberflöte" eröffnet. Intendant Roland Geyer hätte es sich leichter machen können. Schließlich hat es allein in Wien seit dem Jahr 2000 an den drei großen Häusern fünf Neuproduktionen von Mozarts „Bestseller“ gegeben.

Regisseur Torsten Fischer hat es sich natürlich zur Aufgabe gemacht, die Oper „heutigen Notwendigkeiten“ anzupassen. Er hat in der Publikumszeitschrift des Theaters an der Wien (Stagione, Sep./Okt. 2017) angekündigt, die „Zauberflöte" als „Emanzipationsoper" zu inszenieren. In dieser Ausgabe kann im Editorial auch nachgelesen werden, dass der Direktor des Hauses die „Zauberflöte" als teilweise „abstoßend" empfindet. Intendant Roland Geyer hat bei „abstoßend" vielleicht an das schon oft kritisierte Frauenbild der „Zauberflöte" gedacht oder an die Charakterisierung und Züchtigung des Mohren Monostatos. Schikaneders Libretto wird allerdings seit 200 Jahren getadelt – der Publikumserfolg der Oper ist dadurch nicht geschmälert worden.

Was bedeutet also die „Emanzipation" für die Frauengestalten in der "Zauberflöte"? Darf Pamina nicht ohnehin an den Prüfungen teilnehmen, ist sie nicht schon von Schikaneder und Mozart „emanzipiert" worden? Torsten Fischer fokussierte deshalb speziell auf die Königin der Nacht. Er möchte sie als kämpferische Mutter „entmystifizieren", ist in der obgenannten Vorankündigung zu lesen. Wurde die Königin der Nacht nicht von Männern (ihrem verstorbenen Gemahl und Sarastro) bei der Nachfolge um die Königsmacht übergangen? Diese – im Sinne Fischers – ungeheure patriarchalische Kränkung bringt die Königin der Nacht allerdings dazu, ihre Tochter zu einem Mordanschlag auf Sarastro anzustiften. Sollte das nicht zu denken geben? Pamina ist moralisch gefestigter als ihre Mutter, sie wird als Herrscherin die Vernunft gebrauchen und sich nicht von Emotionen leiten lassen. Tamino und Pamina werden dem Publikum von Mozart und Schikaneder als ideales Fürstenpaar eines aufgeklärten Absolutismus empfohlen, der Königin der Nacht fehlt es für ein solches Amt hingegen an charakterlicher Reife.

Doch alle Theorie ist grau – und jedes dramaturgische Konzept muss sich in der Praxis beweisen. Die ohnehin etwas „lückenhafte” Dramaturgie der „Zauberflöte” verlangt allerdings nach einer Inszenierung, die den Faden der Handlung nicht zusätzlich verwirrt. Doch schon der Blick in das Programmheft vor Vorstellungsbeginn hat große Fragen aufgeworfen, behauptet die Inhaltsangabe doch, die Frauen der Königin der Nacht würden Tamino verfolgen??!! Und wirklich, in dieser Neuproduktion gibt es keine bedrohliche Schlange, sondern Frauen, die in schwarze schulterfreie Ballkleider gepackt Tamino umschwirren wie ein Rudel lüsterner Amazonen. Und Papageno bekommt ein Schloss vor den Mund, weil er behauptet, Tamino wäre von einem Ungeheuer bedroht worden! Nun, Tamino hält sich immerhin an Schikaneder. Nach diesem Auftakt war schon klar, diese „Zauberflöte“ wird anders – und die Inszenierung suchte wirklich den ganzen Abend lang verbissen nach einem „höheren Gehalt“, um für eine „mohrenlose“, politisch korrekte Verschwesterung und Verbrüderung aller Menschen zu werben, bei der das vermeintlich Gute das vermeintlich Böse umarmt – so wie Sarastro schlussendlich die Königin der Nacht.

Doch Torsten Fischer und René Jacobs haben ihre Ideen nur durch massive Eingriffe in das Werk umzusetzen vermocht: Die Ouvertüre wurde nicht nur szenisch bebildert, sondern auch mit Dialogen unterbrochen (!), um dem Publikum die patriarchalische Demütigung der Königin der Nacht zu vermitteln. Am Beginn des zweiten Aktes sang Tamino eine von Jacobs in die Aufführung hineinreklamierte Mozartkantate („Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“), die nur so trieft von der brüderlichen Liebe aller Menschen zueinander. (Offenbar – siehe jüngst den „Titus” in Salzburg – wird es modern, Opern dergestalt mit „Fremdmaterial“ anzureichern, um sie tendenziös (!) zu modernisieren.) Dazu gesellten sich Veränderungen bei den Dialogen, und immer wieder stand Personal auf der Bühne, das in der betreffenden Szene dort laut Libretto nichts zu suchen hatte.

Doch selbst, wenn man in diesem Fall die „Ausnahmen” gelten ließe, die szenische Umsetzung fragmentierte das Stück zu einer sehr abstrakten, stimmungslosen, leicht chaotischen und von schwarz-weiß Kontrasten beherrschten Szenenfolge, in der sich ein rüpelhafter Papageno, ein blaubeanzugter, Pamina begehrlich umlauernder Sarastro, eine Tamino begrapschende Königin der Nacht, eine taff-behoste Pamina, ein in postmoderne schwarze Klamotten gekleideter Tamino, ein Monostatos mit Hang zur Selbstverbrennung (Feuerprobe) ein etwas wirres Stelldichein gaben. Außerdem wurde die Wasserprobe sogar noch mit vielen orangen Schwimmwesten und mit Bezügen zur Migrationsthematik versehen, um die Sehnsucht nach Frieden, Freude, Eierkuchen mit lehrstückhafter Beflissenheit zu vertreten. Von aber geradezu penetranter Einfallslosigkeit getragen war dieses kumpelhafte, sich dem Publikum anbiedernde „An die Rampe setzen“ und „Die Füße in den Orchestergraben baumeln lassen“: nicht einmal, nicht zweimal, sondern fast in jeder Szene.

Beherrschende Bühnenelemente waren eine große, kühle Mondprojektion, die im Finale von einer aufgehenden Sonnenscheibe überstrahlt worden ist. Eine „Klagemauer”, mit allerhand „sinnvollen” Phrasen in verschiedenen Sprachen versehen, beherrschte einigen Szenen des zweiten Akts. Bis auf die unentbehrliche Flöte und das Glockenspiel war alles Märchenhafte (etwa Tiere) eliminiert worden. Volkstheater-Reste fanden sich im Kostüm Papagenos: eine Lederhose, aber in eine punkartige Kostümierung eingebunden, mit grünen Sportschuhen und Stutzen. Sein Auftritt mit kleinem Biwakzelt, bei dem er an zwei Seilen hängend meterhoch auf und abfedernd sein bekanntes Liedchen trällerte, hatte sogar etwas sportlichen Charme. Aber natürlich musste er mit Papagena gleich Sex machen: Die beiden konnten es im Finale kaum erwarten, sich in Papagenos Biwakzelt zu verpaaren.

Musikalisch bot der Abend auch eher „rohköstlerische“ Eindrücke. Die drei berühmten Akkorde am Beginn der Ouvertüre erklangen hart, ohne Majestät. René Jacobs und die Akademie für Alte Musik Berlin interpretierten das Adagio insgesamt sehr langsam, mit fast stockendem Fluss und beinahe bedrohlich fragendem „Unterton“ (der mehr an einen „Don Giovanni“ und weniger an eine „Zauberflöte“ erinnerte) – ehe recht unvermittelt das im Verhältnis zu flott und belanglos dahinschnurrende Allegro die Zuhörer bis zur Wiederholung der Akkorde führte. Die Akkorde wurden (wie oben geschildert) von der Bühne mit gesprochenem Wort unterbrochen. Und an dieser spröden, teils mit eigenartigen Tempowechseln durchsetzen Lesart hat sich den ganzen Abend lang nichts mehr geändert. Die einfachen „volkstümlichen“ Nummer (etwas das „Bei Männern welche Liebe fühlen“) entwickelten nicht jenen naiven Reiz, der ihnen so bewundernswert anhaftet. Es wirkte an diesem Abend das harte Gesetz einer „musikalischen Motorik“, die sich bis zu lautstarken Trommelwirbeln steigern konnte, die sich aber viel zuwenig um ein gemütsvolles Herz bemühte.

Den längsten Szenenapplaus ersang sich Nina Minasyan als Königin der Nacht mit ihrer zweiten Arie: ein Turnierritt mit metallischem Sopran als Lanze, mehr mechanisch entwickelt, aber durchaus mit Effekt vorgetragen. Dimitry Ivashchenko sang einen sicheren, aber keinen sich würdevoll verströmenden Sarastro. Aber beim gesanglichen Ausdruck lag die Latte insgesamt nicht sehr hoch, gab es zuwenig genussvoll ausformulierten Phrasen, zu wenig von einer auf den dramatischen Fortgang ausgerichteten „Wort-Sinn-Deutung“. Tamino hätte so viele Möglichkeiten zu nuancieren, aber Sebastan Kohlhepp sang kraftvoll mit wenig feinsinniger Ausgestaltung. Der Papageno von Daniel Schmutzhard war polternd und laut unterwegs, ehe er von der hübschen Papagena der Katarina Ruckgaber „gezähmt“ worden ist. Die Pamina der Sophie Karthäuser entwickelte wenig seelenvollen Sopranklang, der Monostatos von Michael Smallwood (mit einem weiß-schwarz bemalten Ureinwohnergesicht ausstaffiert) machte vor allem im Finale auf sich aufmerksam, als er sich eine Kanister krallte, um sich mit Benzin zu übergießen und um die Feuerprobe zu illuminieren. (Wer denkt da nicht an den „Fliegenden Holländer“ an der Wiener Staatsoper mit dem von Christine Mielitz erfundenen Feuertod Sentas?). Solide die drei Damen und die drei St. Florianer Sängerknaben, der Arnold Schönbergchor ist ohnehin eine unverzichtbare Stütze des Theaters an der Wien.

Der minutenlange Schlussjubel ging planmäßig über die Bühne, Widerspruch gab es keinen.